Carl Goldmark: Ein Portrait (1870)

goldmark_portrait-1870Zu den achtbarsten österreichischen Tonsetzern moderner Richtung zählt unstreitig Carl Goldmark, dessen Quintett Op. 9 bereits in No. 18 des »Musikalischen Wochenblattes« eine eingehende, der Hauptsache nach sehr anerkennende Beurtheilung erfahren hat.

Der einfache Lebenslauf unseres Künstlers, welcher, wie so viele seiner Zeitgenossen, grösstentheils Autodidakt geblieben, ist in vieler Hinsicht lehrreich. Den 18. Mai 1832 zu Keszthely in Ungarn geboren, erhielt Goldmark den ersten Musikunterricht (auf der Geige) 1843 im Oedenburger Musikvereine. Die von ihm daselbst rasch gemachten Fortschritte veranlassten die Eltern, ihn ganz der Musik zu widmen.

 

Der Knabe ging 1844 zur weiteren Ausbildung nach Wien und genoss daselbst den Violinunterricht von Jansa. Im Jahre 1847 – 1848 besuchte er die Classe für Harmonielehre und die für Geige (Prof. Böhm) am Wiener Conservatorium. Leider dauerte dieser fruchtbringende Unterricht nur wenige Monate: die stürmischen Märztage unterbrachen für längere Zeit alle weiteren Unterweisungen. – Ohne irgend welche Kenntniss der Compositionslehre oder der classischen Literatur hatte doch Goldmark, einem unwiderstehlichen Schaffensdrange folgend, schon seit frühester Jugend im Stillen componirt, zumeist für die Geige. 1854 hatten einige Werke von Mendelssohn auf den jungen Künstler den grössten Eindruck gemacht, er ging nun die nächsten Jahre hindurch, wie so manche Mitstrebenden, vollständig in dieser Manier auf.

1857 trat Goldmark in einem selbständig gegebenen Concerte mit mehreren grösseren Werken (Clavierquartett, Psalm für Chor , Soli und Orchester, Ouvertüre) vor das Publicum.

1858 ging Goldmark nach Pest, lebte daselbst in grosser Zurückgezogenheit den ernsten Studien und zwar diesen auf breitester Grundlage; Contrapunct, Fuge und Orchestration wurden nach allen Richtungen durchgenommen, wissenschaftliche Arbeiten, namentlich philosophische mit Vorliebe getrieben. Das eingehende Studium der Werke Bach’s, welcher dem Künstler bis dahin so gut wie fremd war (wohltemperirtes Clavier, Violinsonaten, H moll-Messe), Robert Schumann, Richard Wagner’s »Lohengrin« und die letzten Werke Beethoven’s wirkten damals gleichzeitig mächtigst auf Goldmark ein – sie rissen ihn aus der bisher verfolgten Mendelssohn’schen Richtung und stellten ihn nun mit einem Schlage auf eigene Füsse.

Das Claviertrio Op. 4 und die bezeichnend »Sturm und Drang« genannten Clavierstücke gehören dieser Zeit an. 1859 gab Goldmark wieder ein Concert mit eigenen Compositionen in Pest, jedoch führte ihn schon das nächste Jahr 1860, dem Bedürfnisse grösserer künstlerischer Anregung und Bethätigung folgend , nach Wien zurück, er schrieb hier sein Streichquartett in B, welches ihm selbst als seine gelungenste Arbeit erscheint, und führte dasselbe mit anderen Stücken in einem eigenen Concerte 1861 auf. Von nun an hat Hellmesberger die Vorführung seiner Novitäten übernommen und fast jährlich eine solche oder eine Wiederholung Goldmark’scher Werke in das Programm seiner Quartettsoireen aufgenommen.

Die meiste Verbreitung unter Goldmark’s Compositionen haben wohl die Suite für Clavier und Geige und die Concertouverture »Sakuntala« gefunden.

Letztere ist in Stuttgart, Cöln, Leipzig, Moskau, Petersburg, New-York, Breslau, Wien und Pest (in den drei letztgenannten Orten je 2 mal) zur Aufführung gekommen und hat fast überall enthusiastischen Beifall gefunden.

