… überall von dem glänzendsten Orchesterleben umwogt

Ueber Goldmark’s neueste Ouverture, welche im Berliner philharmonischen Concerte zur Aufführung kam, wird geschrieben: Dem Concert folgte die überhaupt erste Aufführung einer noch ungedruckten, als Ouvertüre bezeichneten Tondichtung »Sappho« von Carl Goldmark (Op. 44) Die Classification als Ouvertüre ist dem ziemlich ausgedehnten Werke nicht durchaus zuträglich, wenn auch die Form desselben im Allgemeinen dafür spricht; der ganzen Durchführung nach macht diese Sappho eher den Eindruck einer symphonischen Dichtung, wie ja die Fama, die oft ganz gut Bescheid weiß, sie hartnäckig so genannt hatte. Der Componist wünscht aber diese Bezeichnung nicht, und schließlich kommt darauf ja nichts an. Wichtig ist vielmehr, daß man es hier mit einem hervorragenden Werke zu thun hat, das in sich die Bürgschaft trägt, überall, wo es von einem guten Orchester gespielt werdcn wird, Interesse zu erregen und zu gefallen. Ein gutes Orchester dürfte aber die conditio sine qua non sein, einesteils wegen der starken Besetzung (drei dreifache Holzbläser, vier Posaunen außer der Tuba, zwei Harfen), dann aber auch wegen der großen technischen, schon durch die Haupttonart (Gesdur) bedingten Schwierigkeiten. Das soeben erst vollendete Werk beginnt mit einem längeren Harfensolo, das, von den Herren Posse und Müller gespielt, eine erstaunliche Klangkraft entwickelte, dann setzt eine Oboe mit einer einfachen lyrischen Melodie ein, aus deren Abschluß mit unvermittelter und überraschender Heftigkeit der vom ganzen Orchester gespielte Hauptsatz folgt. Jubelnde Klänge wechseln nun mit pathetischen Motivcn und rührenden Melodien, von oft unerwarteten, manchmal sogar seltsamen Harmonien getragen und überall von dem glänzendsten Orchesterleben umwogt. Hehr, wie es einer Sappho geziemt, zieht das Tonbild an uns vorüber, und vergißt nicht, dem siegesfreudigen Taumel das schwere Leid des getäuschten Herzens zu einen. Goldmark, der der musikalischen Welt schon eine ganze Reihe lebenskräftiger und bedeutsamer Compositionen geschenkt, hat einen wesentlichen Schritt vorwärts gethan, indem er das, was er uns mittheilen wollte, größer als bisher gefaßt und verallgemeinert hat. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben, und die Aufnahme des ganz vorzüglich von der Capelle gespielten, von Herrn Schuch mit vollendeter Feinheit geleiteten Werkes war eine sehr warme. Schumann’s Cdur-Symphonie schloß daraus in gleichfalls ausgezeichneter Weise den Abend. ( O. E.)