… eine werthvolle und bleibende Bereicherung …

… des 15. September 1876 die Fertigstellung des Violinkonzertes a-moll op. 28 meldete, kündigte auch ein »Clavierquartett« an, zu dessen Ausführung jedoch – es war wohl ein Übermittlungsfehler – insgesamt fünf Personen benötigt wurden und werden. Die Uraufführung des Opus 30 fand am 21. November 1878 statt und lag in den Händen des geschätzten Pianisten (und Czerny-Schülers) Anton Door, der dem Komponisten im Zusammenspiel mit dem Ensemble des »Hofcapellmeisters« Hellmesberger einen weiteren bemerkenswerten Publikumserfolg bescherte. Dieser sollte sich nicht nur in Wien wiederholen. Wie vom »Wochenblatt« (oder dem Inserenten?) vorhergesehen, trat das Quintett seine »Rundreise durch die deutschen Concertinstitute« an, in denen es zumeist freundlich, mitunter begeistert, kaum einmal aber ohne jeden kritischen Einspruch aufgenommen wird. (☞)

Ähnlich wie beinahe gleichzeitig im Falle des Violinkonzertes, versucht der Hamburger Verleger Hugo Pohle durch eine gezielte Werbekampagne in den Signalen für die musikalische Welt  1879, die Weichen für einen Verkaufserfolg zu stellen. Zunächst schaltet er in den Heften 8 und 16 ein Inserat, in dem er den Pianisten der ersten Stunde zu Worte kommen läßt:

Ein paar Wochen später fährt er dann im 25. Heft der Signale das schwerste kritische Geschütz auf, dessen er habhaft werden kann: Er zitiert die Rezension, die der ortsansässige Komponist und Kritiker August Ferdinand Riccius (1819-1886) für die Hamburger Nachrichten geschrieben hat – einen Text, dessen Umfang tatsächlich alles hinter sich läßt, was bis dato über Goldmarks Klavierquintett erschienen ist und auch aus allem, was da noch kommt, auf Grund seiner Zeilenzahl weit hervorragt.

• Verlag von Hugo Pohle, Hamburg.
Goldmark , Carl, Op. 30. Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncell u. Pianoforte. 20 Mk. Für Pianoforte zu vier Händen. 10 Mk.

Bei Gelegenheit der Aufführung obigen Werkes urtheilt Herr A. F. Riccius
– einer unserer bedeutendsten jetzt lebenden Kritiker – in den »Hamburger Nachrichten« über dasselbe wie folgt:

