… zart und sinnig, warm und empfindungsvoll

»Das Heimchen am Herd«,

die neue dreiactige Oper von Carl Goldmark, Text frei nach Dickens’ gleichnamiger Erzählung von A. M. Willner, hat bei ihrer ersten Aufführung im Hofoperntheater zu Wien am 21. März enthusiastischen Erfolg gehabt. Schon nach dem ersten Act äußerte sich der Beifall sehr lebhaft, steigerte sich aber nach dem zweiten zu siebenmaligem Hervorruf des Componisten und der Darsteller, während es am Schlusse unzählige Hervorrufe für beide Theile und für den Meister der Capelle, Herrn Director Jahn, gab. Ein musikalisches Zwischenspiel vor dem dritten Act erregte solchen Jubel, daß es wiederholt werden mußte. Und diese außerordentliche Wirkung hat wieder ein einfaches Märchenspiel ausgeübt, dessen poetisch- feines Gewebe von Hause aus mit der Bühne wenig Berührungspunkte hat, aber durch die Kunst des Bearbeiters zu einem eigenartigen, fesselnden dramatischen Gebilde umgeschaffen wurde. Goldmark fand für dasselbe die richtige Sprache in Tönen. Er ist von dem hohen Cothurn seiner früheren Opern herabgestiegen, hat Pathos und Leidenschaft thunlichst bei Seite gelassen und sich ganz dem Stimmungszauber der Märchendichtung hingegeben. Seine Musik zum »Heimchen« bewegt sich in ruhigen, ebenmäßigen Linien, sie ist zart und sinnig, warm und empfindungsvoll, aber auch keck und übermüthig, wo es verlangt wird. Dabei ist den Melodien eine erfrischende Volksthümlichkeit eigen. Einen hohen Reiz verleiht dem Ganzen das kunstreich behandelte Orchester, doch wirkt es keineswegs überladen, sondern läßt die Singenden stets zu ihrem Rechte kommen. Die Aufführung der Oper gestaltete sich in jeder Hinsicht zu einer glänzenden und dürfte nirgends überboten werden. Die Besetzung war folgende: Fräulein Renard – Frau Dot, Frau Förster – Heimchen, Fräulein Abendroth – May, die Herren Schrödter – Edward, Ritter – Postillon John und von Reichenberg – Tackleton. M.
(Signale für die musikalische Welt vom 27. März 1896)