Die Kriegsgefangene: Schon im Vorfeld fällt viel vor

… als Opernkomponist nie bei einem Milieu bleiben könne, sondern sich bei der Konzeption eines neuen Werkes stets so weit wie möglich von den vorherigen Regionen entfernen müsse. Daß er mit seinen Schwenkungen überraschte, liegt auf der Hand; daß er sein Publikum und die Fachwelt mitunter beinahe vor den Kopf stieß, scheint er bewußt in Kauf genommen zu haben – und nirgends mehr als bei seinem vierten Bühnenwerk, dessen Stoff er und sein Librettist, der evangelische Pfarrer und Dichter Alfred Formey (1844-1901), aus der homerischen Ilias emporholten. Hier auf das Sujet näher einzugehen erübrigt sich, weil die Zahl der (denkbar unterschiedlichen) Pressestimmen die Episode aus dem trojanischen Krieg von allen Seiten beleuchtet, mit vielem Für & Wider besprochen und auf ihrer Tauglichkeit fürs Theater hin geprüft haben. Was indessen auch im Kontext dieses zweiaktigen Werkes bemerkt werden muß, ist die Kunstfertigkeit Goldmarks, die Medien für seine weit vorausschauende Werbung zu nutzen: Zu derselben Zeit, als sein Heimchen am Herd in Prag und Budapest nahezu gleichzeitig bejubelt wurde, verriet er dem einen oder anderen Berichterstatter »unter dem Siegel der Verschwiegenheit« (mit andern Worten: »Erzählt’s bloß gleich weiter!«), daß er bereits an einer neuen Oper arbeite, über die er freilich noch nichts Näheres verraten dürfe …

Als sich dann die ersten konkreten Hinweise auf die kommende Neuheit mehren, rauscht es sofort wieder im Blätterwald. Gerüchte, Dementi und vollgriffige Aussagen über die Zahl der interessierten Opernhäuser tun ein übriges:

☞ Im Hofoperntheater wird als zweitnächste Novität der Saison die neue zweiactige Oper »Die Kriegsgefangene« (»Brisëis«) von Carl Goldmark in Scene gehen, und zwar gegen Mitte des Monats December. Die Oper befindet sich bereits in den Händen des Directors Mahler, der schon in der nächsten Zeit die Rollen vertheilen und das Werk persönlich in Scene setzen wird. Die Meldung Berliner Blätter, daß die Goldmark’sche Oper an einer auswärtigen Bühne zum ersten Male aufgeführt werden soll, entspricht, wie wir von autoritativer Seite erfahren, nicht den Thatsachen, dieselbe wird bestimmt in Wien ihre Premiere erleben. »Brisëis« wurde übrigens bereits von zehn der hervorragendsten deutschen Bühnen erworben, welche sofort nach der Wiener Premiere das gegenwärtig im Drucke befindliche Werk aufführen werden.
(Neues Wiener Tagblatt vom 6. August 1898)

Grazer Tagblatt vom 24.9.1898

 

☞ Ueber Karl Goldmark’s neueste Oper: »Die Kriegsgefangene« verlautet, Goldmark hätte diese Oper in den letzten vier Monaten des vergangenen Jahres geschaffen. Dem ist jedoch nicht so. Der Meister hat sich bereits vor dem »Heimchen am Herd«, und zwar seit nahezu vier Jahren, mit der Komposition der »Kriegsgefangenen« beschäftigt. Das Werk hat zwei Acte, welche durch eine charakteristische Zwischenactsmusik verbunden sind.
(Neue Freie Presse vom 11. September 1898)

Prager Tagblatt vom 30.12.1898

 

☞ In der Hofoper haben bereits die Proben zur zweiactigen Oper »Die Kriegsgefangene« von Karl Goldmark, deren Premiere Mitte Jänner stattfindet, begonnen. – Uebrigens trägt sich, wie wir erfahren, Goldmark schon mit dem Plane in Bälde an die Composition einer neuen Oper zu schreiten. Der Librettist der neuen Oper, Dr. A. M. Willner, ist zumindest schon eifrig an der Arbeit, das neue Textbuch für Goldmark fertigzustellen.
(Neues Wiener Journal vom 11. Dezember 1898)

Neue Freie Presse vom 31.12.1898

 

☞ Mehrere Berliner Blätter melden, daß Goldmark’s neue Oper: »Die Kriegsgefangene«, ihre überhaupt erste Aufführung im Monate Januar in Köln erleben werde. Wie man uns von unterrichteter Seite mittheilt, entbehrt diese Meldung jeder Begründung. Das neue Werk Goldmark’s wird, wie alle Opern dieses Componisten, in der Wiener Hofoper zum erstenmale aufgeführt werden. Unmittelbar daran schließen sich Berlin, Köln, Hamburg, Prag und Budapest. In Wien findet die Premiere zwischen dem 10. und 20. Januar statt. Die Hauptrollen sind den Damen Renard und Walker, sowie den Herren Reichmann, Hesch, Reidl und Pacal zugetheilt. Die Proben sind bereits im vollen Zuge: das Werk wird Director Mahler dirigiren. Für die »Kriegsgefangene« gibt sich namentlich in Deutschland großes Interesse kund; die Oper wurde bereits von mehr als fünfzig Bühnen erworben.
(Neue Freie Presse vom 20. Dezember 1898)

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Wie Wien, Köln, Prag, Budapest und Hamburg reagierten, ist auf der folgenden Seite zusammengefaßt.