… so ziemlich im Geiste Wagner’s gehalten

»Merlin.«
Oper in drei Acten von Karl Goldmark. Text von Siegfried Lipiner. Zum ersten Male im Wiener Hofoperntheater aufgeführt am 19. November 1886.

Merlin ist der Verbindung des Teufels mit einer reinen Jungfrau entsproßen, »ein Wunder an Gestalt, dem Vater gleich an Zauberkraft und Stärke«, aber der Geist, »der stets das Böse will und stets das Gute schafft«, verleugnete sich auch in diesem Falle nicht, und so zwingt dieser Sprößling selbst »die Hölle zu des Himmels Werke – denn heilig strahlt ob ihm der Mutter Stern«.

Dieser Teufelssohn – Merlin – ein Seher, ein Zauberer und gottbegnadeter Barde, der die von ihm beherrschten Kräfte der Hölle nur zum Wohle der Menschheit ausnützt, ist der Held der neuen Goldmark’schen Oper.

Behandelte der Text zur »Königin von Saba« eine altjüdische Sage, so hat sich der Componist mit seinem Text-Dichter Lipiner nun dem romantischen Zauberkreise der altbritischen Sagenwelt zugewendet. König Artus, der sich im Kampfe mit den Sachsen befindet, ist durch den schnöden Verrath eines britischen Ephialtes, Namens Bedwyr, in höchster Gefahr, die Schlacht zu verlieren. In seiner Bedrängniß schickt er zu Merlin um Hilfe. Dieser beschwört einen »Dämon«, er möge die Sachsen durch nebeliges Gewölk mit Blindheit schlagen und durch Irrlichter täuschen, damit die Briten siegen. Nur zähneknirschend befolgt der Dämon diesen Auftrag, denn es behagt ihm nimmer, sich fort und fort von dem »verfluchten Zauberer« knechten zu lassen, und er sinnt auf ein Mittel, sich dieses verhaßten Zwanges zu entledigen. Aber der arme Teufel kann sich nicht selbst helfen und so beschwört er wieder seinerseits die Fee Morgana, damit sie ihm rathe, denn »ist in der ganzen weiten Welt nur Eine Waffe, die ihn fällt«, so ist dieselbe Morgana kund. Mit Mühe gelingt es ihm, ihr das Geheimniß zu entreißen, wodurch der Fall Merlin’s bedingt ist: er, der zu »heil’gem Dienste« gesendet, verliert seine Sehergabe und Zauberkraft, wenn er sich durch ein Weib berücken läßt.

»Ein Weib! – ein Weib! Nun hab’ ich Waff’ und Wehr!
Das schönste Weib, – ich sah’s – ich lock’ es her!«

ruft der Dämon triumphirend aus. Und er hält getreulich Wort. Kaum sind der König, seine Ritter – darunter auch Merlin, der nach der Beschwörung selbst in die Schlacht geeilt – und die Krieger aus dem siegreich beendeten Kampfe heimgekehrt, stimmt Merlin eine Siegeshymne an, und wie er gerade daran ist, die dritte Strophe derselben zu beginnen, erscheint plötzlich »das Fräulein von der Quelle« – Viviane – eine kühne, amazonenhafte Jägerin, die sich schon längst in brennendem Verlangen nach dem gefeierten Seher verzehrt. Merlin, der das bezaubernde Weib zum ersten Male sieht, wird von seiner herrlichen Erscheinung ganz berauscht und geblendet. Unheil ahnend und ärgerlich über seine eigene Schwachheit, fährt er es barsch an:

»Wer rief Dich her? – mit wildem Gesang
Was störtest Du meiner Harfe Klang?«

Und sein Zauberinstrument zur Hand nehmend, will er sein durch Vivianens Ankunft unterbrochenes Lied enden. Er greift in hehrster Begeisterung in die Saiten – sie erklingen nicht! Wüthend zerrt er an ihnen – sie bleiben doch stumm!

»Weh! – Mutter, welches Zeichen schickst Du mir?«

Der König fordert nun Viviane auf, Merlin den Siegeskranz auf’s Haupt zu setzen.

»Fort! fort! Ich hasse Dich, Teufelin!» schreit sie dieser – in sie schon bis über die Ohren verliebt – an. Das so schmählich behandelte und erbitterte Weib wirft ihm den Kranz vor die Füße und eilt davon.

