In vollem Glanze ritterlicher Romantik

Merlin.
Oper von Karl Goldmark*)

Lange, viel zu lange für unsere Wünsche hat der geniale Meister geschwiegen, dem, wenn wir von den Musikdramen Richard Wagners absehen, Deutschland die bedeutendste Opernschöpfung der Neuzeit zu verdanken hat, jene »„Königin von Saba«, deren Musik uns schon durch den eigenartigen Zauber ihres national-religiösen Colorits gefangen nimmt. Nun endlich ist Goldmark mit einem zweiten großen Bühnenwerke hervorgetreten, zu welchem er sich den Stoff nicht aus der Geschichte seines Volkes, sondern aus dem romantischen Sagenkreise des Mittelalters geholt hat, und welches uns den Meister in einem neuen Lichte erscheinen läßt. Wohl klingt auch hier wieder an einzelnen Stellen jener uns fremde und doch anmuthende religiös-nationale Zug in die Musik hinein, doch im Großen und Ganzen hat sich Goldmark davon zu emancipiren gewußt und sein Vorbild in dem deutschen Dichtercomponisten, dem Sänger der gewaltigsten germanischen Liebestragödie, dem Sänger von »Tristan und Isolde« gesucht, dessen Einfluß uns bei so mancher Stelle der Oper überwältigend vor Augen tritt.

Doch lassen wir zunächst dem Textdichter das Wort: In vollem Glanze ritterlicher Romantik tauchen die Gestalten aus König Artus’ Tafelrunde vor uns auf, wie sie uns die altbritische Sage bewahrt und wie sie uns die Dichter und Schriftsteller der verschiedensten Nationen, so Fr. v. Schlegel, Alf. Tennyson, Immermann, Ariost (welcher im »Rasenden Roland« aus dem Munde des Geistes Merlin’s die zukünftige Größe des Hauses Este verkünden läßt), Villemarqué theils einzeln, theils im geschlossenen Kreise näher gebracht haben.