Der Quartett-Verein der Herren Marwege, Oberdörffer, Schmahl und Klietz gab Mittwoch den 19. März seine dritte Soirée. Dem interessanten und gut zusammen zusammengestellten Programme war ein neues Kammermusikwerk, ein Clavier-Quintett von Carl Goldmark (Bdur, Op. 30), eingereiht; ihm war der zahlreiche, das ganze Concertlocal füllende Besuch zuzuschreiben. Goldmark hat sich durch seine letzten beiden grossen Werke: die Oper »Königin von Saba« und die Symphonie »Ländliche Hochzeit« einen grossen Kreis von Verehrern wie in aller Welt so auch hier geschaffen, nicht ohne wirkliches Verdienst, denn er ist ein selbstständiger, tiefer, mit warmem Herzen, klarem Kopfe und feinem, überlegten Gebrauch der Kunstmittel arbeitender Musikus. Unter den jüngsten schabenden Tondichtern entwickelt er am entschiedensten ein unabhängiges Wesen, ihm ist in dieser Hinsicht allein Johannes Brahms, wenn dieser auch von anderen Voraussetzungen ausgeht und andere Richtung verfolgt, an die Seite zu stellen. Die Empfänglichkeit für das neue Werk von Goldmark war also von vornherein da; sie wurde auch nicht getrübt, denn das Clavier-Quintett befriedigte oder übertraf vielmehr die gehegten Erwartungen : es zog in jedem seiner vier Sätzen mit grossem freiwillig und herzlich gespendeten Beifall vorüber, die Stimmung nach Schluss der Aufführung konnte nicht günstiger gedacht werden. Der durch das Ganze hervorgebrachte Eindruck glich dem, welchen Goldmark in allen seinen hier bekannten Werken stets erzeugte: man begegnet vornehmen, gediegenen und doch lebensfrischen und blühenden Gedanken, die der tiefe und ernste Künstler mit strenger und jeder Gewöhnlichkeit sich entringender Gewissenhaftigkeit zu weiten und grossen Gebilden gestaltet. Goldmark entwindet sich nicht, wie man ihm häufig nachsagt, den Gesetzen der Schulen einer grossen Vergangenheit, er strebt auch nicht über die architektonischen Regeln der Vergangenheit hinaus, dennoch bewahrt er sich in stolzem Sinne seine Individualität, die ihn abhält im hergebrachten Sinne zu contrapunctiren, zu moduliren oder die Perioden zu gliedern. Eine oberflächliche oder erstmalige Betrachtung dieser Erzeugnisse entdeckt nun vielleicht Willkürlichkeiten, Ungefügigkeiten oder gewaltsames Neue, vielleicht auch ein mühsames Ringen mit der Bewältigung des Stoffes. Diese Ansichten schwinden bald nach genauerer Einsicht und Vertrautheit mit Goldmark’s Werken: er verfährt in so strenger Logik als irgend einer der Besten, seine Sätze und Perioden sind musterhaft geordnet, mit einander verbunden und zu einem wohl organisirten Ganzen vereinigt, das scheinbar Fremdartige daran schwindet, sobald man die Individualität des Künstlers begriffen hat und demgemäss bereit sich zeigt, auf dem eingeschlagenen Wege ihm zu folgen, sollte dieser auch von der breiten Heerstrasse von Zeit zu Zeit abführen. Dieses ernsthafte, durchdachte und durchgeistigte Verfahren kennzeichnet in demselben Masse das neue Clavierquintett, wie die ihm vorhergegangene grosse Symphonie, deren innere Begründungen und äusserliche Gestaltung heute wohl Niemand mehr ernstlich anzutasten wagen wird. Doch das ist ja gar nicht erst zu beweisen, denn Goldmark hat für sich selbst die genügenden Beweise seines Könnens geliefert: kein Mensch wird ohne ihn rechtfertigende Gründe von der Mitwelt in die Reihen der Auserwählten gestellt. Reden wir lieber davon, dass auch in dem Clavier-Quintett alle Goldmark als absonderliches Eigenthum nachgerühmten künstlerischen Tugenden vorhanden sind und das darin wie immer eine schöne, edle Leidenschaftlichkeit und die wärmste Empfindung walten, erwähnen wir auch, dass die Töne mit dem glänzenden Colorit übergossen sind, welches Goldmark über alle seine Kunstgebilde ausgiesst, in vorliegendem Falle natürlich mit den Einschränkungen, welche die kargeren Mittel der Kammermusik erlauben.

Inserat in der Neuen Freien Presse vom 2. März 1879

Diese sind aber in allen Sätzen zu höchster Leistungsfähigkeit verwendet worden; die einzelnen Gedanken derselben glänzen oft in wunderbarster Tonfarbenpracht, welche stets dazu beiträgt, den inneren Gedankenwerth oder die verschiedenen geistreichen Combinationen in überraschende Lichtwirkungen zu stellen. Die herrlichsten derartigen Wirkungen bietet das Adagio in Gesdur, welches überhaupt als das Kleinod des Werkes hinsichtlich seiner Gedanken und seiner Empfindungsströmung hinzustellen ist. Das Stimmungsbild breitet sich in einem weiten Rahmen aus, aber die es ausfüllenden Gruppen reihen sich lückenlos und harmonisch aneinander; sie sind alle mit demselben Zuge des geistigen Lebens verknüpft und stehen in leidenschaftlichen seelischen Beziehungen, für welche die Musik alle leiseren Gefühlsschattirungen ebenso leicht findet , als die erregten dramatischen Steigerungen. Das Adagio bewegte und ergriff die Zuhörenden, denen nach dieser Geraüthsanregung das darauf folgende Allegretto con spirito zum angenehmen Contraste der Erfrischung wurde. Der die Stelle des Scherzo vertretende Satz ist kein eilig dahinfliegendes Stück ; er bewegt sich in Gemüthlichkeit, bietet frische, einfache, durch kunstvolle innere Arbeit nicht gedrückte Melodien leicht verständlichsten Ganges und hübsch belebter Rhythmik und Figuration. Clavier und Streichquartett vereinigen sich zu lieblichen Zusammenwirken, Ohr, Verstand und Gemüth tragen angenehme reiche Beute davon. Die beiden grossen Sätze des Werkes, das beginnende Allegro con spirito und das Finale Allegro vivace sind nicht in demselben Masse das Werk eines Dichters, wie die eben geschilderten Mittelsätze. Sie tragen den allgemeinen Charakter des Ganzen, sie sind von grossem geistigen Leben durchdrungen, die Hauptgedanken entbehren nicht des Aufschwunges, aber der fertige, gelehrte und eifrig combinirende und contrapunctirende Musiker tritt darin mit sehr grossem Bewusstsein auf; er gefällt sich in scharfsinnigen Ausweitungen, er grübelt manchmal um die möglichste Ausbeutung des Gedankens, sorgt sehr eifrig um Gewinnung interessanter instrumentaler Wirkungen. Dieses Streben leitet ab von der Bewahrung der Stimmungseinheit der Sätze und gerade der erste Satz liefert dafür das sprecheneste [!] Beispiel: er beginnt mit frischen, fröhlichen Grundgedanken, man freut sich auf ähnliche, seine wohlthuenden Anregungen wünscht man sich zu erhalten , aber nun tritt der seine Künste demonstrirende Musiker ein und verwischt die ersten angenehmen Eindrücke, zum Glück nicht auf lange Zeiten, denn der wiederkehrende gesunde Hauptsatz tritt immer auf’s neue herrschend auf und bewältigt durch seine gesunde Kraft. Auch das Finale geht denselben Gang, theilweise mit noch entschiedener[er] Energie des musikalischen Künstlers, der sich das in den neuen Kammermusikwerken vielfach eingebürgerte Fugato nicht erlassen mag. Dieses ist sehr interessant und kunstreich, dauert nicht zu lange und bald geht es in frischem Zuge vorwärts bis an’s Ende, dessen Stretto eine in rhythmischer und instrumentaler Beziehung hochgelungene und wirksamste That ist. Die Zuhörer wurden davon gepackt und hingerissen, es war schwer dieser geistigen und materiellen Macht zu widerstehen. Der nach jedem Satze gespendete Beifall hob sich nach dem so glanzvoll abschliesenden Finale zu lautesten Kundgebungen. Das neue Werk hatte sich einen vollständigen Sieg errungen; es wird fortleben in den Programmen der Kammermusik-Aufführungen, denen es nächst dem gleichen Werke von Schumann die beste Bereicherung sein wird.

