Das Quintett in der Neuen Zeitschrift für Musik

Carl Goldmark, Op. 9. Quintett für 2 Violinen, Viola und 2 Violoncelle. Wien, J. P. Gotthard. 2 Thlr. 25 Ngr.

Goldmark hat, obgleich seine vorliegende neueste Komposition erst die Opuszahl 9 trägt, sich doch durch frühere Werke, namentlich durch das in No. 31 des 63. Bandes d. Bl. besprochene Quartett bereits einen geachteten Namen erworben und, wie seine neueste Schöpfung abermals beweist, verdient er denselben auch mit vollem Recht. Wir haben hier ein Werk vor uns voll wohlthuender Kraft und Frische, fern von allem Gemachten und ängstlich Schablonenhaften, das sich ebensosehr durch Inhalt, wie hauptsächlich durch ganz bedeutende Gestaltungskraft auszeichnet. Als principieller Gegner der herkömmlichen vier Sätze kann ich mich zwar mit der Form Goldmark’s nicht einverstanden erklären und habe auch sonst noch, wie sich später zeigen wird, einige Ausstellungen an seinem neuen Quintett zu machen, – aber trotz alledem erkenne ich gern an, daß man es hier mit einem Autor zu thun hat, von dem die Zukunft noch schöne Gaben erwarten kann.

Der erste Satz beginnt mit folgendem ganz eigenthümlichen Hauptthema:

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Außer diesem bietet folgendes Motiv noch einiges Durcharbeitungsmaterial:

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bis im Seitensatz eine breiter ausgeführte Melodie als Thema auftritt:

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Gewissermaßen eingeleitet wird diese Melodie durch ein rhythmisch sehr charakteristisches Motiv:
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welches in Folge der Vertheilung auf eine Violine, Violen und Violoncell in seiner Klangfarbe fast dem geheimißvollen Tone ferner Waldhörner gleichkommt.

Dies die Hauptmotive des ersten Satzes, der in vielfacher Beziehung nahezu ein Meisterwerk genannt werden muß. Auf die vielen und mannichfaltigen contrapunctischen Schönheiten desselben einzugehen, gestattet leider der Raum nicht, und muß ich mich auf die Mitteilung beschränken, daß die Durcharbeitung ebenso sein und poetisch geistvoll, wie die ganze Anlage ist.

Nicht das Gleiche läßt sich vom zweiten Satze, Andante con moto sagen. Ein Componist von Goldmark’s Bedeutung sollte sich von Melodien, wie diejenigen, welche den ersten und zweiten Theil des Satzes beginnen:

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schlechterdings fernhalten. Das sind Phrasen, welche denn doch nachgrade einem ziemlich überwundenen Standpuncte angehören. Der weitere Verlauf des Satzes entschädigt jedoch hinreichend durch edle Melodik und dramatische Lebendigkeit, die sich gegen den Schluß hin fast bis zur Tragik steigert.

Der dritte Satz, Allegro molto, ist wieder ein treffliches Stück origineller Conception. Hier ist jener echte Humor, der aus drastischer Gegenüberstellung der Gegensätze entspringt. Man urtheile selbst. Der Satz beginnt mit folgendem Motiv:

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Gegen dieses schon vom ersten Ton an packende echte Scherzothema tritt dann folgende fast lyrisch weiche Melodie:

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Diese beiden Themata bieten zu den mannichfachsten Conflicten Stoff und documentiren das Talent des Autors auch nach der humoristisch-musikalischen Seite hin.

Der vierte Satz beginnt mit einer träumerisch ernsten Einleitung Andante sostenuto, 4/4 Tact, an welche sich, durch den scharfen Kontrast doppelt wirksam, ein scherzoähnliches Allegro anschließt, welches hauptsächlich aus folgenden beiden Motiven gebildet ist:

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Wenn auch dieser letzte Satz nicht ganz so bedeutend ist wie die übrigen und besonders wie der erste, so hält doch auch er in reger Spannung durch dramatische Steigerung und das Auftreten mancher neuer Schönheiten und schließt das ganze Werk wirksam und zur vollen Befriedigung des Hörers ab. – Goldmark’s neues Quintett ist somit eine entschiedene Bereicherung unserer Kammermusikliteratur und ist demselben daher größtmögliche Verbreitung zu wünschen. Der beigegebene Clavierauszug zu vier Händen zeigt in dem Bearbeiter desselben, J. P. Gotthard, gleichfalls den kenntnißreichen Musiker und giebt das Original soweit als eben möglich getreu wieder. (Neue Zeitschrift für Musik vom 5. August 1870)