Aus diesen Gestalten hat Siegfried Lipiner Merlin, den klugen Seher, den mächtigen Zauberer und tapferen Ritter, und Viviane. die »wilde Jägerin« (La donna del Lago, wie sie Ariost nennt), zum Mittelpunkte der Handlung erkoren. Merlin, welcher dem erzwungenen Bunde des Satans und einer keuschen Magd »dem Vater gleich an Zauberkraft und Stärke« entsprungen ist, nützt seine übernatürliche Macht nicht zu des Vaters Frommen und zwingt die Hölle selbst zu des Himmels Werken. Dämonen müssen widerwillig der Sache des Kreuzes zum Siege verhelfen. Knirschend fügen sie sich – nur ein Mittel gibt’s, des Zauberers Macht zu brechen: die Liebe. »Hat eines Weibes Reiz des Sehers Sinn gefesselt, dann schwindet seine Sehergabe, seine Zauberkraft,« – so kündet es dem Dämon die weise Fee Morgana, und in Viviane, des Herzogs Roas’ Sproß, die einsam auf ihrem Schlosse haust, findet der Geist der Finsterniß das unbewußte Werkzeug seiner Rache. – Siegreich durch des Sehers Hilfe kehrt König Artus von der Sachsenschlacht zurück, Merlin preist in begeistertem Hymnus des Königs Ruhm, da tritt ihm Viviane im Glanze ihrer Schönheit als Jägerin entgegen, und in des Sehers Herz zieht leis’ die Liebe ein. Noch eine Warnung sendet ihm die Mutter: in letzter Scherkraft erblickt er sich in Ketten, die Harfe verstummt in seiner Hand – entsetzt will er sich vom unheildrohenden Weibe wenden, doch vergebens! Dem Weibe ward der Sieg zu Theil, und der Holden Bild kann er nicht bannen. Das Schicksal muß sich an ihm erfüllen – schon ist sein Seherauge erblindet, und Modred, des Königs Neffe, den Lancelot mit Recht des Hochverrathes zeiht, findet er rein von aller Schuld; durch den trügerischen Spruch beruhigt, zieht König Artus mit seinen Getreuen in’s Feld, seinem Reiche den tückischen Neffen zum Verweser bestellend. – Durch des Dämon’s Lockungen verführt, betritt Viviane Merlin’s Zaubergarten, ihr öffnen sich freiwillig seines Heiligthumes Pforten und ihr wird der darin verwahrte Schleier zu Theil, der dem Besitzer Gewalt über die Geister verleiht, den von ihm Umschlungenen aber willenlos der Macht der Hölle preisgibt. Sie wirft den Schleier spielend in die Luft und der Garten verwandelt sich in eine entzückende Landschaft, Wasser-, Lust-, Erd- und Blumengeister erfüllen den Raum und führen anmuthige Tanze auf, während ein magisches Licht sich über das Ganze ergießt. Da naht Merlin – und das Zauberbild verschwindet – er erblickt Viviane und warnt sie vor der Zauberkraft des Schleiers; nun will sie fliehen, doch er hält sie zurück; mächtig lodert ja in ihm die Flamme der Liebe empor, und theilt sich beseligend dem holden Weibe mit – alles um sich her vergessend, genießen sie in vollen Zügen der Minne Glück. Rosig senkt sich bereits das Abendlicht auf die Erde, da tönt wildes Waffengeklirr in die Stille des Gartens; Glendower, des Königs Schloßvogt, stürzt, Hilfe vor dem verrätherischen Modred heischend, herein – und Merlin wird sich nun voll seiner Schuld bewußt; er will dem Bannkreise des Weibes entfliehen, doch dieses schwenkt in wilder Pein vergehend, den Zauberschleier um Merlin’s Haupt – ein dumpfer Donnerschlag erdröhnt, der liebliche Garten hat sich in schreckhafte Felsenwildniß verwandelt – und Merlin erscheint darin mit glühenden Ketten an einen Felsenblock gefesselt. Was er in letzter Seherkraft geschaut, hat sich erfüllt. Treu harrt Viviane zu Füßen des Gefesselten aus – im Traume erscheint ihr Fee Morgana und kündet ihr die Rettung Merlin’s durch ihre eigene Hand: »Liebe, stärker als der Tod, wird in tiefster Herzensnoth ew’ges Heil dem Freund erringen!« König Artus, vom Neffen und den Sachsen hart bedrängt, sendet Lancelot zu Merlin um Hilfe, und dieser weiht sich in seiner Noth dem Dämon, falls er ihn befreit. Da fallen die Fesseln von ihm ab, die Felsenwildniß verwandelt sich wieder in den Zaubergarten, Merlin eilt mit Lancelot zur Schlacht. Nun schmückt sich Viviane zum festlichen Empfange des Geliebten, sehnsuchtsvoll harrt sie seiner Rückkehr entgegen – doch aus der Ferne tönen dumpfe Trauerklänge – wohl hat Artus’ Heer durch Merlin’s Kraft gesiegt, dieser aber ist gefallen. In düsterem Zuge nahen die Sieger, den zu Tode Getroffenen auf einer Bahre tragend – da erscheint der Dämon und heischt sein Opfer: Merlin – Viviane aber, der Weissagung Morganen’s eingedenk, weiht sich für den Geliebten dem Tode – der Dämon versinkt: Die Liebe hat der Hölle Macht gebrochen, und im Tode sind nun Die vereint, die im Leben sich nicht angehören sollten.

