Das Ganze athmet Frische und Leben

… für die Saison 1893/94 hatten verkünden lassen, trug den Namen des Komponisten Carl Goldmark: Andante, Scherzo und Finale hatte man den Musikfreunden an der Donau verheißen, und zumindest ein Teil der Versprechung konnte eingehalten werden, als Johann Nepomuk Fuchs in Vertretung des erkrankten Hans Richter am Sonntag, den 11. März 1894, im großen Musikvereinssaal das achte Abonnementkonzert leitete.

Nach Carl Maria von Webers Ouvertüre zur Oper Euryanthe stand das Scherzo A-dur op. 45 auf dem Programm, dessen bedeutendste Punkte allerdings – der Wahrheit die Ehre zu geben – erst danach kommen sollten: Eugen d’Albert gastierte als Solist des ersten Klavierkonzertes von Johannes Brahms, und Ludwig van Beethovens Eroica beendete die Matinee.

Gleichwohl konnte Goldmark auch mit dieser recht leichtgewichtigen Kreation einen vernehmlichen Erfolg erringen. Zwar gab es angesichts der langsamen Einleitung des Stückes – vielleicht war das ja das Überbleibsel des ursprünglich annoncierten Andante – ein »allgemeines Schütteln des Kopfes«, wie das Wilhelm Busch ausgedrückt hat; die Diktion des eigentlichen Scherzo-Teils jedoch, ohnehin eine Domäne unseres Mannes aus Keszthely, riß das Publikum zu herzlichsten Beifallsbekundungen hin. Daß die anwesenden Vertreter der Presse den nachfolgenden Werken größere Aufmerksamkeit schenkten, ist angesichts der völlig anderen Dimensionen und Tiefen der Musik mehr als verzeihlich.

Die kleine Wiener Mischung liest sich wie folgt:

• [Die Philharmoniker] brachten ein neues Scherzo von Goldmark (A-dur) in der Goldmark’schen Form: zwei prickelnde Außensätze, und eine süße Cantilene als Mittelsatz. Das Ganze athmet Frische und Leben; eine blendende Instrumentation gibt dem ganzen pikantes Colorit. (Wiener Montags-Journal vom 12. März 1894)

• Die Goldmark’sche Komposition beginnt zwar recht befremdend mit einer trüben, melancholisch auf= und absteigenden Harmoniefolge, aber plötzlich springt das frische Scherzomotiv hervor und zieht sich in lebhaften, schön stylisirten Wendungen durch das ganze Stück, bei dessen Schlusse stürmischer Beifall und Hervorruf erscholl. (Wiener Sonn- und Montagszeitung vom 12. März 1894)

• … ein Scherzo, das durch seine glücklichen Motive, die reizvolle Instrumentirung und, von dem etwas schwerblütigen Eingange abgesehen, anmuthige Frische einen anhaltenden Beifallssturm entfesselte, der auch den Komponisten zu persönlichem Danke veranlaßte. ((Neuigkeits)Welt Blatt vom 13. März 1894)

• Das achte Abonnement=Concert der Philharmoniker, welches am 11. März stattfand, dirgirte wegen der Erkrankung Hans Richter’s, Hofcapellmeister J. N. Fuchs. Das reiche Programm begann mit der C. M. v. Weber’schen »Euryanthe=Ouvertüre«, hierauf folgte die Erstaufführung eines neuen »Scherzo« von C. Goldmark (Manuscript.). Diese geistvolle Komposition wurde mit einem wahren Beifallssturm entgegengenommen und mußte der Componist mehrere Male vor dem Publicum erscheinen. In jedem Auge konnte man das höchste Entzücken lesen, welches dieses Werk mit Feuer entfesselte. (Wiener Montags-Post vom 19. März 1894)

• (Ed.H.) Dieses glänzend instrumentirte, geistreiche Stück, das in seinen Rhythmen und Farbenmischungen etwas an das Scherzo von Mendelssohn’s A-moll-Symphonie und den »Sommernachtstraum« erinnert, wird überall, wo man ein virtuoses Orchester wie unser Philharmonisches besitzt, Effect machen. Nur der Zusammenhang des Scherzos mit dem einleitenden Andante sostenuto, einer dumpfen, chromatischen Wehklage, wollte mir nicht klar Werden. Fast mochte ich letztere für einen nachträglich angefügten neuen Goldmark halten, das Scherzo selbst für eine ältere Komposition. (Neue Freie Presse vom 22. März 1894)

***

Deutlich überfrachtet war das dreizehnte »Abonnement-Concert«, das am Donnerstag, den 17. Januar 1895, »im Saale des Neuen Gewandhauses zu Leipzig« stattfand. Auf dem Programm:

»Eine Faust-Ouverture von Rich. Wagner. — Scene und Arie aus der Oper »Der Templer und die Jüdin« von H. Marschner, gesungen von Herrn Hermann Gausche aus Kreuznach. – Mozartiana. Suite für Orchester (No. 4) von P. Tschaikowsky. (Zum ersten Mal.) – Zweiter Theil: Scherzo für Orchester (Op. 45) von T. Goldmark. (Zum ersten Mal.) – Zwei Balladen mit Pianofortebegleitnug von C. Loewe, gesungen von Herrn Gausche: a) Schwalbenmärchen; b) Edward. — Oxford-Symphonie (Gdur) von Haydn.«

Doch selbst in dieser komplexen Umgebung konnte Goldmarks Opus 45 einen erheblichen Eindruck machen, wie im sechsten Heft der Signale auf das Jahr 1895 nachzulesen ist:

Zwei Besonderheiten sind es, durch die das dreizehnte Gewandhausconcert markirt war: erstens die Zahl der dargebotenen Orchesternummern, welche nicht weniger als vier betrug, und dann der Umstand, daß unter diesen Nummern sich gleich zwei Novitäten befanden – Tschaikowsky’s »Mozartiana« betitelte Suite und Goldmark’s Scherzo in A-dur (Op. 45). Beiden Novitäten leuchtete – wie hier gleich gesagt werden soll – ein günstiger Stern, indem sie beim Publicum lebhaften Anklang fanden (das Scherzo fast mehr noch als die Suite), wobei noch hinzugefügt werden mag, daß die den Sachen zutheil gewordene freundliche Aufnahme auch eine verdiente war. […]

Was […] das Goldmark’sche Scherzo betrifft, so empfiehlt sich diese wohl neueste Schöpfung des genannten Componisten in ihrem Haupttheile durch flotte, geistvoll=prickelnde Erfindung, seine thematische Gliederung und distinguirte, wenn auch mitunter in’s Hyper=Raffinement verfallende Instrumentirung. Die Einleitung indeß – trüb und düster, fast an eine Trauermusik gemahnend – wollte uns als mit dem Uebrigen des Stückes in all zu grellem Widerspruch stehend und deswegen als unangebracht vorkommen. Die Wiedergabe der für das Orchester nicht eben leichten Composition war eine durchweg ausgezeichnete.