Nie zuvor herrschte solcher Jubel …

Mit doppelter Freude begrüßte unser Publicum »Das Heimchen am Herd« auf unserer deutschen Kunststätte, da in seiner Gefolgschaft Meister Goldmark selbst gekommen war. Nach 18 Jahren betrat er zum erstenmale wieder den Boden unserer Stadt, in der zwei Opernhäuser in der Pflege seiner dramatischen Werke, drei Kammermusikvereinigungen und eine große Zahl von Gesangsvereinen in der liebevollen Hingabe an seine Orchestral- und Vocalwerke wetteifern. Er dürfte es neuerlich gemerkt haben, daß er als ein aus ausgezeichneter Liebling hier mit aufrichtiger, von hoher Bewunderung erfüllten Freude begrüßt wurde. Nie zuvor herrschte solcher Jubel in dem neuen Heime unseres deutschen Kunstinstitutes als an dem Goldmark’schen Premierenabende, der zu den denkwürdigsten unseres Theaters zählt. Gleichmäßig galt der Enthusiasmus dem köstlichen Werke und seinem genialen Schöpfer. Einer auserlesenen Schaar von Kunstfreunden und Künstlern war es überdies vorbehalten, im engeren Kreise dem illustren Gaste ihre Huldigung darzubringen. Nach beendeter Premiere fand zu Ehren Goldmark’s in den Salons Angelo Neumann’s eine glänzende Soiree statt. In einer zündenden Rede pries Schauspieler Zeisler den Genius des ungarischen Meisters, der hierauf selbst unter allgemeiner Spannung das Wort nahm. Das Lob, das aus seinem Munde der Aufführung »Das Heimchen am Herde« an unserer deutschen Landesbühne gezollt wurde, gereicht der Bühnenleitung, wie allen mitwirkenden Künstlern zur Ehre. Die schlichte Art der Rede, die nicht in volltönenden Phrasen sich gefällt, sondern den Ausdruck ehrlicher Meinung vermittelt, erhöhte den Werth seiner anerkennenden Worte. Ich hatte die Freude, im Verlaufe des Abends mit dem Meister Gedankenaustausch zu pflegen. Goldmark plaudert willig und mit bezwingender Liebenswürdigkeit, geistvoll und schlagfertig, mit der Bescheidenheit und Selbstkritik, die immer seltener an großen Männern zu finden ist. Ich bin recht froh, daß die Premiere vorüber ist, bemerkte er mir, nachdem wir einige conventionelle Worte gewechselt. Da ich mein Erstaunen ausdrückte, daß eher eine Aufführung eines auf den Erfolg erprobten Werkes Aufregung verursachen könne, meinte Goldmark: »Und doch ist es so. Drei, vier Stunden, bevor der Kapellmeister zum Taktstocke greift, beginne ich einen seelischen Druck zu fühlen, von dem ich erst nach dem letzten Fallen des Vorhanges befreit bin. Ich bin auch entschlossen, künftig solchen Aufführungen nicht mehr anzuwohnen und mich auf die Leitung einiger Proben zu beschränken. Mag auch ein Werk da und dort schon Erfolg gehabt haben. Sie begreifen, daß es nicht in allen Theilen gleichwerthig sein kann und es bleibt immer abzuwarten, wie diese oder jene Nummer in jedem Falle wirken würde.« Der Meister überging dann auf die Budapester Premiere des »Heimchen« und sagte u. A: »Die Budapester« Aufführung hat mir zunächst viel Aufregung verursacht. Als ich wenige Tage vor derselben zur Probe kam, fehlte es an den wesentlichsten Requisiten und Prospecten. Meinen vollen Beifall hatte Frl. Abranyi, insbesondere aber der Chor, der ein Schatz ist, den die Budapester Oper wohl hüten soll. Leider bemühte ich mich vergeblich, um Herrn Takacz für den John zu bekommen, man bewilligte mir ihn nicht.« Das Gesicht des Meisters verdüsterte sich bei diesen Worten und unvermuthet fuhr er fort: »Baron Nopsa vindicirt sich auch, daß ich die Allerhöchste Auszeichnung ihm zu verdanken habe. Das ist nicht wahr!…« Mit wahrer Begeisterung sprach Goldmark von der Aufnahme, die ihm das Publicum in Budapest bereitet habe. »Als ich auf die Bühne trat, ging es wie ein Aufschrei des Jubels durch’s Haus, das muß man erlebt haben, ich fühlte, daß mir das ungarische Herz hier begeistert entgegenschlug.« So sehr empfänglich sich der Meister für diese Kundgebung seiner Landsleute zeigte, so verrieth er doch im Allgemeinen eine gewisse Beifallsmüdigkeit. »Glauben Sie mir, bemerkte er u. A., wenn man, wie ich, 30 Jahre in der Oeffentlichkeit wirkt und fast alljährlich mit einem neuen Werke hervortritt, dann wird es zur Last, persönlich vor das Publicum zu treten.« Ich hatte auch Gelegenheit wahrzunehmen, daß Goldmark an seinen Kammermusikwerken mit besonderer Zärtlichkeit hängt. Als ich dem Meister einen hiesigen geschätzten Kenner der Kammermusik vorstellte und dieser ihm die Bewunderung für den Kammermusiker Goldmark ausdrückte, erwiderte Goldmark sichtlich erfreut: »Diese Sachen sind mir auch lieber«. Daß Goldmark aber keinesfalls opernmüde ist, darf ich ernsthaft versichern. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hat der Meister hier verrathen, daß er an einer neuen Oper arbeite. Indem ich dies hier voraussichtlich zur Freude aller Goldmarkverehrer mittheile, bitte ich dieselben hierüber strengste Diskretion zu beobachten. Schließlich will ich noch von einer heiteren Episode der Goldmark-Soirée berichten. Der hiesige, sehr beliebte, aber wenig stimmbegabte Komiker Herr Gustav Löwe hatte eben ein Couplet im Parlando gesungen, als sich Goldmark lächelnd erhob, auf den Komiker zuging und mit den Worten auf die Schulter klopfte: »Lieber Freund, ist denn zu dem Couplet gar keine Melodie geschrieben?« »Gewiß, erwiderte Löwe mit seinem bekannt schlagfertigem Witze: Die Melodie, die Sie, verehrter Meister soeben nicht gehört haben, stammt von mir …« Dr. Franz Fanta.
(Deutsche Kunst- & Musik-Zeitung vom 15. Dezember 1896, Heft 24)