Feerie

Was die Musik anbelangt, welche Goldmark zu dieser romantischen, leider nur zu langsam fortschreitenden Handlung geschrieben hat, so haben wir schon eingangs betont, daß sich der Meister in derselben in einem neuen Lichte zeigt, und daß der Einfluß Richard Wagner’s in diesem Werk nicht zu verkennen ist. Nicht nur, daß sich Goldmark bestrebt hat, im Sinne Wagner’s von der alten Opernschablone mit ihren geschlossenen Nummern, mit ihrer Außerachtlassung der gegebenen Situation abzugehen und uns ein einheitliches Musikdrama vorzuführen, nicht nur daß Goldmark sich hie und da auch zum Principe des Leitmotives verstanden hat, wir finden in der Partitur zu Merlin auch mehr als eine directe Reminiscenz an »Tristan und Isolde«, »Lohengrin«, »Meistersinger« und »Götterdämmerung«. Wir wollen über Letzteres mit dem Compositeur nicht rechten, die Aehnlichkeit der dramatischen Situationen mag ihn unwillkührlich zu ähnlicher musikalischer Bearbeitung gedrängt haben. Ersteres aber involvirt von unserem Standpunkte aus gewiß keinen Vorwurf – wem die sinnlose Verquickung des Textes mit einer der Situation ja selbst dem Worte nicht entsprechenden Musik gefällt, wer in der Schaffung einer dem Ohre wohlgefälligen Melodie das Um und Auf der Aufgabe eines Operncompositeurs erblickt, der mag im deutschen Musikdrama, wie es Richard Wagner geschaffen, einen Rückschritt, eine Abweichung vom richtigen Wege erblicken und unsere Sache soll es hier nicht sein, ihn eines Besseren zu belehren – wir aber verlangen nach anderer musikalischer Kost, und dieser entspricht Goldmark’s »Merlin« in erfreulicher Weise. Mit einem düster einsetzendem Vorspiele führt uns Goldmark in wirksamer Weise in die dramatische Situation ein – in den Geisterchören des ersten Actes und den Beschwörungen des Dämon’s hat er das dämonische Treiben treffend gezeichnet; kräftig und begeisternd klingt Merlin’s Hymnus »Heil Dir mein König«, während Vivianen’s Erzählung »Sahst mich nicht« von bezaubernder Innigkeit ist, und das Jagdlied derselben in tollem, vielleicht nicht ganz von Banalität freiem Uebermuthe einherstürmt. Zu den schönsten musikalischen Theilen der Oper gehört unstreitig das Ensemble »Sei uns gegrüßt«, ein kühn aufgebauter, mächtig ergreifender Canon, ebenso Merlins Anrufung der Harfe: »O die Du meine Seele labst«, eine jener wenigen Stellen, in welchen Goldmark sein national-religiöses Musikbekenntniß niedergelegt, und welche groß und erhaben, gleich einem Psalm anhebt. Der zweite Act, unserer Anschauung nach der werthvollste der Oper, bringt uns neben dem schön empfundenen Abschiedsgesange: »Leb’ wohl, Merlin« in Merlin’s Solo »Mein Heiligthum« ein treffliches musikalisches Stimmungsbild und endlich das herrliche Liebesduett Merlin’s und Vivianen’s. Hier hat der Componist der Minne hohes Lied gesungen: stilles Beglücktsein, jauchzende Freude, sinniges Träumen und wild lohende Lust – bestrickend legt sich diese Musik an unser Ohr und fesselt unsere Sinne! Im dritten Acte verdienen besondere Erwähnung Morganen’s Weissagung, der trefflich durchgearbeitete Chor der Jungfrauen: »Hast Du am Felsen«, Vivianen’s Ansprache an die Gespielinnen: »„Schmückt mich, o Schwestern«, das Gebet Vivianen’s: »Kommt herab, ihr Engelschaaren«, sowie der stimmungsvolle Schlußchor.

Von der Aufführung können wir nur das Beste sagen: In erster Reihe sind wohl Frau Materna und Herr Winkelmann, die Vertreter der Hauptrollen (Viviane – Merlin), zu nennen, die sanglich und schauspielerisch gleich vollendet wirkten. Neben ihnen machten sich um die Vorstellung besonders Frau Kaulich (Morgana), Herr Sommer (Artus), Herr Horwitz (Lancelot) und Herr v. Reichenberg verdient, welch’ letzterer den Dämon trefflich wiedergab und eine nur zu charakteristische Maske gewählt hatte. Chor und Orchester unter Jahn’s unvergleichlicher Leitung erfreuten durch ihre über allen Tadel erhabenen Leistungen.

Die Inscenirung ist eine geradezu glänzende zu nennen, Pracht und Farbenharmonie der Costume wetteifern mit der künstlerischen Schönheit der Decorationen, von denen insbesondere die Zauberlandschaft und die Felsenwildniß im zweiten Acte (letztere eine wahre Augenweide für jeden echten Bergfexen) die laute Anerkennung des Publicums fanden, was nicht minder von dem Schlußbilde des ersten Actes gilt.

Was den äußeren Erfolg anbelangt, so war selber für Componisten und Mitwirkende ein überaus schmeichelhafter. Wiederholt bei offener Scene mit Beifall überschüttet, wurden die Mitwirkenden, in erster Linie Frau Materna und Herr Winkelmann, nach jedem Actschlusse gleich dem Componisten oftmals gerufen. Auch das schwungvoll aufgeführte Vorspiel und der Chor der Jungfrauen im letzten Arie: »Hast Du am Felsen«“, sowie das Ensemble im ersten Acte: »„Sei uns gegrüßt« entlockten dem ausverkauften Hause stürmischen Beifall.
Mz.

*) Zum ersten Male an der Wiener Hofoper aufgeführt am
19. November 1886.