Unter Laurencins Lupe: Einige Klaviermusik

… auf das Kommen der »Königin von Saba« wartet, rücken einige Klaviersachen aus Goldmarks Feder in den Mittelpunkt. Schließlich gilt es, im Gespräch zu bleiben und auch weiterhin das Interesse an künftigen Ereignissen hoch zu halten. Und vielleicht ist das, was Graf Laurencin kurz vor dem Weihnachtsfeste des Jahres 1868 in der Neuen Zeitschrift für Musik über Goldmarks frühe und frühere Klaviermusik zu sagen hat, ja sogar noch ein Geschenktipp für schnellentschlossene Freunde der Hausmusik …

Karl Goldmark. Op 5. Sturm und Drang. Neun charakteristische Stücke. 4 Hefte. Leipzig, Kistner. 2 1/2 Thlr.

Goldmark’s bis jetzt näher bekannt gewordene Werke: das in d. Bl. eingehend besprochene Streichquartett Op. 8, B dur, die an gleicher Stelle ausführlich gewürdigte Ouvertüre zu »Sakuntala« und die Suite für Clavier und Geige haben uns einen in seiner Sphäre reichbegabten und schon in hohem Grade geklärten Componisten bekundet. Das hier vorliegende Opus bezeichnet indeß, wie schon der Titel besagt, erst ein Ringen nach dem in den früher genannten Werken bereits festgestellten Ideale. Man hätte dieses Op. 5 auch treffend mit dem Sprüche »es irrt der Geist, so lang’ er strebt« überschreiben können. Denn es bekundet im Ganzen wie in allem Einzelnen einen noch gänzlich unversöhnten Kampf. Uebrigens muß ich mich von vornherein gegen die Zumuthung verwahren, als sähe ich etwa in diesem Werke einen unfertigen Kampf zwischen schwankendem Wollen und halbem Können. Nein. Im Gegentheil. Goldmark beherrscht auch hier bereits seinen Stoff als Meister der Idee und der Technik. Er weiß genau, was er will. Er zeigt sich auch hier schon durchgreifend als Herr der thematischen Gestaltung und der harmonisch-rhythmischen Gliederung seiner stets klar und urwüchsig hingestellten und ebenso entwickelten Gedanken.

Wenn ich dennoch von Maßlosigkeiten, ja von Krankhaftem in Fülle sprechen muß, die mir bei Durchsicht dieser neun Tonstücke entgegengetreten, so sage ich dies mit um so nachdrücklicherem Vorbehalte, als Wesen und Form einander hier vollständig decken und durchdringen. Was hier zu Tage tritt, ist wirklich erlebter »Sturm und Drang.« Dieser Wust von auf-, neben- und übereinander gestellten Vorzeichnungen, Tactarten, enharmonischen Weit- und Uebergriffen ergiebt sich hier als ein So- und Nichtanderskönncn des Autors. Mit diesem beinahe tactweisen Modulationswechsel und ebenso gearteten Rhythmenspiele geht hier gleichen Schrittes ein sozusagen immer kaleidoskopisches, rastloses Ringen der Themen nach Abschluß. Fast immer ist es hier ein Gewalt- oder Verzweiflungsruf melodisch-harmonischer oder rhvthmischer Art, der den Anschluß der vereinzelt hingestellten Gedankenglieder vollbringt. Jede halb- oder gar vollkommene Cadenz, die in diesen Stücken vorkommt, klingt wie ein ertrotzter, schwer gefaßter Entschluß, wie ein widerwillig herausgeschleudertes »Es muß sein« auf die immer als Quälgeist vorschwebende Frage: »Muß es sein?«

Und dennoch – wie seltsam sympathisch berührend und spannend, wie zum Immerwiederdurchsehen und Durchspielen regt dieses große Sturm- und Drang-Tonbild an! Zergliedern läßt sich hier Nichts. Man käme nicht von der Stelle. Jeder Tact ergiebt beinahe ein abgesondertes Bild. Und das Gesammtgebilde, hervorgegangen aus diesem überschwänglichen Detail, bleibt reizvolles Sphynxräthsel. Allein spielen und lesen mag man diese Tonbilder immerhin, und zwar recht oft. Gewiß, es wird Jedem schwer, sich von ihnen trennen, der je etwas Romantik nicht blos gesehen, gehört, gelesen, sondern in und aus sich selbst erlebt hat. Der solcher Periode widerwillig Entwachsene wird hier gar manchem Schwärmerliede »an die Entfernte« begegnen. Der noch von solchem Seelenverführungsnetze Umgarnte wird aber umsomehr schwelgen und aufleben in diesen Sturm- und Drangbildern Goldmark’s. Bisher auf solche Art nur angeredet von seinen untrennbaren Freunden Chopin und Florestan-Euseb-Schumann wird es gewiß jeden noch lebenden Romantiker solcher Richtung freuen, durch einen unmittelbaren Zeitgenossen mit derartiger, schon für immer verklungen geglaubter Sprache musikalisch begrüßt zu werden. Ob Weltschmerzler oder Hellseher gilt gleich; dem Musiker, der mehr als dieses, sei dieses Goldmark’sche Werk recht nahe gelegt. Er wird in mehrfacher Beziehung daraus lernen: positiv und negativ. Allein er wird des Lernens nicht müde werden von einem noch Lebenden. Denn nur Dieser hat Recht, wie auch ein ewig Lebender, daher ewig Rechtbehaltender dereinst gesagt hat. –

C. Goldmark. Op. 12. Drei Stücke für Pianoforte zu vier Händen. Wien, J. N. Dunkl. (Pest, Rozsavölgyj.) 2 fl.

Soviel als der stets überaus mühsamen Durchsicht eines vierhändigen Stückes zu entnehmen ist, pulsirt in diesen drei Tonstücken eine kernige, frische, vorwiegend absolute Musik. Allerdings sind es auch Stimmungsbilder, die Einem hier entgegentreten. Allein sie sind dies in weitester Wortbedeutung. Der gute Kerngeist der Neuzeit spiegelt sich hier vornehmlich reinmusikalisch, nicht gehalten durch ein bestimmtes Programm, wieder. Die Themen haben Kraft, Farbe und Zug; die harmonisch-rhythmische Gestaltungsweise nicht minder. Es sind Salonstücke edelster Färbung und Fassung. Sie erfordern von beiden Spielern keinen großen Aufwand von Technik, sondern einfach nur richtiges und feines Musiker-Gefühl und ebenso gearteten Verstand. Dergestalt besaitete Naturen dürften an diesen Gaben nachhaltiges Vergnügen erndten. Ihnen sei daher dieses Werk mit aller Wärme empfohlen. Dem bereits durch Höheres und Tieferes beglaubigten Namen des Autors werden diese Stücke weder sonderlich nützen, noch viel weniger aber schaden. Es ist eben ein guter, fertiger und reifer, überdies auch ein geistvoller und feinfühliger Musiker, der sie hingestellt hat. Freuen wir uns, daß wir ungleich Bedeutenders von ihm kennen. Gut musikalischen Kreisen, die zwischen Kammermusikwerken auch bessere Claviermusik knapperer Form pflegen wollen, seien diese Tonstücke bestens empfohlen. Dr. Laurencin. (Neue Zeitschrift für Musik vom 18. Dezember 1868)