Das Streichquartett in der „Presse“

… in der Presse geschickt zwischen Zustimmung und Bedenken zu jonglieren und in der freundlichen Notiz die stille Hoffnung zu verbergen, es möchte doch recht bald eine wirkliche Novität aus Carl Goldmarks Feder erscheinen.

* Besonders erfreulich […] war uns die Bekanntschaft mit einem Quartett von Goldmark, das wir bedingtermaßen als Neuigkeit annehmen können, da es seit seinem Debüt vor sechs Jahren nicht wieder gehört wurde; für uns persönlich war es thatsächlich eine Novität. Wir stehen nicht an, dies Werk eine der bedeutendsten Schöpfungen der Gegenwart auf dem Gebiete der Kammermusik zu nennen.

Hier sprudelt doch endlich einmal ein eigenartiges Tonleben aus der kunstreichen, durchsichtigen Architektonik der Form hervor; es zeigt sich nirgends etwas Erzwungenes, durch die Reflexion mühsam der Kunst Abgetrotztes; überall entfalten sich die Themen und Phrasen organisch, die Form wächst sozusagen aus sich heraus. Dem Kunstjünger kann das meisterhaft gebaute Werk einen neuen Beweis geben, wie fruchtbar und bildend das Studium der Werke Bach’s ist. Denn der Styl des Altmeisters steckt im Hintergrunde, ohne daß er die Eigenartigkeit des Ausdrucks in Verdacht brächte; man hört in allen Sätzen, namentlich im zweiten, einem stimmungsvollen Andante von elegischem Charakter, die Bach’sche Sequenz durchklingen, aber in so eigenthümlicher Behandlung, daß der Styl dadurch nur einen straffern, concentrirtern Charakter erhält, ohne auf etwas Fremdartiges anzuspielen. Dem Studium Bach’s verdankt der Componist auch die gediegene, polyphone Führung der Stimmen; kein Instrument zeigt sich irgendwo auf unnützen Wegen, keines läuft müßig umher, sondern ein jedes weiß was es zu sagen hat, und sagt es etwas, so ist dies stets an seinem rechten Orte. Kurz, das Quartett gehört zu jenen Leistungen, von denen der alte Zelter zu sagen pflegte: »Darin steckt etwas.«

Es wird uns diesmal wirklich schwer, uns über den höheren und niederen Werth der einzelnen Sätze zu entscheiden. Das Finale ist entschieden die schwächste Partie des Ganzen, dagegen können sich das elegische Andante in F-moll und das Scherzo in F-dur füglich den Rang streitig machen; jedes von beiden ist in seinem eigenthümlichen Wesen gleich rund und plastisch ausgeprägt. Wir möchten dem Scherzo den Vorzug geben und zwar wegen eines feinen künstlichen Zuges an einer Stelle, der Verbindung zweier ungleicher Zeitmaße durch die Bratsche, welche den Gesang des Themas bedächtig im alten 2/4-Tact lang ausspinnt, während die übrigen Instrumente sich übermüthig in den 3/4-Tact stürzen. Die Wirkung dieser Stelle ist überaus drastisch und eigenthümlich, frei von aller Pedanterie eines künstlich Gemachten. Auch das Publicum hat diesen Satz vorgezogen, indem es ihn wiederholen ließ. Man könnte noch Vieles über dies zwar nicht umfangreiche, aber interessante Werk sagen und wir werten es bei passender Gelegenheit nicht versäumen. Vorläufig können wir nur wünschen, daß Herr Goldmark in diesem Sinne fortarbeiten und der Natur des Schönen treu bleiben möge. E. Schelle. (Die Presse vom 11. Jänner 1867)