Dem ersten Anzeichen, daß es mit Merlin’s Zauberkraft bereits bergab geht – dem Verstummen der Harfe – folgt bald ein zweites: sein Seherblick, welcher im ersten Akte den verrätherischen Bedwyr gleich herausgefunden und entlarvt hat, ist bereits so getrübt, daß er im zweiten Aufzuge den falschen, eine Verschwörung gegen den König anzettelnden Neffen desselben nicht mehr zu durchschauen vermag, wodurch die mit Recht gegen diesen Modred erhobene Anklage des Hochverrathes dahin fällt.

Viviane, durch den Dämon verleitet, dringt in Merlin’s |Tempel – ohne zu wissen, wo sie sich befindet – sieht daselbst einen Schleier, den sie in mädchenhafter Neugierde in die Hand nimmt und in die Luft wirft, und von allen Seiten kommen Wasser-, Luft- und Blumengeister, welche sie umringen und einen artigen Reigen aufführen. Plötzlich tritt Merlin auf; es verschwinden die Genien, und der bisher in der Luft schwebende Schleier fällt auf ein in der Nähe stehendes Gebüsch. Viviane und Merlin sind allein. Beide versuchen mit aller Gewalt gegen die in ihren Innern wühlende Leidcnschaft anzukämpfcn, aber nach kurzen Widerstand kommt ihre mächtige Liebe doch zum Ausbruche und in süßem Wonnerausch sinken sie auf die Rasenbank vor Merlin’s Heiligthum. Ein Tumult hinter der Scene erweckt die Liebenden aus ihrer traumverlorenen Umarmung. Merlin erfährt, daß Modred den König verrathen habe und selbst den Tbron usurpiren will. Jetzt wird ihm klar, daß er durch die Liebe zu Viviane seine Zauberkraft verloren habe.

»O Herr, vergib mir meine Schuld!
Zu heiligem Dienste hast Du mich gesendet,
Vor allen Sterblichen erhob mich Deine Huld
Und ich, zu eitler Lust gewendet,
Ich hab’ mein eig’nes Aug’ geblendet.«

Er will nun dem verführerischen Weibe entfliehen und dem bedrängten König zu Hilfe eilen, aber Viviane läßt ihn nicht von sich. Alles bietet sie auf, um den geliebten Mann zurückzuhalten. Die rührendsten und leidenschaftlichsten Bitten jedoch nützen ihr nichts:

»Ich muß dahin, wohin mich Gott erkoren!

Da erinnert sie sich der Zauberkraft des Schleiers, von der ihr Merlin früher erzählt. Wessen Haupt nämlich der Schleier berührt, der kann nicht entfliehen, mit Ketten an Felsen geschmiedet, kann ihn nur der Tod erlösen. – In ihrer höchsten Erregung ergreift jetzt Viviane den Schleier und wirft ihn Merlin um den Kopf. Es erfolgt ein fürchterlicher Donnerschlag, die herrliche Gegend verwandelt sich in eine Felsen-Oede und hoch oben sieht man Merlin mit glühenden Ketten gefesselt. Ein »Hohngclächter der Hölle« läßt Viviane aus ihrem starren Entsetzen auf einen Augenblick zu sich kommen, sie stößt einen Schrei aus und fällt wie leblos zu Boden. Im letzten Akte finden wir dieselbe Scene. Morgana erscheint der schlafenden Viviane und verkündet:

»Liebe, stärker als der Tod,
Wird des Unheils Mächte zwingen –
Liebe, stärker als der Tod,
Wird in tiefster Herzensnoth
Ew’ges Heil dem Freund erringen!«

Abgesandte des Königs kommen abermals, um Merlin zur Rettung in den Kampf gegen die Verschwörer zn rufen, denn der Sieg der Letzteren scheint fast gewiß. Wüthend versucht er seine Ketten zu sprengen, und in immer steigender Verzweiflung ruft er:

»Frei muß ich sein – mein Volk must ich erretten:
Und wär’ es die Hölle, die mich befreit!
Und sollt’ ich verdammt sein in Ewigkeit!»

Der Dämon nimmt diesen Pact an, Merlin’s Ketten fallen ab, die Felsen-Gegend wird wieder zu der am Anfang des zweiten Aktes, und der nun Befreite zieht in den Krieg, aus welchem er wohl als Sieger, aber sterbend, zu Viviane zurückkehrt. Wie er, in den Armen des treuen Weibes, die Augen schließt, naht sich der Dämon, aber Viviane kommen die Worte Morgana’s in Erinnerung, und indem sie sich an der Leiche Merlin’s selbst den Tod gibt, errettet sie die Seele ihres Geliebten von der ewigen Verdammniß.

