Des Heimchens erste Aus-Flüge

Heinrich Gottinger

Ein kleiner Bilderbogen und Reiseführer

Am 19. April 1896 meldet das Grazer Tagblatt, daß die Direction »Goldmarks Oper ›Heimchen am Herd‹ für die hiesigen Bühnen erworben« habe.

Neun Tage später ist aus demselben Blatte zu erfahren, daß Director Heinrich Gottinger »sich gestern nach Wien begeben [habe], um Goldmarks neue Oper ›Heimchen am Herd‹ kennen zu lernen«.

Am 1. Mai 1896 bringt Der Humorist auf seiner vierten Seite ein Portrait des würdigen Sir Augustus Henry Glossop Harris, von einem aufschlußreichen Texte eingefaßt:

Sir Augustus Harris

Wenn man die Namen der ersten Theater der Welt nennt, so ist auch das londoner Coventgardentheater darunter, eine Kunststätte, welche ohne jedwede Rücksichtnahme auf materielle Interessen ihrem Publicum die Bekanntschaft des Besten vermittelt, das auf dem Bühnenhorizont erscheint. Daß ein Mann, der ein solches Theater leitet, mit den hervorragendsten Eigenschaften begabt sein muß, ist selbstverständlich und Sir Augustus Harris, der neben Coventgarden auch noch Drury-Lane leitet, ist eine der interessantesten Persönlichkeiten der Bühnenwelt. Der Sinn für das Gute und Schöne ist bei ihm gerade so entwickelt, wie der für das Praktische, und beide Theater haben unter seiner Leitung die höchste Stufe der Vollkommenheit erreicht. Wie sich Sir Augustus für Alles interessirt, das andere Bühnen bringen, ist es erklärlich, daß der Ruf von Goldmark’s »Heimchen am Herd« und von [Eugen] Taund’s [Operette: Der] »Wunderknabe« auch bis zu ihm drang und flugs begab er sich nach Wien, die zugkräftigen Stücke zu sehen und zu erwerben. Für eine, für unsere Begriffe, geradezu horrende Summe erwarb er das Aufführungsrecht beider Werke, und demnächst werden »Heimchen« und der »Wunderknabe« ihren Siegeszug auch in England fortsetzen. Daß Sir Augustus auch manches ältere Opus, z. B. den »Vogelhändler« nach London mitnimmt, ist bei diesem rührigen Bühnenchef selbstverständlich.

☞ Tragischerweise konnte Sir Augustus sich seiner »Einkäufe« nicht mehr freuen. Er verstarb am 22. Juni, wenige Wochen nach seiner Reise, im Alter von 44 Jahren.

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Aus Karlsbad weiß Das interessante Blatt am 13. August 1896 »von einer glänzenden Aufnahme der Goldmark’schen Oper ›Heimchen am Herd‹« zu berichten, die anderen Quellen zufolge bereits seit dem 21. Juni in dem renommierten Kurort gezeigt wird: »Glänzend ausgestattet und besetzt mit den Damen Baviera und Eibenschütz und der Herren Unger und Schauer, erzielte die Oper einen vollen Erfolg, so daß sie als ›Hauptschlager‹ der Saison gelten darf

Am 17. August, am Vorabend also des allerhöchsten Geburtstags Seiner Majestät war auch Karlsbad von Kopf bis Fuß auf Feiern eingestellt: Neben Illuminationen, Schaufenster-Dekorationen, diversen Wohltätigkeitsveranstaltungen etcetera (wer mag, lese das Fremdenblatt – Organ für die böhmischen Kurorte vom 23. August 1896) gab es abends ab halb sieben vor »distinguirtem Publicum« eine Festvorstellung des Heimchen am Herd, der als Ouvertüre die auf der Bühne in einem Pflanzenhain plazierte Büste des Kaisers, die Nationalhymne und ein lautstark applaudierter Tusch voraufgingen. Keine Frage, Goldmarks »Grillen-Elfe« war auf dem Weg nach ganz oben …

… wovon auch die Signale für die musikalische Welt im Jahre 1896 wiederholte Male Kunde geben. Zum Beispiel auf der fünften Seite des Heftes 38:

Emilie Welti-Herzog als »Dot« (Berlin 1896)

… oder – um ein Wesentliches ausführlicher – in Heft 48, wo unter der bekannten Rubrik Dur und Moll viel Schönes über die Dresdner Premiere des Werkes vom 5. September 1896 zu lesen ist (☞ Zum Text).

