Carl Goldmark »en suite«

––… verschafft dem Komponisten im nächsten Jahr ein wenig Luft für sein großes Vorhaben, von dem – wie wir bald lesen werden – in unregelmäßigen Abständen das eine oder andere Gerücht an die Öffentlichkeit dringt. Die Feuilletons und Fachblätter legen jedenfalls gegenüber Carl Goldmark und seiner Suite die übliche Einstimmigkeit an den Tag: Man gönnt ihm die Anerkennung, stößt sich aber an dem einen oder anderen Detail der Musik – eine Phänomen, das sich nicht auf die Kreationen der frühen Jahre beschränken wird.

* (Hellmesberger’s fünfte Quartettproduction) wurde mit Schumann’s A-moll-Quartett eröffnet. […] Als zweite Nummer trugen die HH. Hellmesberger und J. Rubinstein Goldmark’s E-dur-Suite für Violine und Piano vor. Die zweite Aufführung (an der ersten betheiligte sich bekanntlich Frl. Bettelheim, jetzt Fr. Gomperz, als Pianistin) des geistreichen Werkes war durchaus gerechtfertigt, denn wer wird diese Suite, namentlich die beiden ersten Sätze derselben, nicht zwei- und mehrmals mit Vergnügen hören wollen! An und für sich ist schon der Geist, in welchem das Werk concipirt und geformt ist, ein höchst interessanter; denn es weicht in allen Beziehungen von der contrapunctischen Form der alten Suite ab. Es sind fünf ganz frei, zum Theil phantastisch stylisirte Sätze verschiedenen äußeren Charakters, ohne aber die besondere Individualität der Componisten, die sich in diesem Werke vielleicht unter seinen Arbeiten am stärksten ausprägt, irgendwie zu verläugnen. Die Krone bildet jedenfalls der zweite Satz, der vollständig originell dasteht. Von solchen Empfindungen der Trauer, Ergebung und Sehnsucht, wie sie aus diesen Melodien und Accorden herausklingen, mochten die Kinder Zions erfüllt gewesen sein, als sie ihre Harfen auf die Weide Babylons hingen. Aus dem Scherzo dagegen klingt ein minder origineller Zug, nämlich das wörtliche Thema des Scherzo aus der Rubinstein’schen A-moll-Violinsonate. Im Interesse des Werkes sollte Hr. Goldmark den Versuch nicht scheuen, diese Assonanz zu beseitigen. Die vortragenden Künstler gaben die Komposition in vollendeter Weise wieder. Hellmesberger legte allen Schatz seiner tiefen Empfindung in Ton und Vortrag, Hr. Rubinstein spielte mit voller Sicherheit und ungewöhnlicher Frische. Werk und Vortrag fanden lebhafte Anerkennung; die Ausführenden und der Componist wurden wiederholt gerufen. Möchte der Erfolg für Hrn. Goldmark zum Impulse eines etwas regeren Schaffens werden; er liebt doch gar zu lange Pausen. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 21.Jänner 1868)

Vor Allem müssen wir Herrn Hellmesberger die Anerkennung dafür aussprechen, daß er es versteht, Novitäten und zwar gediegenen Inhaltes an’s Tageslicht zu fördern, und was noch viel mehr sagen will, weil es von größerer Wichtigkeit ist, in’s Publicum einzubürgern. Darin besteht wahrhaftig nicht die ganze Energie einer Concertgesellschaft, daß man hie und da einmal ein neues Werk gleichsam wie ein Experiment vorführt und sich, wenn die Theilnahme des Publicums geringer ist, als man thörichter Weise erwartet hat, dann gleich eingeschüchtert in sein Schneckengehäuse zurückzieht; nein, die wahre Aufgabe einer Concertunternehmung besteht darin, eigene und selbstständige Anschauungen zu haben und sie auch vertreten zu können; dies geschieht aber nur dadurch, daß man solche Werke, bei denen man nicht sogleich auf ein allgemeines Verständniß stoßen zu können glaubt, durch wiederholte Aufführungen dem Verständnisse des Publicums näher zu bringen sucht, und so hat denn Hellmesberger, dieser um das Wiener Concertleben in so vielfacher Weise verdiente Künstler, auch in seiner zuletzt abgehaltenen fünften Quartettproduction die Piano-Violin Suite von Carl Goldmark zum zweiten Mal öffentlich vorgeführt und sich dadurch, wie der außerordentliche Erfolg es bewiesen (Goldmark mußte zwei Mal erscheinen), den Dank des Publicums erworben. Das Werk steht aber auch auf jener künstlerischen Höhe, daß – bei den Verständigen – die Wirkung auf die Länge der Zeit unmöglich ausbleiben kann, namentlich der zweite Satz ist ein Musikstück von hinreißender Schönheit, Gedankentiefe und Gemüthsinnigkeit. Goldmark’s Stärke scheint uns, wenn wir uns bei der Gelegenheit an sein Quartett erinnern, vorzugsweise im Adagio zu liegen, das heißt in der breiten Entfaltung eines weithin sich ergießenden Stromes von Empfindungen. Wenn man bedenkt, daß auf einen Componisten, der im Stande ist, ein wirklich seelenvolles, wirklich empfundenes und musikalisch selbstständig erfundenes Adagio zu schreiben, mindestens ein Dutzend solcher kommen, die ein gutes, anhörbares Scherzo zuwege bringen, bei welchem es sich weniger um die Empfindung als vielmehr um einen gewissen prickelnden Rhythmus handelt, so haben wir damit schon ausgesprochen, wohin wir Goldmark setzen und welchen Platz wir ihm unter den Componisten der Gegenwart einräumen. Herr Joseph Rubinstein, welcher in Goldmark’s Suite den Clavierpart spielte, entledigte sich, abgerechnet eine gewisse Befangenheit, von der er nicht gleich anfänglich frei war, seiner Ausgabe in sehr würdiger Weise und verdient unsere beste Anerkennung. (Das Vaterland vom 22. Jänner 1868)