Hier ist nichts von Senilität zu spüren
Theater Kunst und Musik
Wien, 3. Jänner 1907.
K. k. Hofoperntheater
(»Ein Wintermärchen«. Oper in drei Akten (frei nach Shakespeare) von A. W. Willner. Musik von Karl Goldmark. – Erste Aufführung im k.k. Hofoperntheater am 2. Jänner 1908.)
Endlich eine Novität des Hofoperntheaters, die einen unbestrittenen Erfolg erzielt hat und der man auch eine längere Lebensdauer prophezeien kann! Das Verdienst ihrer Aufführung ist nicht auf das Konto der neuen Direktion zu buchen, sondern Direktor Mahler hat noch Goldmarks jüngste Schöpfung: »Ein Wintermärchen« akzeptiert, nachdem er aus schwer verständlichen Gründen den »Götz« desselben Meisters abgelehnt hatte. Es war Mahler aber nicht mehr gegönnt, die Einstudierung des »Wintermärchens« zu leiten, die der Komponist selbst im Verein mit Hofkapellmeister Walter besorgte. Unendlich viel Liebe und Fleiß wurden für die sorgfältige Wiedergabe des Werkes aufgewendet, aber die Mühe lohnte sich. Sehen wir auch davon ab, daß die persönliche Anwesenheit des Komponisten von dem Publikum, das der interessanten Premiere beiwohnte, benützt wurde, um Goldmark rauschende Ovationen zu bereiten, so bleibt doch genug übrig, um dem Werk selbst reichliches Lob zu spenden.
Vor allem erscheint es wie ein Wunder, daß ein im achtundsiebzigsten Lebensjahr stehender Tonkünstler noch eine so farbenprächtige Musik zu schreiben vermag, wie sie uns im »Wintermärchen« geboten wird. Hier ist nichts von Senilität zu spüren und, wenn Goldmark diesmal so manche Reminiszenzen an seine früheren Schöpfungen erweckt, so ist es doch Eigenbau, den er präsentiert. Die Frische seiner Gestaltungskraft ist eine erstaunliche und nur Verdi könnte noch zum Vergleich herangezogen werden. Die virtuose Technik, über die Goldmark verfügt, half ihm auch über manche Schwierigkeiten hinweg, die das Textbuch enthält, das übrigens von A. W. Willner nach Shakespeares bekannter Dichtung ziemlich geschickt gearbeitet ist. Willner hat die fünf Akte des »Wintermärchens« auf drei zusammengezogen, konnte es aber nicht verhindern, daß der erste Akt an ermüdenden Breiten leidet, welche die Kunst des Komponisten nicht zu überbrücken vermochte.
Gleichwohl bietet auch der erste Akt viel musikalisches Schöne. Der Einzugsmarsch, der Chor »Streuet die duftigen Blumen«, Polixenes schwermutsvoller Sang »O Menschenglück, du gleichst der schwanken Blüte«, das Wiegenlied der Hermione, besonders aber die unendlich edle Klage der Königin über die Verblendung des sie der Untreue beschuldigenden Gemahls hinterlassen einen bedeutenden Eindruck. Durchschlagend wirkt jedoch erst der zweite Akt, ein langgesponnenes Idyll, das Goldmark mit liebenswürdigster Musik zu füllen wußte. Schon das Vorspiel ist voll Klangreiz. die Szenen zwischen Perdita und Florizel voll Weichheit und Anmut, ein Meisterstück ist das Lied Perditas mit Chorbegleitung »Schmücket euch mit Rosen«. Behäbiger Humor spricht aus den Arien des alten Schäfers und der melodiöse Ballettwalzer gemahnt lebhaft an Johann Strauß. Im kurzen dritten Akt wirkt die stimmungsvolle Musik, die der Wiedervereinigung der lange getrennten Gatten vorangeht, ergreifend, nicht minder der schöne harmonische Schluß der Oper.
Mit dem Komponisten teilten sich die Darsteller in die reichen Ehren des Abends. Man braucht nur ihre Namen zu nennen, um Bestes zu konstatieren. Frl. v. Mildenburg war als Hermione eine königliche Dulderin von edelster Erscheinung, zu der die liebreizende Perdita des Fräulein Kurz einen anmutigen Kontrast bildete. Herr Slezak sang und spielte den Leontes sehr wirksam und Herr Demuth entzückte als Polixenes durch die Pracht seiner Stimmittel. Vorzüglich waren Frl. Kittel (Pauline) und die Herren Schrödter (Florizel), Mayr (Valentin), Haydter (Kamillo) und Felix (Hausierer). Sehr liebenswürdig deklamierte Frl. Kiurina den munteren Prolog der allegorischen Figur. Glänzendes leistete das Orchester unter Herrn Walters temperamentvoller Führung. Auch die Inszenierung und Ausstattung der Oper verdienen volle Anerkennung. Alpha
(Neuigkeits-Welt-Blatt vom 4. Jänner 1908)