Keine Frage, das Heimchen ist nicht mehr aufzuhalten. Das Prager Tagblatt vom 17. September 1896 rückt eine Meldung ein, wonach sich die Herren Capellmeister Schalk und Reg. Ehrl »im Auftrage der Direction nach Dresden begeben« haben, »um dort einer Aufführung von Goldmarck’s ›Das Heimchen am Herd‹, welche Oper eine unserer nächsten Novitäten ist, beizuwohnen« – ein Hinweis, der keine zwei Wochen später seine Bestätigung findet, als man in der .Montags-Revue aus Böhmen vom 28. September lesen kann, daß das »Heimchen« tatsächlich für die kommende Spielzeit einstudiert wird.

Inzwischen hat die Neue Freie Presse schon am Sonntag, den 20. September von der Premiere des Werkes am Hoftheater von ☞ Schwerin, wo Dot, John, Edward, May & Co. am Donnerstag (17.9.) erstmals die Bühne betraten: »Ihr entzückendes Heimchen ging gestern mit größtem Beifalle in Szene«, telegraphierte Hoftheater-Intendant Carl Wilhelm Ferdinand Heinrich Freiherr von Ledebur dem Komponisten nach dem gelungenen Einstand – der sich vierzehn Tage später wiederholte, als sich das »Heimchen« in Frankfurt am Main präsentierte.

Tatsächlich geht es jetzt Schlag auf Schlag.

Hedwig Schacko

Am 3. Oktober 1896 heißt es in der Wiener Zeitung, das »Heimchen« habe in Frankfurt lebhaften Beifall gefunden. Am 7. d. M. übernimmt die Neue Freie Presse aus der Stadt am Main folgende Meldung: »Im unserem Opernhause gelangte als die erste diesjährige Opern-Novität Karl Goldmark’s reizvolles Opern-Idyll »Heimchen am Herd gestern Abends mit durchschlagendem Erfolge zu sehr guter Aufführung. Die. gesangliche und darstellerische Wiedergabe der Rollen – vor Allem Herr Pichler als Edward und unsere treffliche Hedwig Schacko als Heimchen – war eine durchaus befriedigende; glanzvoll aber war die Ausführung des orchestralen Theiles und höchst erfreulich die vorzügliche Präcision und Frische der Chöre. Nicht minder schön erwies sich die scenische Ausstattung, besonders fesselten die Schlußbilder des zweiten und dritten Actes das Auge. Am Schlusse verlangte das Publikum nach dem Componisten, welcher den letzten Proben beigewohnt hatte, aber bereits abgereist war.«

Unserer glücksbringenden »Grillen-Elfe« ist inzwischen das Kunststück der Vervielfältigung gelungen: Während sie sich erfolgreich im Hessischen umtut, läßt sie sich auch in ☞ Brünn und ☞ Budapest so ausführlich feiern, daß wir an dieser Stelle den kleinen Bilderbogen schließen und eine neue Seite aufschlagen müssen – was desto dringlicher ist, als Mitte Oktober 1896 auch in ☞ Prag die Proben beginnen, ☞ Leipzig, ☞ Breslau und ☞ Hamburg nicht hintanstehen wollen und die Nachzügler: ☞ (Wuppertal-) Elberfeld, ☞ Preßburg (Bratislawa), ☞ Stettin sowie das (wieder einmal wenig erbaute) ☞ München gleichfalls zur Sprache kommen müssen.

Eines freilich sei abschließend vermeldet: »daß Se. Majestät der König unserem genialen Goldmark das Ritterkreuz des Leopold-Ordens verliehen hat. Ueber die Vorgeschichte dieser Dekorirung weiß ›Magyar Hirlap‹ Folgendes mitzutheilen: Karl Goldmark lebt bekanntlich zumeist in Wien und seine größten Erfolge sind mit dem Wiener Hofoperntheater eng verknüpft. Goldmark blieb jedoch Ungar und so oft seine Auszeichnung zur Sprache kam, berief sich die österreichische Regierung darauf, sie könne einen ungarischen Staatsbürger zur Dekorirung nicht vorschlagen. Nach der Wiener Premiere des ›Heimchen am Herd‹, deren großartiger Erfolg noch in lebhafter Erinnerung steht, fand Regierungs-Kommissär Baron Alexius Nopcsa sich veranlaßt, Schritte wegen der Auszeichnung des berühmten Kompositeurs zu thun. Zuvorkommendste Unterstützung fand Baron Nopcsa beim Unterrichtsminister Wlassics, der sich der Idee mit größter Wärme annahm, die Initiative der ungarischen Regierung müsse auch dem Auslande zeigen, daß Karl Goldmark Ungar sei und so erfolgte denn der Vorschlag an Se. Majestät von Seite des ungarischen Kabinets. Das Resultat war die Verleihung des hohen Ordens an Goldmark.« (Pester Lloyd vom 13. Oktober 1896)