… zu dem rechten Wort auch den rechten Ton gefunden …

»Das Heimchen am Herd.«

Oper in 3 Abtheilungen von CarlGoldmark.
Erste Aufführung am 21. März 1896.

Der Stoff dieser Oper ist bald erzählt: denn er bildet mehr eine Reihe von gemüthvollen Stimmungen, als eine lebendige Handlung. Wir haben vor uns das traute häusliche Leben des, wenn auch nicht durch Altersgleichheit, so doch durch wirkliche, ehrliche Liebe beglückten Ehepaares, des Postillons John und sein Weib Dot. Die Dorfgenossin desselben, die Puppenarbeiterin May soll materieller Rücksichten wegen den alten Puppenfabrikanten Tackleton heirathen, das Urbild eines filzigen, selbstsüchtigen Gecken, auf der Bühne eine charakteristische Figur. May kann ihren alten Geliebten, den Seemann Eduard nicht vergessen, der gerade noch zu rechter Zeit nach siebenjähriger Abwesenheit eintrifft, um die widerliche Verbindung zu hintertreiben. Dem alten Gecken wird von den gesammten Dorfbewohnern noch in drastischer Weise nach dem Muster von Falstaff in Shakespeare’s »lustigen Weibern von Windsor« ein lustiger Streich gespielt, während die junge Gattin Dot die Wiederkehr ihres Jugendfreundes Eduard benützt, um in dem Herzen ihres gealterten Mannes die Eifersucht zu entfachen, jenen integrirenden Theil der Liebe, der bisher diesem arglosen, biederen Charakter gefehlt hat. Da erscheint aber wie immer bei allen vorkommenden Differenzen dieser Familienepisode wie ein gütiger Schutzgeist das reizende Heimchen am Herd, welches der ganzen Oper den Namen gibt und welches auch den Prolog und Epilog derselben bildet. In discreter Weise verkündet die freundliche Fee dem Paare auch ein anderes glückbringendes Geheimniß, – den Kindersegen!

»Wiener Schmäh«: Der Floh vom 29. März 1896

Diese so liebliche Textdichtung von Boz Dickens ist von dem bewährten Textdichter Willner in gewandter Form zu einer trefflichen, lyrisch ergreifenden und dramatisch spannenden Dichtung verwerthet und der Komponist Goldmark hatte für seine Oper einen glücklichen Vorwurf. Wir freuen uns zu constatiren, daß der Componist der in orientalischer Herrlichkeit schwelgenden »Königin vor Saba« und des mystischen, grübelnden »Merlin« in diesem Werke zu dem rechten Wort auch den rechten Ton gefunden hat. Er, der sich bisher mehr durch den orchestralen Schmuck als durch innere Empfindung ausgezeichnet hat, betrat im »Heimchen« den Boden deutsch- und volksthümlicher, vaterländischer Kunst. Das grandiose Vorspiel der Oper, ein musikalischer Geisterspuck im Stile Mendelssohn’s, zeigt uns noch den bedeutenden Meister der orchestralen Technik, aber schon zieht das Heimchen über die Bühne und bringt uns Märchenzauber und Märchenduft. Der »Parlando«-Ton ist in der Oper in gemüthvoller Weise festgehalten, die einzelnen Lieder und Madrigale sind charakteristisch gegeben; besonders trefflich ist Mister Tackleton in seinem ganzen Auftreten und Gehaben individualisirt; das Liebesduett zwischen May und Eduard ist zwar etwas verschwommen und erzielte nicht den vielleicht gewünschten Effect, dafür enthält die Oper in dem Quintett des 2. Actes einen wahren Juwel an Schönheit und sinnlichem Glanz. Auch ein Tanzlied der May, eine Art Schmuckarie im Dreiviertel-Tact nach Gretchen’s Muster, sowie das düster gefärbte Seemannslied Eduard’s und die dramatisch gehobene Klagestrophe John’s über die vermeintliche Untreue seines Weibes sprachen ungemcin an. Besonders lebendig gestalten sich die Volksscenen, im 1. Act die Postscene (das dringende Abholen der Briefe und Pakete) und im 3. Act die Verhöhnung des alten Tackleton. Diese sowie überhaupt alle einzelnen Theile der Oper sind auch in Bezug auf Decoration und Regie in vorzüglicher Weise gebracht und hat die Direction der Hofoper an Ausstattung in der lebendigen Scene und in den allegorischen Bildern das möglichste gethan, um die ganze Aufführung sinngerecht und genußreich zu schaffen. Was wir immer an dem Componisten Goldmark anerkennen mußten, die eigene Originalität, den eigenen Stil, das Vermeiden jeder Anlehnung an Fremdes, außerdem, was sich nun einmal nach den vorhandenen Typen nicht zurückdrängen läßt, hat derselbe auch hier wieder bewiesen; in Ton und Form, in Motiv und Modulation weiß er Stimmung zu machen und Stimmung zu wechseln und das Interesse des Zuhörers wach zu erhalten, und die Gabe der lebendigen Charakteristik steht ihm zur Seite. Ein besonderes Meisterstück orchestraler Kunst ist aber das Orchestervorspiel zum dritten Act, eine klang- und farbenreiche symphonische Variation des volksthümlichen Chorliedes, welches in ähnlicher Weise im dritten Acte bei der Volksscene wieder gegeben ist. Dieses mit – fast unglaublicher Virtuosität von dem Opernorchester ausgeführte und stürmisch zur Wiederholung verlangte Orchesterstück gestaltete sich förmlich zu einem glänzenden philharmonischen Concerte.

Fräulein Renard gab die junge Frau Dot in allen Herzenszügen des Familienidylls, in Liebe, Eifersucht, Zorn und Milde, in Wahrheit und Schalk hinreißend schön, wahr und echt; desgleichen auch standen die reizende Vertreterin des Heimchens, Frau Forster, die Herren Ritter, v. Reichenberg und Schrödter künstlerisch auf ihrem Platze; nur Frl. Abendroth (die Puppenarbeiterin) entsprach in gesanglicher Beziehung nicht ganz allen Anforderungen ihrer Rolle, die eigentlich die schwerste Gesangspartie der Oper bildet. Daß oftmalige stürmische Hervorrufe die Darsteller, den Componisten und den ausgezeichneten Dirigenten, Director Jahn für die so gelungene Aufführung lohnten, haben wir schon erwähnt. Mit »Hänsel und Gretel«, welches eigentlich sicher zum Theile die innere Anregung zu dem neuen Werke gab, mit der herrlichen dramatischen Oper »Der Evangelimann« von Kienzel wird das »Heimchen am Herd« voraussichtlich noch lange als kräftige Zugoper unser für diese Saison nun abgeschlossenes Repertoire beherrschen.

Es verdient als ein bezeichnender Zug der neuen Kunstrichtung festgehalten zu werden, wie nunmehr nach den Werken buntschimmerndcr orientalischer Pracht, nach der Blutschande, Rache und Mord des italienischen Verismus, den feinen lüsternen Ergüssen der Franzosen die deutsche Natürlichkeit, Innerlichkeit und Wahrheit, trautes Familienleben und deutscher Märchenzauber am meisten gefällt und indem wir uns vorbehalten, während der »todten« Saison in freien Feuilletons den Entwicklungsgang der Oper zu besprechen, freuen wir uns jetzt schon, daß unser Publikum den Weg zum einfachen und natürlichen, den Weg zum frommen Kinderherzen gefunden hat. G.v.B.
(Reichspost vom 27. März 1896)