… bloß für das große Publikum

Rundschau.
Oper.
Brünn.

Die diesjährigen Maifestspiele haben uns die Kenntnis von zwei neuen Opern vermittelt, die kurz hintereinander die örtliche Erstaufführung erlebten. Die erste davon, »Ein Wintermärchen«, Musik von C. Goldmark, Text frei nach Shakespeare von A. M. Willner, entsprach keineswegs den gehegten Erwartungen, da sie nicht allein infolge der nur durch das bereits vorgeschrittene Alter des Komponisten verständlichen Lückenhaftigkeit der Musik, sondern auch durch ihre deutliche Absicht, bloß für das große Publikum zu bestehen und dieses für sich zu gewinnen, von vornherein auf jede ernstere Beurteilung zu verzichten schien. Wohin Goldmark der Drang, sein Stück möglichst gut zu versilbern, geführt hat, läßt sich leicht denken; er griff ganz einfach zu Mitteln, die bisher noch nie verschlagen haben, zu Rührszenen, die er mit oft erbärmlich trivial klingender Musik breitzutreten wußte. Wenn auch seine letzten Opern nicht frei von dem Vorwurf waren, eine vornehme melodische Ausdrucksweise stellenweise gemieden zu haben, so hatte sich Goldmark bisher noch niemals zu derartig niedrigen musikalischen Diensten verstanden wie in seinem »Wintermärchen«; besonders das geradezu abstoßende melodische Geschmachte, das im ersten Akte bei den Worten »Hermione, wie lieb’ ich dich« beginnt und später zum Überdruß oft wiederkehrt, war Goldmarks absolut nicht würdig und wäre besser unterdrückt worden. Dabei sei von der erfindungslose Strecken erfüllenden, oft geradezu kindisch-naiv geratenen Hilfsmusik und von der manchmal recht mangelhaften, hie und da nur das Gröblichste betonenden Instrumentierung ganz abgesehen. Alles in allem gesagt, wäre es für Goldmark als Künstler weitaus klüger gewesen, seine öffentliche Laufbahn mit dem schon manchenorts bedenklich geratenen »Heimchen am Herd« zu beschließen; denn späte Lorbeeren zu pflücken war nur wenigen und bloß erstklassigen Meistern vergönnt – und darüber, daß Goldmark weder heute noch früher zu denselben zu zählen war, braucht ja als öffentliches Geheimnis kaum mehr verschwiegen zu werden. – Weit interessanter gestaltete sich Jul. Bittners Oper »Die rote Gred«, die wenigstens von dem ernsten Bestreben ihres Autors, seine Musik in eine vornehme, gewählt und fesselnd gestaltete, modernen Ansprüchen gerecht werdende Form zu kleiden, Zeugnis ablegt. Leider sind auch hier einige Kardinalfehler zu bemängeln, die vor allem in der spärlich fließenden Erfindungskraft des Komponisten und in dessen allzu einseitigem und viel zu ausgedehnten Gebrauch der Vorhaltstechnik zu suchen sind. Ersteren weiß er jedoch durch geschickt eingeschaltete, harmonisch und technisch reizvoll gestaltete Episoden, letzteren durch eine, die Härte namentlich jener frei eintretenden, herb klingenden Vorhaltsklänge mildernde, farbenreiche In[s]trumentierung zu begegnen. Da überdies auch der von Bittner selbstverfaßte Text recht wirkungsvoll ist, so dürfte die Oper, um so mehr als sie in glänzender Weise von der Wiener Hofoper in die Öffentlichkeit eingeführt wurde, sich noch mancher Erfolge erfreuen. Br. Weigl.
(Musikalisches Wochenblatt vom 29. Juli 1909)