Frisch und warm kommen die Gedanken …

vom 7. Dezember 1868
(Leipzig)

 

Zum dritten Abonnements – Concerte, das am 22. October stattfand, hatten sich drei Gäste eingefunden, die dasselbe zu einem höchst interessanten machten: Hr. Joseph Joachim mit seiner Gattin und Hr. Capellmeister Max Bruch. Letzterer brachte eine Sinfonie in Es-dur, Op. 28, zur erstmaligen Aufführung und appellirte, indem er sich auf den heissen Boden des Gewandhauses stellte, gleich damit an eine in solchen Dingen nur schwer zu befriedigende Instanz. Dass der Urtheilsspruch für ihn höchst günstig ausfiel, bewies der von allen Seiten nach jedem Satze gespendete reiche Beifall und schliesslicher Hervorruf. Bruch ist von den jüngern Componisten der fruchtbarste, weil der begabteste; seine Oper »Loreley,« seine Scenen aus der Frithjofssage etc. hatten ihm bereits einen grossen Kreis von Verehrern und Freunden erworben und einen freundlichen Empfang gesichert; die Achtung, die man seinem künstlerischen Schaffen zollte, ist durch dies neue Werk nur vermehrt worden, welches von entschiedener Bedeutung ist. Dass man hie und da Anklänge an Mendelssohn und Schumann heraushört, daraus machen wir ihm keinen Vorwurf; welchem Meister wäre es in der ersten Periode seines Schaffens nicht ähnlich ergangen? Es beweist nur, dass die Richtung, die er verfolgt, nichts mit dem Treiben der sogenannten neueren Schule sit venia verbo zu thun hat, dass er auf einen gesunden Boden weiter baut. Und gesund ist Bruch’s Musik. Einzelne Auswüchse, wozu wir eine zuweilen schwülstige Ausdrucksweise, ein nicht hinlänglich klares, durch allerlei Nebenwerke verdunkeltes Hervortreten des Hauptgedankens rechnen, werden mit der Zeit vergehen. Frisch und warm kommen die Gedanken aus seinem eigensten Innern, Erfindungs- und Gestaltungsgabe ergänzen sich harmonisch, und lebendig ziehen die musikalischen Bilder, oft in echt dramatischer Färbung, nie ermüdend und abspannend an uns vorüber. Alle die reichen Hülfsmittel der Technik handhabt er mit Leichtigkeit, ohne damit aufdringlich zu werden, und frei von Manier und Affectation spricht er sich in kräftiger und entschiedener Weise aus. Von den drei – oder wenn wir das kurze Grave vor dem Finale als einen eigenen rechnen – von den vier Sätzen der Sinfonie haben uns besonders das Scherzo und das Finale angemuthet, während die oben gerügten Mängel sich in dem ersten am meisten geltend machten. Die Ausführung unter des Componisten eigener Direction war eine fast durchweg treffliche. Den Erfolg, den Bruch mit seiner Sinfonie errang, die den zweiten Theil des Concertes ausfüllte, darf er übrigens um so höher anschlagen, als der erste in glänzender Weise an uns vorübergegangen und die Stimmung und Erwartung des Auditoriums dadurch bedeutend in die Höhe geschraubt war .