Als Componist theilt Goldmark einen gewissen Eklekticismus mit den besten der Zeitgenossen. Er strebt, im Bewusstsein der ihm von der Natur gewordenen von Haus aus mehr reproductiven Begabung, nicht, neue Bahnen zu eröffnen , sondern er will innerhalb der von den grossen Meistern überkommenen, von ihm noch immer als lebensfähig anerkannten Formen fortschaffen und in diesen Grenzen ist er gar oft neu und überraschend. Am aller allerwenigsten will Goldmark ein Vielschreiber sein, die Zahl seiner bisher im Druck erschienenen Compositionen (deren Verzeichniss wir weiter unten folgen lassen) ist nur gering, aber auf jedes einzelne Werk setzt der Componist hohen Ernst, er versenkt sich ganz in die vorhabende Aufgabe, er sucht überall Formenklarheit mit wahrem Gefühlsausdruck zu vereinen. An der überschwänglichen Innigkeit des letzten Beethoven grossgezogen, sucht Goldmark in seinen langsamen Sätzen den Meister hier und da an Intensität seelischen Ausdruckes noch zu überbieten, dies erzeugt dann manchmal ein all zu grosses Uebergewicht des Sentimentalen, ein Verfliessen ins Weichliche, welches dem Componisten von einem Theile der Kritik als »morgenländisches Element« ausgelegt wurde, während, wenn man bei diesem Urtheile an die bekannte Broschüre Richard Wagner’s denkt, gerade Goldmark durch seine ernste und herzlich gemeinte Hingabe an die Kunst, durch die ungeheuchelte Wärme seines Empfindens den besten Beweis für die Einseitigkeit besagter Schrift abgibt. – Dass in manchem Goldmark’schen Satz , vielleicht auch in einzelnen seiner Lieder gleichsam wie Jugenderinnerungen sich der Zusammenhang mit seiner ursprünglichen Stammeseigenthümlichkeit geltend macht, dürfte eher richtig sein, doch gehören diese Sätze, deren schwermüthige Tonweisen bei alledem nicht origineller Wirkung entbehren, zu den Ausnahmen. Bei seinem angeborenen Formensinn weiss Goldmark seine Werke nach einem übersichtlichen grossen Plane, plastisch bis in die einzelnen Themen hinab, zu gestalten*) , einen Vorzug, den er mit Brahms gemein hat, wie ihm andererseits die eifrige, in die Tiefe gehende specielle Pflege der Kammermusik neben Robert Volkmann stellt.

In letzter Hinsicht und überhaupt hält Goldmark, wie erwähnt, sein Streichquartett aus B für das Beste, was er geschrieben. In der That haben wir es hier mit einem der charaktervollsten Kammermusikwerke der Gegenwart zu thun und wir können die Worte nur vollkommen unterschreiben, welche der geistvolle Musikkritiker Laurencin der eingehenden, gründlichen Besprechung des Quartettes im 63. Band der »Neuen Zeitschrift für Musik« von 1867 voranschickt: »Durch das Ganze geht ein Zug urwüchsiger Kraft, Tiefe, Feinheit und Frische. Dies gilt vom Gedankenhaften, wie vom Gestaltlichen. Man trifft hier keine Spur ängstlicher Epigonenhaftigkeit. Allerdings hat dieses Opus 8 Goldmark’s seine gleich unleugbaren, wie unumgänglichen Prämissen. Sie heissen ; Bach , Beethoven, Schumann und neudeutsche Schule. Allein Goldmark’s Schöpfernatur tritt schon hier selbstvoll, ausgeprägt, äußerlich und innerlich fertig auf. Man hat es hier bereits mit einem Meister höherer Rangstufe zu thun«.

Wie in diesem Opus 8 mit dem Quartettsatz völlig vertraut, so offenbart sich Goldmark in seinem Op. 13, der »Sakuntala«, als Meister der Orchestercomposition. Dieses Werk, eine poetische Illustration des Kalidasa’schen indischen Dramas und insofern Programm-Musik, ist auch demjenigen, welcher die zu Grunde liegende Dichtung nicht kennt, rein musikalisch vollkommen verständlich, die freien und doch festen Formen, die Neuheit der Gedanken, die wahrhaft glänzende Instrumentation, welche zumeist auf Wagner weist – Alles zusammen bekundet den entschiedensten Beruf zu orchestralem, besonders dramatischem Schaffen und lässt auch von der grossen Oper »die Königin von Saba«, an welcher Goldmark bereits fünf Jahre arbeitet, in deren heut zu Tage als so hochwichtig erkanntem instrumentalen Theile mächtige Wirkungen erwarten. Aus Goldmark’s jüngst bei Gotthard in Wien herausgegebenen »Liedern« ersehen wir, dass er hier überwiegend dem declamatorischen Princip, jedoch auf breiter melodischer Grundlage, huldigt, und können daraus einen Schluss über die Behandlung des Gesanglichen in der »Königin von Saba« ziehen.

Was die »Lieder« selbst betrifft, so sichern ihnen ernste, charaktervolle Haltung eine durchaus ehrenvolle Stelle unter den Werken dieses Genres der gegenwärtigen Zeitperiode.

Im Druck erschienen sind bisher von Goldmark ;
3 Clavierstücke.
9 Clavierstücke (4 Hefte: »Sturm und Drang«).
3 vierhändige Clavierstücke.
Trio für Clavier, Violine und Violoncell, B-dur.
Streichquartett, B-dur.
Quintett in A-moll für 2 Violinen, Viola und 2 Violoncelli.
Suite für Clavier und Violine.
12 Lieder für eine Singstimme mit Clavier (3 Hefte).
4 Chöre (für 4 Männerstimmen mit Clavier und Hörnern, 3 Hefte).

Ein gemischter Chorsatz, C-dur.
Ouvertüre »Sakuntala« für Orchester.
Scherzo für Orchester (noch im Drucke).
»Die Königin von Saba« Oper (der Vollendung nahe).

*) Allerdings ist dieser Vorzug erst den geklärteren Werken, etwa von Op. 8 an, eigen.

Musikalisches Wochenblatt vom 8. Juli 1870