… auf dem Höhepunkte seines Schaffens

Concerte.
I.
(Goldmark’s Ouvertüre zu »Sappho«.)

Carl Goldmark hat seine zahlreichen Verehrer niemals durch Freigebigkeit verwöhnt. Zögernd nur zahlt er der Mitwelt den Zoll seines Talentes und die jeweiligen Raten erfließen in weitgestreckten Terminen; dafür aber sind sie stets ausgiebig und gehaltvoll. Auch die neue Ouvertüre zu »Sappho«, welche die Novität des dritten philharmonischen Concertes bildete, reiht sich den besten Werken der Goldmark’schen Muse würdig an, ja sie zeigt uns in ihrem grandiosen, kühnen Aufbau, in ihrer technischen Vollendung, in der Erfindung und Gegenüberstellung der Motive den Meister auf dem Höhepunkte seines Schaffens. Mit dem Titel ist eigentlich ein Programm gegeben, und wer gut auszuhorchen weiß, kann dasselbe durch die einzelnen Phasen des Tonstückes verfolgen. Der dithyrambische Anfang mit seinen schwungvollen Harfenaccorden versetzt uns flugs in die richtige Stimmungsatmosphäre. Ein idyllischer Gesang der Oboe gesellt sich dazu, die Gestalt der griechischen Dichterin, die sinnend und träumend die lachenden Gefilde ihrer Heimatsinsel durchwallt, taucht vor uns auf; noch hat der Stachel der Leidenschaft ihr Herz nicht berührt, Seelenfriede erfüllt sie und Zufriedenheit mit der schönen Welt, die noch »an der Freude leichtem Gängelband« von den Göttern geführt wird. Freilich ist nicht zu verkennen, daß unser Tondichter, seiner Eigenart entsprechend, den Meridian von Lesbos um einige Grade zu weit gegen den – Orient verschoben hat; wer von Sappho nichts weiß, könnte bei diesen Klängen eben so gut an die Schöne aus Salomonis hohem Liede gemahnt werden. Doch rasch ändert sich die Stimmung. »Sie kommt und sie ist da!« Unvermittelt im Forle setzt das Allegro ein, in welchem alle Leidenschaften voll erwacht sind. Ein trotzig pochendes Scitenthema stemmt sich gegen diesen freudigen Gefühlstaumel, es ist wie das Erwachen des weiblichen Stolzes, der das bethörte Herz zu zügeln unternimmt. Doch schnell gewinnt jenes erste rauschende Thema wieder die Oberhand und steigert sich zum höchsten Empfindungsausdruck. Ein letzter Kampf widerstreitender Gefühle und aus dem Motivengewirre erhebt sich sieghaft ein Gesang der Geigen, den Triumph der Liebe andeutend. In seliger Beschaulichkeit schwelgt das Gesangsthema, von Oboe und Horn ausgeführt; doch schon klingen auch die ersten schrillen Schmerzensaccente darein:

»Aphrodite, thronend aus Götterhöhen!
Tochter Zeus’, listwebenden, zu Dir fleh ich,
Daß nicht schmerzvoll ferner dies Herz Du pressest« – –

Auch in der weiteren Durchführung lassen sich diese Grundmotive, der Wechsel zwischen Liebesglück und schmerzvoller Enttäuschung, der Kampf zwischen Lebenslust und Todesbegehren verfolgen; ja selbst die Stelle, in welcher der tödtliche Sturz vom leukadischen Felsen angedeutet werden will, läßt sich unschwer von der Phantasie des Hörers entdecken. In überirdischer Verklärung ziehen nochmals die wesentlichsten Tonfiguren an uns vorüber und der Schluß mit seinen hellen Fanfaren kündet den Triumph des dichterischen Genius’, der über alle Todesschrecken siegreich fortlebt.

Es fällt uns nicht entfernt bei, die vorstehenden Ausführungen, welche dem musikalischen Gedankengang Goldmark’s nachzutasten versuchen, als ausschließlich zutreffend hinzustellen. Ein Anderer mag sich hiebei mit eben so gutem Rechte auch Anderes gedacht haben. Möglich, daß auch unsere Phantasie in andere Geleise gelenkt worden wäre, wenn der Componist sein Werk einfach »Ouvertüre« genannt hätte, ohne die Beifügung »Sappho«. Doch damit eben ist ein Zipfel des Vorhanges gelüftet worden, der sonst die geistige Werkstätte des schaffenden Künstlers von der Außenwelt abschließt. In geschmackvoller Weise hat es Goldmark unterlassen, selbst ein Programm in Worten auszuführen. Doch selbst, wenn er dies gethan hätte, so böte sein neuestes Werk durchaus keinen Anlaß, ihn unter die Programmmusiker zu werfen. Es sind ja lediglich Seelenzustände, deren Schilderung er unternommen und dies eben vermag die Musik wie keine andere Kunst; auf diesem Gebiete bleibt sie ihrem Grundwesen, ihrem eigentlichsten Berufe getreu, hier bekundet sie ein überirdisches Ausdrucksvermögen, sie vermag Unsagbares zu sagen. In diesem Sinne wollte wohl auch Beethoven seine Pastoral-Symphonie, mit deren Anführung die Programmmusiker zur Rechtfertigung ihres Verfahrens stets bei der Hand sind, aufgefaßt wissen; ausdrücklich schrieb er auf das Manuscript der Partitur: »Mehr Ausdruck der Empfindung, als Malerei.« Die Hauptsache bleibt in jedem Falle, daß gute Musik gemacht wird, die auf uns durch sich selbst wirkt und aus sich selbst verständlich ist, ohne daß man sich erst Etwas zu denken braucht. Und diese Wesenheit trifft bei Goldmark’s Sappho-Ouverture in hobem Grade zu. Meisterhaft in der Form, gedankenvoll und geistreich durchgeführt, bildet das Werk eine werthvolle Bereicherung des modernen Concertrepertoires und wird seine Wirkung auf eine kunstsinnige Zuhörerschaft nirgends verfehlen. Die Aufnahme seitens des Publicums war eine äußerst beifällige und der Meister mußte wiederholt dankend erscheinen.