Fehlstart und Debüt

»Uebermorgen, Freitag, um halb 1 Uhr findet im Saale der Gesellschaft der Musikfreunde unter Mitwirkung mehrerer anerkannten Kunstkräfte ein Konzert des Komponisten Herrn K. Goldmark statt. Sämmtliche Kompositionen sind vom Konzertgeber,« erfährt die interessierte Leserschaft des Wiener Fremden-Blattes am 24. Dezember 1856. Das geplante Debüt des 26-jährigen Goldmark muß jedoch in letzter Minute abgesagt werden, weil ihn die Kollegen, die ihm ihre Teilnahme zugesagt hatten, bei der Probe »hängen ließen«.

Einige Monate später, im März 1857, gelingt der Einstand: »Der Erfolg war freundlich, die Presse so, so, half and half«, erinnert sich Goldmark viele Jahre später. Zwei ausführliche Rezensionen folgen hier:

Herr Goldmark, ein junger Wiener Componist. ließ in seinem Concerte einige Früchte seiner Muse vorführen, u.z. ein Quartett für Clavier und Streichinstrumente, eine Ouverture für Orchester, einen Psalm für Bariton mit Begleitung von Männerchor und Orchester, dann einige Lieder. Diesen Früchten – um bei dem Gleichnisse zu bleiben – merkte man es zwar gleich an, daß sie auf einem gefunden, entwicklungversprechenden Baume gewachsen. aber doch vor ihrer völligen Reife gepflückt worden sind. Herr Goldmark hat unstreitig Talent, sein Weg ist ein ganz achtungswerther, seine Erfindung mitunter eine sehr glückliche; nur weiß sie sich nicht immer auf der Höhe zu erhalten. Es mangelt ihm vorzugsweise an der Kritik seiner Gedanken, er weiß die mindern nicht auszuscheiden, er glaubt, Alles, was ihm beifällt, müsse gesagt werden. Bei einem jungen Vater ist diese zartlose [sic!] Liebe für jedes, selbst für das unbedeutendste seiner Kinder, wohl begreiflich und verzeihlich, aber das hilft nicht. Man muß die Energie haben, die mißrathenen zu beseitigen, man muß Spartaner sein, um ein guter Komponist zu werden. An dieser Energie fehlt es Herrn Goldmark vor der Hand, seine Sachen sind überfüllt mit Redensarten, eine drängt die andere, und doch ist der Raum noch immer zu enge, er weiß nicht zu Ende zu kommen. Dadurch wird seine Form auseinander gesprengt, brüchig, unklar. Zumal in den Orchestersachen ist es ebenso das »Zuviel« nacheinander, als auch die gleichzeitige Ueberfüllung mit poliphonen Bildungen, was als hauptsächlicher Quell der Unklarheit angesehen, sonach künftig vermieden werden muß. Die Richtung im Allgemeinen verdient aber Anerkennung, sie ist selbstständig und im modernen Geiste. Unter den vorgeführten Werken schien uns der Psalm an den wenigsten der angedeuteten Gebrechen zu leiden; das Quartett – ausgenommen das sehr gelungene Scherzo – würde durch tiefeinschneidende Kürzungen, die Ouverture durch Lichtung der Instrumentation zweifelsohne wesentlich gewinnen. Die Lieder dünkten uns unbedeutend. Die Ausführung des Quartetts durch die Herren Dachs, Straus, Kral und Röver ließ nichts zu wünschen übrig. Die Orchestersachen hätten präciser gehen können. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 17. März 1857)

In der verflossenen Woche erschien auch ein Komponist , Herr Goldmark, vor den Schranken der Oeffentlichkeit. Diese in früherer Zeit äußerst seltene Erscheinung ist im Laufe der dießjährigen Saison auffallend häufig hervorgetreten. Daß diese Versuche meist nach jeder Seite hin unglücklich abzulaufen pflegen, liegt in der hier nicht weiter zu erörternden Natur der Dinge. So erntete der erste, welchen Herr Gall wagte, bekanntlich wenig Ehre; ein etwas günstigeres Horoskop konnte man Herrn Langwara stellen, und Herrn Goldmark’s natürliche Begabung möchte wohl auch noch eine Linie höher hinauf zu rücken sein, so wenig Entscheidendes auch hiermit ausgesprochen wird. Er debütirte mit einer Ouvertüre, einem Klavier-Quartett, zwei Liedern und einem Psalm. Unstreitig gebührt unter diesen Arbeiten dem Klavier-Quartett der Vorzug. Entbehrt es auch der höheren künstlerischen Eigenthümlichkeit, welche nun einmal nur wenigen Auserwählten gegönnt ist, so ist es doch fleißig und geschmackvoll gearbeitet, manches, wie namentlich das Scherzo, auch hübsch erfunden und in allen Theilen, das sich zersplitternde Finale ausgenommen, durch leichten musikalischen Fluß, wohlgeordneten und doch nicht ängstlich abgemessenen Bau ausgezeichnet. Das Ganze verdient im Sinne einer sekundären Produktion Anerkennung, sowie die vorzügliche Ausführung des Klavierpartes durch Herrn Dachs spezielle Erwähnung. Weniger Gutes läßt sich von der Ouvertüre sagen, die auch an mannigfachen formellen Gebrechen leidet, der Psalm verräth, sowie auch das Quartett, den überwiegenden Einfluß Mendelssohn’s auf den Komponisten, und von den beiden Liedern hätte er das zweite wenigstens in das Programm gar nicht aufnehmen sollen, während das erste »der Trompeter an der Katzbach«, wenn auch etwas trocken, doch in einer gewissen verständigen Charakteristik eine bemerkenswerthe Seite bietet. Ein Versuch, wenn er nur nicht in ganz unberechtigter Form auftritt, mag Jedem gestattet sein, daß aber auf dem Gebiet der musikalischen Produktion, insbesondere in jenem der reinen Instrumentalformen, in der Gegenwart nur wenig Lorbeern mehr zu gewinnen sind, wird sich wohl auch Herr Goldmark nicht verhehlen. Die Hauptsache bleibt immer, sich vor allem äußerlichen Wollen möglichst zu hüten, und davor sei auch Herr Goldmark freundlich gewarnt. Sonst trauen wir ihm gerne zu, daß ihm in guter Stunde noch Manches gelingen mag. (Wiener Zeitung vom 30. März 1857)