Skandale und Aufstände

Als ich im Jahre 1976 im musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln mein Referat über die symphonischen Dichtungen Siegmund von Hauseggers hielt, da werde ich wohl, wie ich mich kenne, über die sogenannte Badeni-Krise nicht viele Worte verloren haben. Dieses Nibelheim, wo Mehrheiten ertrotzt und erschachert, aus verschiedensten Eigeninteressen geschmackvolle Nessosgewänder gesponnen, mit frommem Augenaufschlag oder versteckten Drohgebärden dubiose Ziele durchgesetzt werden – diese Tiefen, in denen »die da oben« hausen, waren mir ein solcher Graus, daß ich nicht einmal bei einem Werk, das ohne die oben kurz angerissenen Vorkommnisse nie und nimmer entstanden wäre, den Punkt der Inspiration in die Niederungen der menschlichen Existenz hätte verlegen mögen. Außerdem hatte ich, wie bereits im ersten Teil der gegenwärtigen Abhandlung mitgeteilt, hinreichend zu tun gehabt, die sang- und klanglose, weil ohne alle Tonbeispiele vorzutragen gewesene Aufgabe einigermaßen plastisch zu lösen. Und sich vorzustellen, daß dárüber dann eine rein theoretische Debatte zum Verhältnis von Kunst und Politik hätte geführt werden sollen? Prof. Dr. Heinrich Hüschen, unser Instituts- und Seminarleiter, hätte wahrscheinlich in seiner unnachahmlichen Weise über den Rand der dicken Lesebrille gelinst und nichts gefunden, das das Plenum, seiner unvergeßlichen Aufforderung gemäß, hätte notieren sollen …

Der Badeni-Aufstand in Prag

Vielleicht wäre aber eine jener wild-subversiven Auseinandersetzungen entbrannt, in deren Verlauf die Frage nach der Bedeutung des heiklen Beiwortes »deutsch« keine Antwort, aber viel Widerspruch gefunden hätte. Vergessen wir nicht, die echten Achtundsechziger waren gerade einmal acht Jahre alt, und genauso alt war der Skandal um Hans Werner Henzes Floß der Medusa, das bei seiner Hamburger Premiere »live« über den Sender ging und – nicht uraufgeführt wurde, weil eine rote Fahne am Dirigentenpult die ohnehin linkslastig aufgeladene Stimmung zum Überkochen brachte.

Wie der Gymnasiast am heimischen Kofferradio (der nach zehn Minuten vernehmlichsten Volksgemurmels [7] die Hoffnung auf den Mitschnitt des brandneuen Werkes aufgab), so hatte auch Siegmund von Hausegger einundsiebzig Jahre früher einen sicheren Logenplatz, von dem aus er tumultuöse Vorgänge verfolgen konnte: »Die Kundgebungen gegen die Gewaltmaßregeln des Ministeriums Badeni nahmen revolutionären Charakter an. Von den Fenstern unserer Wohnung konnte ich beobachten, wie eine tausendköpfige Volksmenge schreiend vor der ansprengenden Reiterei zerstob, um im nächsten Augenblicke sich wieder zu sammeln und in höchster Erbitterung gegen das Polizeigebäude zu stürmen. Die aufregenden Berichte über blutige Kämpfe und das Eindringen der bewaffneten Macht in’s Parlament-Gebäude wurden auf der Straße verlesen und mit Ohren betäubendem Pfeifen und Schreien beantwortet. Es schien, als handle es sich um Leben und Tod für die Deutschen. Die rings so wild aufflammende Volkswut mußte auch in meinem Herzen zünden«, erinnert sich unser Protagonist 1905 seiner Kinder- und Jugendjahre in Graz. Und läßt uns gleich im nächsten Satze teilhaben an den Gärungen, die sich schöpferische Bahn brachen: »Geibels Ballade ›Friedrich Barbarossa‹, welche ich ursprünglich vertonen wollte, konnte mich nicht mehr befriedigen. Die bittere Bedrängnis, welche einst das dichtende Volk jene stolze Sage vom alten Heldenkaiser Barbarossa schaffen hieß, der in höchster Not als Retter erscheinen wird, erfuhr ich im eigenen Inneren. So konnte meinem leidenschaftlich erregten Empfinden endlich nur der weit ausholende Plan einer dreisätzigen symphonischen Dichtung genügen, welche eine Verherrlichung deutscher Art und einen flammenden Protest gegen die Unterdrücker darstellen sollte.«

Nun macht »der bloße Unwille zwar Verse«, wie Jean Paul erkannte, aber eben »nicht die besten«, weshalb es denn auch nicht falsch war, daß sich unser schmächtiger, hoch aufgeschossener Heißsporn ein gutes Jahr Zeit ließ, bevor er sein tönendes Protestschreiben in Angriff nahm. Lang wird ihm die Weile nicht geworden sein. 1898 entstand ein erklecklicher Teil seines insgesamt recht überschaubaren Liedschaffens; er beendete die Serie der Grazer »Meistersinger-Abende«, bei denen renommierte Sänger wie Oscar Noë zu Hauseggers Klavierspiel Auszüge aus dem Nürnberger Lustspiel zu Gehör brachten; er sprach iin der Grazer Kunsthistorischen Gesellschaft über »Malerei und Musik in ihren Wechselwirkungen mit besonderer Berücksichtigung Böcklins«; vor allem galt es, die Münchner Uraufführung des abendfüllenden Zinnober vorzubereiten, der am 19. Juni 1898 unter der Leitung von Richard Strauss in Szene gehen sollte und das nach allem, was uns die Blätter erzählen, mit triumphalem Ergebnis getan hat: »Unmittelbar nach der Aufführung wurde Hausegger eingeladen, ein symphonisches Werk seiner Composition in dem im September d. J. stattfindenden Festconcerte des Kaim-Orchesters unter seiner Leitung zur Aufführung zu bringen«, meldet am 28. Juni das Grazer Tagblatt nicht ohne merklichen Stolz auf den Sohn der Stadt, der zwar den geplanten Termin nicht wahrnehmen, dafür aber am 10. Februar 1899 mit Glanz und Glorie seinen Einstand an der Isar geben kann – als er seine Dionysischen Phantasie zwischen Beethovens Coriolan-Ouvertüre und Bruckners siebter Symphonie dirigiert und für alle Punkte des Programms gefeiert wird. zurück voran