Schon nach dieser Skizze der Handlung ist unschwer zu erkennen, daß das Buch zu »Merlin« so ziemlich im Geiste Wagner’s gehalten ist. Die einzelnen Gestalten lassen sich mehr oder weniger auf Wagner’sche zurückführen und mit ihnen indentificiren [!], so erscheint uns Merlin als eine Verquickung von Parsifal und Tristan, Viviane als eine Art Senta, Artus als ein ebenso kläglicher Repräsentationskönig wie Heinrich (Lohcngrin) und Morgana als Erda.

Sowohl bei »Parsifal« wie bei »Merlin« drängt sich uns, ob des unnatürlichen und undramatischcn Motivs die Frage auf: »Ist denn Liebe ein Verbrechen?« Auch die Verse weisen manche Verwandtschaft mit jenen des »Dichter-Componisten« auf, sie entbehren jedoch glücklicherweise des hie und da wahrnehmbaren Schwulstes der Wagner’schen Muse. Man vergleiche z. B. diesbezüglich die Verkündigung Morgana’s und den Orakelspruch im »Parsifal« (»Durch Mitleid wissend«). Aufgebaut ist das Textbuch zu »Merlin« sehr klar und geschickt – freilich hätte dasselbe durch größere Knappheit entschieden gewonnen – und durch das Ganze geht ein Zug von Poesie. Trotz einiger logischer Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten, ist daher Lipiner’s Operndichtung kein gewöhnliches »Fabricat«, sondern eine poetische Arbeit.

Willibald Horwitz (1843-1903)

Was die Musik zu »Merlin« betrifft, muß die Partitur dieser Oper als ein äußerst interessantes, stellenweise sogar ungewöhnlich schönes Werk eines hochbegabten und gebildeten Musikers anerkannt werden, der, zwar (noch mehr als bei der »Königin von Saba«) im Banne Wagner’s stehend, nicht bloße Sprechmusik, sondern wirkliche, natürliches Leben atmende Musik geschaffen hat. Daß es mit der Originalität der Goldmark’schen Gründung in »Merlin« ziemlich schwach bestellt ist, läßt sich aber nicht hinwegleugnen, und so ist die Oper doch nur als ein hervorragendes Epigonenwerk zu bezeichnen. Wie hauptsächlich Wagner und Meyerbeer den dramatischen Stil Goldmark’s beeinflußt haben (Letzterer besonders bei den Ensembles), so zeigen sich die meisten lyrischen Stellen in »Merlin« von Schumann inspirirt. Leicht ließe sich das bei eingebender Betrachtung der Einzelheiten nachweisen. Leitmotive hat Goldmark in seiner neuen Oper angewendet, aber nicht in der Weise des späteren Wagner, sondern ähnlich wie sie bei Mozart (der das geisterhafte Thema des Comthurs schon in der Introduction der Ouverture erklingen läßt), bei Weber (»Samiel hilf«) und im »Lohengrin« (»Nie sollst Du mich befragen«) vorkommen, und wo überall die Anwendung des Leitmotivs von musikalisch-poetischer Wirkung ist. Die Musik des Orchesters ist, wie bei allen Goldmark’schen Werken im glänzendsten Colorit gehalten. Die Aufführung der, sich eines durchschlagenden Erfolges erfreuenden, lang und sehnsüchtig erwarteten Opern-Novität war eine der größten Heldenthaten unserer an Siegen reichen Hofoper. Herr Winkelmann als Träger der Titelrolle und Frau Materna (Viviane) leisteten in dramatischer und musikalischer Beziehung so Auszeichnetes, daß kein Wort der Anerkennung zu stark sein kann. Auch die zweiten Partien waren durch Frau Kaulich (Fee Morgana) und die Herren Reichenberg, Sommer und Horwitz glänzend vertreten. Chor und Orchester unter Director Jahn , der die Oper auf das Beste cinstudirt hat, ließen Nichts zu wünschen übrig. Ausstattung und Inscenesetzung sind musterhaft.*) Rich. Robert.

*) Wir hoffen in unserer nächsten Nummer ein wirksames Bild aus der neuen Oper Goldmark’s bringen zu können. Die Red.