Einführungstext Impressions

Französische Kammermusik

»Impressions«

Werke von Gabriel Fauré, André Jolivet, Jean Cras, Marcel Tournier, Joseph-Guy Ropartz

Ein Programm wie dieses kann gar nichts anderes sein als eine Parade purer Poesie. Schon Harfe und Flöte bedeuten ein Defilee duftiger Dichtungen – und die Beigabe eines oder mehrerer Streichinstrumente wird diese besondere Atmosphäre nur noch erhöhen, wie uns Claude Debussys späte, unnachahmliche Triosonate mustergültig demonstriert.

Der Geist dieses Werkes will sich, so scheint’s, durch die gesamte Kompilation zu ziehen, auch wenn die beiden ersten Stücke entschieden früheren Datums und überdies nur durch nachträgliche Bearbeitung hier eingereiht sind. 1879 bereits – zufälligerweise im Geburtsjahr der Kollegen Cras und Tournier – schrieb Gabriel Fauré (1845-1924), gern als einer der Wegbereiter des sogenannten Impressionismus apostrophiert, seine Berceuse op. 16 für Violine und Klavier, die aufgrund ihres großen Erfolgs in mannigfachen Arrangements bis hin zur Orchesterbegleitung erschien, ohne daß sie je anders als „authentisch“ geklungen hätte. Umgekehrt handelt es sich bei der Sicilienne um die geschmackvolle Reduktion eines Orchesterstücks – aus der Musik nämlich, die Fauré 1898 zu Maurice Maeterlincks Pelléas et Mélisande lieferte und die im selben Jahr die Londoner Premiere des Schauspiels begleitete, wo die charmante Miniatur deutlich unter Wert einen Szenenwechsel begleitete.

Hier kommt das Sätzchen weit besser zur Geltung, wenngleich es eine ähnliche Funktion zu erfüllen hat: Als »Hirtenmusik« (Sicilienne = Siciliano) schlägt es den Bogen hinüber zu der viersätzigen Pastorale de noël von André Jolivet (1905-1974) aus dem Jahre 1943, die im Œuvre des ungemein vielseitigen Franzosen als Rundfunkmusik figuriert, sich aber längst zu einem beliebten Weihnachtsstück entwickelt hat. Der Stern, die Magier, die Jungfrau und das Kind sowie Aufzug und Tanz der Hirten fügen sich zu einer entzückend schlichten und schlicht entzückenden Suite, die kaum später als Faurés Musik geschrieben scheint.

An dieser Stelle verläuft ein kaum wahrnehmbarer Trennungsstrich durch das Programm. Während selbst Jolivets Pastorale in verschiedenen Besetzungen aufzuführen ist, sind alle drei nachfolgenden Werke definitiv für Flöte, Streichtrio und Harfe komponiert. Ferner beginnt hier das Gebiet der musikalischen Raritäten, und diese sind obendrein, wie sich’s fügt, in unmittelbarer zeitlicher Nähe (1928/29) entstanden.

Die jüngste der drei Kreationen ist die Suite op. 34 des Pariser Harfenisten und Komponisten Marcel Lucien Tournier (1879-1951) – eine jener aromatischen musikalischen Schöpfungen, deren unnennbare Parfums beinahe von selbst synästhetische Sehnsüchte wecken: Nicht von ungefähr hat Tournier mit 30 Jahren den Zweiten Rompreis erhalten, nachdem er bereits eine Dekade zuvor für sein vorzügliches Harfenspiel den Ersten Preis des Konservatoriums hatte entgegennehmen dürfen – desselben renommierten Instituts, wo der nachmalige Ritter der Ehrenlegion seit 1912 die Kunst lehrte, der Harfe solch bezaubernde Klänge zu entlocken wie ihm das beispielsweise mit den vier Sätzen seiner Suite – Abend, Tanz, Lied und Fest – gelungen ist.

Daß Tournier hier dem zwei Wochen älteren Jean Cras (1879-1932) vorgezogen wurde, hat rein geographische Gründe. Cras nämlich war Bretone wie sein Landsmann Joseph-Guy Ropartz (1864-1955), und wie dieser ist er ungeachtet der Erfolge, die er zu Lebzeiten erringen konnte, eigentlich eine Wiederentdeckung der jüngsten Zeit: Seine symphonischen Werke, die wunderbare Oper Polyphème und die Kammermusik zeigen uns die ganze Begabung des Duparc-Schülers, der im Hauptberuf die Meere befuhr und es schließlich bis zum Konteradmiral brachte.

Im selben Jahr 1928, als Cras sein bedeutendes Quintett verfaßte, schrieb Joseph-Guy Ropartz, damals kurz vor dem Ruhestand als Leiter der symphonischen Konzerte und des Konservatoriums von Straßburg, sein Quintett Prélude, Marine et Chansons, in dem sich die Bretagne und ihr Meer auf verschiedene Weise niedergeschlagen haben: Der Mittelsatz Marine ist gewissermaßen eine Kahnpartie auf sonniger See, und im Finale verwendet der Komponist das alte bretonische Weihnachtslied Peh trouz zo ar en douar (Welch ein Lärm ist das auf Erden) – womit sich auf subtile Weise der kunstvoll gefügte Reigen dieses rein poetischen Programmes schließt.

© 2005, Eckhardt van den Hoogen

Einführungstext zu der Hänssler-Produktion
Impressions
Gabriel Fauré, André Jolivet, Jean Cras, Marcel Tournier, Joseph-Guy Ropartz
mit dem Linos Harfenquintett
Hänssler Verlag CD Art.-Nr.: 093.175.000