Erfolgreicher Pausenfüller: Das »alte« Scherzo

… in der Tagespresse die Meldung unterbrachte, er wolle »diesen Winter mit einer Symphonie hervorzutreten, die des Schönen sehr viel enthalten soll« — da wird ihm der eine oder andere Leser anfangs geglaubt haben, bevor sich nach einiger Zeit die Erwartung in Staub auflöste. Was immer der damals 28-jährige Komponist vorgehabt haben mag, es kam nicht, oder zumindest nur in den eigenen vier Wänden zu Stande. Erst dreizehn Jahre später kann man in Wien und auch in Leipzig ein Scherzo für Orchester hören, das allerdings »des Schönen sehr viel« enthält und demzufolge mit großem Erfolg aufgeführt wurde.

* Die Musiksaison dieses Jahres ist zu Ende. […] Die Philharmoniker brachten die Manfredouverture von Schumann als Eingangs- und Beethoven’s achte Symphonie als Schlußnummer. Dazwischen zwei Novitäten und zwar ein Scherzo von Goldmark und »Orpheus«, symphonische Dichtung von Liszt. Ueber Schumann’s herrliche, tief empfundene Musik zu »Manfred« sowie über den göttlichen Humor in Beethoven’s Symphonie wäre es überflüssig ein Wort zu sagen; die beiden Novitäten hingegen verpflichten zu einigen Bemerkungen. Das Scherzo von Goldmark gestattet eine verschiedene Beurtheilung, je nachdem man das Musikstück an und für sich, ohne Rücksicht auf den Namen des Componisten oder grade mit Beziehung auf diesen anhört. Das Scherzo ist an und für sich ein gutes Musikstück, sehr geschickt gearbeitet und sehr wirkungsvoll instrumentirt, ohne sich jedoch zu größerer Bedeutung zu erheben. Betrachtet man es als solches, so wird man dagegen Nichts einzuwenden haben, frägt man sich aber, wer es gemacht hat, so ist der Mangel jener künstlerischen Individualität, jener ganz eigenartigen Physiognomie auffallend, welche wir in den andern Werken dieses geschätzten Componisten, wie in seinem Quartett, Quintett, in der Suite und in der Ouvertüre zu »Sakuntala« so entschieden ausgeprägt finden. Glücklicherweise aber ist das Scherzo bereits zehn Jahre alt, und neu ist daran nichts als die Veröffentlichung. Daß aber Goldmark’s Persönlichkeit in einem Werke, welches er vor einem Decennium geschrieben, noch nicht ausgeprägt war, daraus kann ihm in den Augen eines Vernünftigen weder ein Tadel noch ein Nachtheil erwachsen. Man fällt eben nicht als ein Fertiger vom Himmel herunter. Auch daraus, daß der Componist dieses Werk, welches kein Merkzeichen seines heutigen Kunstschaffens enthält, jetzt veröffentlicht und es gewissermaßen hiermit auch heute noch als das seinige anerkennt, soll ihm in unsern Augen kein Tadel erwachsen. Es haben dies andere Componisten auch gethan, ohne streng die Jahreszahlen der eigentlichen Entstehung anzugeben. Im Intereffe des Künstlers jedoch betone ich die frühere Entstehung dieses Scherzo’s ausdrücklich, damit jeder, der es kennen lernt, wisse, was er zu erwarten habe, und sich nicht der Meinung hingebe, ein Werk des heutigen Goldmark vor sich zu haben. Das Wiener Publicum fand übrigens an dieser Composition solches Gefallen, daß es dieselbe stürmisch zur Wiederholung verlangte. (Neue Zeitschrift für Musik vom 28. April 1871)

* Freilich ist der Geist, der uns aus dem »Orpheus« entgegenweht, ein ungleich originalerer, als wir denselben in einer gleichfalls aufgeführten Novität von Goldmark, einem Orchester-Scherzo aus Emoll, zu finden vermochten. Dieses Stück, welches vor Liszt die entschiedensten musikalisch formellen Vorzüge voraus hat; natürlichen Fluss, Klarheit, Abrundung, Steigerung etc., schliesst sich in den Gedanken so enge an Mendelssohn und Schumann an, der Hauptsatz liegt so direct im Scherzo des »Sommernachtstraumes« (auch in der Instrumentirung) vorgezeichnet, dass wir diesen Abfall des Componisten von der in seinem B dur-Quartette, der »Sakuntala«-Ouverture u. A. gewonnenen charaktervollen Selbständigkeit anfangs beklagten. Wir erfuhren jedoch von Goldmark selbst, dass dieses E moll-Scherzo (ursprünglich in Es moll geschrieben) zu einer bereits vor 10 Jahren componirten Es dur-Symphonie gehöre, die der Autor als durchaus nicht mehr seinen jetzigen Standpunct bezeichnend nicht veröffentlichen wollte. Nur um einmal wieder ein Orchesterstück von sich zu hören und sein Vermögen, orchestral zu denken und auszuführen, zu prüfen (was im Hinblick auf sein angestrengtes Arbeiten an der Oper »Die Königin von Saba« sehr begreiflich), hat Goldmark das Scherzo, einen halben Ton höher transscribirt, etwas schärfer abgerundet und neu instrumentirt, den Philharmonikern zur Aufführung eingereicht, und man muss sagen, klingen könnte das gar nicht nobler und graziöser, war daher auch ein vollständiger, das Scherzo musste wiederholt werden. (Musikalisches Wochenblatt vom 12. Mai 1871)