… auf dem Boden der alten Ouvertüre

Leipzig. Im siebenten Gewandhaus-Concert war die Begegnung mit zwei neuen Orchesterwerken Carl Goldmark’s von grossem Interesse. Allerdings wurde Denen eine harte Enttäuschung zu Theil, welche von dem Componisten tiefsinnige symphonische Gedanken und Entwickelungen erwartet hatten, wer aber Werke im Sinne des »Merlin«, glänzend, effectvoll, pathetisch hören wollte, der fand, dass der Meister des »Merlin« sich mit souveräner – Herablassung zu einem populären Ton gezwungen hatte. Formell stehen beide Werke auf dem Boden der alten Ouvertüre; die Einleitung zum »Entfesselten Prometheus« ist zwar ein wenig lang gerathen, aber darin haben auch berühmte classische Meister des Guten oft zu viel gethan. Man hat sich hier die Köpfe zerbrochen, ob der Titel des letztgenannten Werkes nicht unrichtig sei; Mancher wollte den »gefesselten Prometheus« stöhnen und ächzen gehört, seinen Aufschrei zu den Göttern vernommen haben. Dieser Zweifel beweist nur, wie wenig Goldmark sich im Grunde um sein Programm, wenn er überhaupt ein solches im Sinne hatte, kümmerte. Ist das richtig? Wenn ein Werk von seinem Urheber einen so sprechenden Titel empfängt, sucht der Hörer unwillkürlich seine Phantasie auf den Standpunct des Componisten zu bringen, mit ihm zu empfinden und geistig zu schauen. Wie aber, wenn uns der Componist nur irre leitet und statt des versprochenen klaren Ausblicks Nebelbilder bietet mit verschwommenen Umrissen, sodass wir nach vergeblichen Anstrengungen, klar zu sehen, ermüdet uns abwenden! Ich frage nochmals, ist das zu rechtfertigen? Sollte denn nicht lieber der Titel wegbleiben und das Ganze uns als Stimmungsbild mit der schlichten Bezeichnung »Ouvertüre« geboten werden? Etwas deutlicher entspricht die andere Ouvertüre »Im Frühling« den Absichten des Componisten. Zwar macht siehe Goldmark hier etwas leicht und tummelt sich zu viel auf den Gemeinplätzen, welche die meisten Frühlingspoesien enthalten, aber das Werk hat frischen Zug und macht in seinem glänzenden orchestralen Gewand einen gewinnenden Eindruck. Dass Goldmark sich auch in der ersten Ouvertüre als ein Meister des Orchester-Colorits zeigte, ist zwar selbstverständlich, sei aber doch nochmals betont. Einen grösseren Gegensatz als Volkmanns herrliche Bdur-Symphonie und Goldmark’s Orchesterwerke kann man sich kaum denken. Dort bedeutende Gedanken, geistvolle Durchführung, Anmuth und Feinheit bei schlichtem, zartem verständlichem Ausdruck, hier glänzende Unterhaltung ohne Tiefe – hin und wider hinter der aus Höflichkeit vorgehaltenen Hand leises Gähnen und die Sehnsucht nach dem Ende. […]
(M. Krause)