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☞ Hugo Pohles Offensive ist begreiflich. Keine zweite Pressestimme hat das Lied auf Goldmarks Opus 30 so laut und ausführlich gesungen wie August Ferdinand Riccius, der sich mit seinen Männerchören und Liedchen wie »Im Frühjahr auf der Alm« ein Plätzchen am Rande der hinteren historischen Ränge hat sichern können. Ob Pohle am Ende die Eloge mit ein paar Pfennigen subventioniert hat? Auf jeden Fall tat er gut daran, sie in den Signalen zu wiederholen, denn selbst vor Ort gibt es Gegenwind, wie ein Musikbrief aus Hamburg im Musikalischen Wochenblatt vom 19. Mai 1879 mitteilt, in dem wir schließlich auch den Namen des Klavierspielers erfahren, den Riccius unter den Wogen des Lobgesang zu nennen vergaß::

• In seiner dritten Soiree war die Marwege’sche Genossenschaft von ihrem Gebrauch, ausschliesslich der Streichmusik zu pflegen, abgegangen. Man hatte ausser den Streichquartetten von Volkmann Op. 14 und Mozart in Cdur das neue Clavierquintett (Bdur, Op. 30) von Goldmark auf das diesmalige Programm gebracht. Schöne Gedanken und meisterliche Arbeit, aber auch manche ungehörige Längen bietet diese neueste Tonschöpfung Carl Goldmark’s. Am wenigsten wird das Allegretto, das dem Adagio folgt, von dieser Ueberflüssigkeit berührt, und deshalb macht es auch entschiedene Wirkung, kommen die originellen Motive und die interessante Durchführung überall zur Geltung.

Carl Friedrich Christian von Holten (1836-1912)

Das Adagio könnte ein wahres musikalisches Kleinod in Betreff seiner Gedanken und Combinationen sein, wenn das Zurückleiten und Wiederholen, die unmotivirte Ausdehnung nicht diesen Satz um seine Wirkung brächte. An ähnlicher Ueberlastung leiden auch die beiden Haupttheile; das beginnende Allegro con spirito vielleicht weniger, als das Finale, das nur schwer seinen Schluss finden kann. Um die gute Ausführung des in jeder Hinsicht sehr anspruchsvollen Goldmark’schen Quintettes machten sich Hr. C. v. Holten, der als Clavierspieler in dieser Soirée zu Gaste geladen war, und die oben genannten Mitglieder des Quartettvereins recht verdient.

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☞ Daß der Autor des obigen Musikbriefes mit seiner Einschätzung der Lage nicht allein war, zeigen …

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    … die Wiener Quintettgeschichten …
    Es liegt in der Natur der Sache … weiter
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    … und die auswärtige Resonanz
    Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit … weiter