Gustav Mahler wider Götz von Berlichingen

… mit seiner Königin von Saba hatte erringen können, schien es ein ungeschriebenes Gesetz, wenigstens aber eine stillschweigende Verabredung, daß seine Bühnenwerke grundsätzlich von der Wiener Hofoper in die Welt der Musik ausgesandt wurden. Deshalb sah der Komponist offenbar auch keinen Grund, an dem Weg seines jüngsten Bühnenwerkes zu zweifeln. Da ich die Ereignisse in meinem Begleittext zu der eben (Ende August 2020) erschienenen cpo-Produktion (CD 555 251-2) dargelegt habe, gestatte ich mir, an dieser Stelle aus demselben die entsprechenden Zeilen zu zitieren, die ich hier – anders als im zugehörigen Beiheft – mit den direkten Verbindungen ins Zeitungsarchiv der ÖNB versehen kann:

• »Karl Goldmark arbeitet in Gmunden eifrig an seiner neuen Oper ›Götz von Berlichingen‹, deren Textbuch Dr. Alfred Willner schon vor längerer Zeit fertiggestellt hat. Die Handlung ist dem Goethe’schen Drama frei nachgebildet. Goldmark dürfte, wie man uns berichtet, im kommenden Frühling das Werk beenden. Im Herbst des nächsten Jahres soll ›Götz von Berlichingen‹ in der Wiener Hofoper zum ersten Male aufgeführt werden«, meldete die Wiener Zeitung vom 28. August 1900. Tags darauf folgten unter anderem das Neue Wiener Journal und der Pester Lloyd, denen sich am 5. September die Signale für die musikalische Welt (Heft 47) anschlossen, womit wir einmal mehr zu Zeugen der subtilen Informationspolitik werden, die Goldmark seit den ersten Wiener und Budapester Gehversuchen beherrschte: Was schwarz auf weiß gedruckt erscheint, tut immer, als sei’s die Wahrheit, und kann bei geschickter Streuung durch seine bloße Existenz gewünschte Realitäten schaffen, es sei denn, daß im System ein Störenfried steckte, der sich nicht so ohne weiteres vor den Karren der synthetisch hergestellten »öffentlichen Meinung« spannen läßt. Den aber gab es (sinnigerweise) im Falle des Götz von Berlichingen. Sein Name war – Gustav Mahler.

Seit 1897 erfüllte er das Amt des Hofoperndirektors, und es wird ihn nicht amüsiert haben, daß er aus einem der flinken Wiener Blätter von der Uraufführung der neuen Oper erfuhr, die sein Haus für den 4. Oktober, jedenfalls aber für die kommende Saison geplant habe. Derlei konnte er weder ausstehen noch zulassen, und das desto weniger, als es ihm (nach offizieller Verlautbarung) gegen den künstlerischen Strich ging, die schon im Sprechtheater außerordentlich schwierige Sturm- & Drang-Dichtung des jungen Johann Wolfgang von Goethe mit musikalischer Garnitur serviert zu sehen. Der Einwand mußte sich schnell herumgesprochen haben, denn im Juni 1902 erscheint in der Neuen Freien Presse (am 17. d.M.), in der Neuzeit (vom 20.) und etlichen anderen Tageszeitungen eine nahezu gleichlautende Notiz von zirka zwanzig Zeilen, die eindeutig darauf abgestellt ist, das Werk über eine gehörige Reklame durchzusetzen: »Der Librettist hat sich genau an Goethe’s Drama gehalten und auch den Versuch gemacht, seine Verse der Goethe’schen Prosa möglichst anzupassen«, versichert uns der (anonyme) Verfasser der Zeilen – was sich schon bei der flüchtigsten Inspektion des Textbuches als eine jener »zweckmäßigen Übertreibungen« erweist, die Roger O. Thornhill (alias Cary Grant) in North by Northwest als Privileg der Werbebranche beansprucht.

Gustav Mahler bleibt hart und muß sich ob dieser Standhaftigkeit kräftig anrempeln lassen. Als er, von verschiedenen Seiten eh schon ein mutloser Zauderer geheißen, nach jahrelanger Blockade dem wienerischen Götz im Herbst 1906 auch noch den Polnischen Juden des Delibes-Schülers Camille d’Erlanger (1863-1919) vorzieht, schlagen die Wellen nicht nur über der Musik des unglücklichen Elsässers zusammen. Es wäre gewiß eine spannende Frage, ob Mahlers Demission womöglich auch etwas mit dieser Affaire zu tun hatte …

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Während man in Wien nach dem Prinzip der steten Tropfen (erfolglos) versucht, Director Mahler weich zu klopfen, setzt Carl Goldmark seinen Plan B (wie Budapest) in die Tat um.