… unser lieber guter Professor Robert Fuchs

Es war im letzten Philharmonischen Konzert. Felix Weingartner hatte die E-Moll-Serenade von Robert Fuchs dirigiert. Das anmutige Scherzo und das feurige Finale alla Zingarese hatten, wie immer, am besten gefallen. Nun legte der Dirigent, während lebhaftester Beifall den Saal durchrauschte, den Taktstock nieder und eilte zu der wohlbekannten Kleinen Tür, hinter welcher sich erfahrungsgemäß diejenigen Komponisten zu verbergen pflegen, die dann je nach Temperament und Beifallstemperatur freudig bewegt und mit dankbarem Lächeln vor das applaudierende Publikum treten oder verlegen und beschämt sich mit gutgespieltem Widerstreben auf das Podium ziehen lassen. Aber diesmal war niemand hinter der Türe und auch im Saal war Robert Fuchs nirgends zu entdecken. Daran, an dieser ganz untheatralischen Bescheidenheit erkannten wir wieder unseren lieben guten Professor Robert Fuchs. Und so hat er am Ende gar nichts von den stürmischen Kundgebungen gehört, die dem Werke wie dem Meister galten, der sich nunmehr anschickt, rüstigen Schrittes die Schwelle des siebzigsten Lebensjahres zu überschreiten. Als Komponist konnte er sich während des Philharmonischen Konzertes verstecken, als Jubilar muß er schon fein stillhalten, wenn sich die Wortführer der unzähligen Verehrer seiner anmutvollen, meisterlich gefügten Werke, Freunde und Schüler, einstellen, um ihre Glückwünsche darzubringen.

Aus dem Wiener Konservatorium hervorgegangen, hat Robert Fuchs dieser Anstalt vom Jahre 1874 bis 1912, also fast drei Jahre noch über die Verstaatlichung hinaus, als Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt angehört. Als Otto Dessoff Wien verließ, übernahm Professor Krenn den Kompositionsunterricht, Hermann Grädener und Robert Fuchs, der bis dahin Supplent gewesen war, die Harmonielehre. Als seine bedeutendsten Schiller sind Hugo Wolf und Gustav Mahler zu nennen, dann Zemlinsky, Franz Schmidt, Schreker, Stöhr, Lafite, Fall und Raoul Mader. Aber auch alle diejenigen, die bei Robert Fuchs in der Lehre waren, ohne jetzt einen berühmten Namen zu tragen, dürfen sich rühmen, in einer guten Schule gewesen zu sein. And wenn man diesen oder jenen, der bei Fuchs die Geheimnisse des vierstimmigen Satzes ergründet hat oder seine ersten kompositorischen Gehversuche machte, nach Art und Methode seines Meisters fragt, da wird er gesprächig und kann nicht genug von diesem gütigsten und nachsichtigsten aller Menschen sprechen, der von „seinen Studenten Ernst, Fleiß und Gründlichkeit mit unerbittlicher Strenge forderte, aber wenn es zur Prüfung kam, verstehend und verzeihend gleich einem rettenden Engel hinter ihnen stand.

Die Grundzüge des Charakters, wie sie sich im Menschen, im Lehrer Robert Fuchs offenbarten, finden sich notwendig auch in seiner Kompositionsweise wieder. Auch in seiner Musik ist Fuchs geradlinig ohne Brutalität, liebenswürdig ohne Hintergedanken. Im Wesen anspruchslos, liebt er das Auftreten in bescheidenem Gewande. Wohl müssen auch solche mehr idyllische Naturen Schmerz und Not kennen und den Kampf der Seele gegen Finsternisse. Aber sie finden leichter als andere und ohne Pathos in ihre Beschaulichkeit zurück. So etwa, wie Robert Fuchs in seiner C-dur-Symphonie, die schmerzliche A-Moll-Episode inmitten froher Gedanken und anmutiger Ländlerheiterkeit ein »Intermezzo« nennt; eine ziehende Wolke, die nur für Augenblicke die Sonne verdunkelt.

