Längen und ermüdende Breitspurigkeit

Brünner Theaterbrief
Brünn, am 8. Mai 1909

Sehr geehrter Herr Redakteur!

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Der erste Abend brachte die Premiere von Goldmarks »Wintermärchen«. (Ein wiener Scherzwort zeitigte seinerzeit die Bemerkung »Minderwertchen!«) Es ist Goldmark, der zu uns spricht, aber Goldmark der Alternde; man merkt eine gewisse Einförmigkeit der Erfindung im Vergleiche mit seinen früheren Werken; dieselben Orchesterstimmungen und Tonfarben klingen und leuchten aus der Partitur, die lyrischen Stellen geben sich in gleichgearteter Weise und Klangführung. Sie sind die effektvolleren und schöneren, sie tragen echten Goldmark in sich und geben noch immer ein glänzendes Zeugnis für ihren Schöpfer. Die Wirkung des Werkes wird durch Längen und ermüdende Breitspurigkeit arg beeinflußt. Da und dort führt uns ein leises Erinnern zum »Heimchen« und zur »Königin von Saba«; wir folgen gerne den uns nicht ganz unbekannten Motiven und freuen uns heute über den Goldmark von einst, der eben nun wieder sein freundliches Gesicht zu uns wendet, als wollte er uns fragen „Klingt das vielleicht doch nicht schöner, als die Musik Eurer Uebermodernen?«
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Herr Schmedes und Frau Hilgermann waren eingeladen, der Ausführung das Festgepräge zu verleihen. Schmedes bot als Leontes eine herrliche Leistung; sein Organ und seine Erscheinung kamen der Partie glücklich zustatten. Frau Hilgermann (Hermione) erwies sich als vornehme Gesangskünstlerin. Frl. Stein und Herr Pietsch waren als Perdita und Florizel gesanglich und darstellerisch mit bestem Wollen und Können am Werke. Die Herren Aschner (Valentin), Kriener (Polixenes), Hanke (Antigonus) und Frl. Willison (Pauline) wirkten verdienstvoll in kleineren Partien mit. Der Camillo war – in der Not – Herrn Maluschinski zugewiesen worden und dieser sang ihn; die Bereitwilligkeit wollen wir als gute Tat gelten lassen. Künftighin muß aber für vollwertige Besetzung Sorge getragen werden; Launen eines Sängers sind heilbar. Herrn Regisseur Hankes Regie fand verdiente Anerkennung. Reicher Beifall war Herrn Kapellmeister Veith zuteil, der mit verstärktem Orchester ein tüchtiges Stück gediegener Arbeit bot und in nicht allzu reichlich bemessener Zeit die Neueinstudierung der Oper fertigbrachte.
(Der Humorist vom 10. Mai 1909)