Schon darum konnte Robert Fuchs nicht als Symphoniker gelten im Sinne der Beethoven, Brahms und Bruckner, denen das symphonische Feld ein Kampfplatz zu gewaltigem Ringen geworden ist. Die starken auf die Wirkung des Kontrastes gestellten emotionellen Gedanken, die erschütternd schmerzlichen und sehnsüchtigen Visionen sind seine Sache kaum. Aber auch die Romantik der Morgen- und Nachtmusiken braucht ihre Sänger, braucht zarte Zeichnung, feine und feurige Stimmungsmalerei. Und da tritt neben Symphonie und Suite heiter und graziös die Orchesterserenade, Johannes Brahms und Robert gingen voran, Robert Fuchs folgte. Die Serenade wurde ihm das Gebiet freiester Entwicklung. Unerschöpflich strömten ihm hier die melodischen Einfälle; Formtalent und Klanggefühl banden diese bei aller Schlichtheil niemals banal harmonisierten Melodien zu duftigem Strauße. Gleich die erste Serenade in D-Dur ist ganz in Frohsinn und wienerische Liebenswürdigkeit getaucht, sie zeigt schon den jungen Robert Fuchs als Meister in der Behandlung des Streichorchesters, aus dem er mit den einfachsten Mitteln mannigfache koloristische Reize zu ziehen vermag. Die Serenade erklang zum erstenmal in einem von Dessoff dirigierten philharmonischen Konzert des Jahres 1874 und wurde mit Wärme aufgenommen. Zwei Jahre vorher hatte sich Dessoff schon einer Symphonie in G-Moll angenommen. Hans Richter hob dann die Symphonien in C und Es aus der Taufe, nahm sich mit gleicher Ueberzeugunq der Serenaden in C-Dur, E-Moll, G-Moll (die dem Streicherchor auch zwei Hörner gesellt) und der Jobann Strauß gewidmeten Serenade Nr. 5 an, von denen jede wiederholt zur Aufführung gelangte. Ist die dritte Serenade die populärste, so zeigt sich in der vierten eine Vertiefung der Satzkunst und zugleich ein Ernst der musikalischen Gedanken, der ihren frischen Vorgängerinnen fernelag und der mit Fug dem Brahmsschen Einflusse zugeschrieben wird, dem sich damals nur wenige schaffende Musiker entziehen konnten oder wollten. Fuchs gehörte bestimmt nicht zu den letzteren. Er verehrte Brahms und Brahms hielt viel von dem jüngcrcu »Kollegen«, zog ihn gerne in seinen Freundeskreis.

Zwei Opern von Robert Fuchs hatten bloß vorübergehenden Erfolg. »Die Königsbraut« wurde 1889 in der Wiener Hofoper, »Die Teufelsglocke« 1892 zu Leipzig ausgeführt. Zur »Königsbraut« hatte Fuchs den Text von I. Schnitzer erhalten. Zur Geschichte der schönen Elfriede und Königs Edgar, des englischen Don Juan, hatte Fuchs eine hübsche, wenn auch nicht übermäßig dramatische Musik geschrieben, die in vornehmer Haltung und Zurückhaltung Meister Fuchs nicht verleugnete, wohl aber hinter den Forderungen des Theaters zurückblieb. Sowie Fuchs sich wieder der kleineren Form näherte, stellte sich der große Erfolg ein. Im Jahre 1882 verlieh ihm ein Preisrichterkollegium, dem Brahms, Goldmark, Hans Richter, Johann Nep. Fuchs, Hellmesberqer und Krenn angehörten, für sein Klavierkonzert in B-Moll die »Beethoven-Kompositionsstiftung«, jene Ehrengabe, die später über einen Antrag von Brahms in einen »Kompositionspreis der Gesellschaft der Musikfreunde« umgeändert wurde. 1897 hatte die Ouvertüre »Des Meeres und der Liebe Wellen« bei ihrer Uraufführung in einem philharmonischen Konzert ansehnlichen Erfolg. Kammermusikwerke, drei- und vierstimmige Frauenchöre, zahlreiche Lieder und Gesangstücke, zwei- und vierhändige Klavierwerks bezeugen die Mannigfaltigkeit eines Schaffens, das Fuchs dauernd den Ehrentitel eines »feinsten musikalischen Goldschmiedes«, eines Meisters der Miniatur, sichert.

Die letzten Arbeiten Robert Fuchs’, die uns bekanntgeworden sind, eine melodiöse Violinsonate und ein Chor »Maria Himmelfahrt«‹ mit Baritonsolo und Orchester, zeigten unseren Meister keineswegs ermüdet, vielmehr in überraschender Vertrautheit mit den Errungenschaften der neueren Aesthetik. Einem rüstigen, lebensfreudigen Jubilar gilt unser Geburtstagswunsch. Und. der Wunsch wandelt sich zum Dank für alles Schöne, Zarte, Gütige, daß er als Schaffender und Lehrer zu geben hatte. An seinem Ruhm, an den Erfolgen seiner Schüler entzünde sich nun verklärend das Abendrot seines reichen Lebens. (Neue Freie Presse vom 15. Februar 1917)