Synkopen und Hammerschläge

… daß eine Kammermusik nicht dieselben Wellen schlägt wie ein Bühnenwerk, ein Konzert oder eine Symphonie. Deshalb kann es auch nicht überraschen, daß die Feuilletons nach dem 21. November 1878, dem Premierentag des Klavierquintetts op. 30, nicht im selben Stile aufmachen, wie wir das etwa bei der Ländlichen Hochzeit und der Königin von Saba erleben konnten und bei den kommenden Orchesterwerken sehen werden. Hier sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefaßt:

•Wien, 22. November 1878; h. Hofcapellmeister Hellmesberger eröffnete gestern seinen diesjährigen Quartetten-Cyklus vor einem überaus zahlreichen Publicum, welches den geschätzten Künstler nicht blos mit andauerndem Applaus, sondern auch mit Blumenspenden freudig begrüßte. Das Quartett besteht aus denselben Mitgliedern wie im vorigen Jahre, nur mit dem Unterschiede, daß der jugendliche Secondspieler nicht mehr unter dem Schleier von drei Sternchen (***) auf dem Anschlagzettel figurirt, sondern mit seinem vollen, bereits rühmlich bekannten Namen: Joseph Hellmeberger Sohn.

Josef Hellmesberger jun. (1855-1907)

Das Programm des ersten Abends brachte zwischen zwei classischen Lieblingsnummern des Hellmesberger’schen Repertoires (Schubert’s G-dur-Quartett. Beethoven’s Es-dur-Quintett) ein noch ungedrucktes Clavier-Quintett von Goldmark zur Aufführung. Letztere Novität fand stürmischen Beifall, der Componist wurde schon nach dem zweiten Satze gerufen und nach dem Finale drei- bis viermal. Zu der That ist das Quintett ein sehr erfreuliches, geistreiches Werk, das Beste, was wir im Fache der Kammermusik von Goldmark kennen. Der Strom seiner Erfindung, der in seinem Violin-Concert mitunter stockt und sickert, fließt hier voll und ungezwungen. Schon mit dem klaren, frischen Thema des ersten Satzes versetzt uns Goldmark in die günstigste Stimmung für das Werk. Das ganze Allegro hat einen lebhaften, dabei klaren, echt musikalischen Verlauf. Das Adagio setzt mit einer seelenvollen Violoncell-Melodie von langem, warmem Athem ein (Herr [Reinhold]Hummer spielte sie wunderschön) und führt sie in wechselnder Combination der Instrumente interessant aus. Dem Adagio schadet nur die allzu große Länge und einige nicht ganz glückliche Nachbildungen von Eigenthümlichkeiten der letzten Beethoven’schen Stylperiode. Der Rothstift dürfte vielleicht das Adagio zweckmäßig um eine Stelle des Durchführungssatzes kürzen, die nicht blos zu weitschweifig, sondern auch unschön klingt. An dem Erfolge des hübschen Scherzos wird der Componist deutlich genug wahrgenommen haben, wie viel es werth ist, zu rechter Zeit zu schließen. Auch das Finale würde, für unsere Empfindung, durch einige Kürzungen nicht verlieren, doch hat es uns auch so, wie es vorliegt, lebhaft erfreut durch sein brillantes Passagenthema und zahlreiche ebenso originelle als effectvolle Wendungen. In summa: eine Composition, zu der wir unseren Goldmark von Herzen beglückwünschen und deren echter Erfolg uns überall gesichert erscheint. Die schwierige Clavierpartie des Goldmark’schen Quintetts wurde von Herrn A. Door mit Kraft und Virtuosität durchgeführt. (Neue Freie Presse vom 23. November 1878)

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• Als die bedeutendste [unter den Novitäten] erschien uns ein Clavierquintett von Goldmark (die Pianostimme kraftvoll und feurig von Hrn. Door gespielt), ein in seinen drei ersten Sätzen überaus frisches, spontan empfundenes Werk, aus welchem uns das gesangvolle, wahrhaft dramatisch erregte Adagio besonders zusagt.

Anton Door (1833-1919)

Von grandioser Wirkung sind die energischen Synkopen und Hammerschläge des ersten Satzes, dessen Thema zwar eine ziemlich bekannte, schon bei Schubert (z. B. G dur-Quartett) und Schumann (Finale des Adur-Quartetts) vorkommende Physiognomie aufweist, von Goldmark aber in völlig neuer Weise, mit einer an Beethoven erinnernden eisernen Consequenz und einer Kenntniss des Claviereffectes, welche einem Rubinstein alle Ehre machte, durchgeführt wird. Als ein formelles Muster ist das schlagfertig kurze Scherzo zu erklären, während das Finale ein wenig redselig wird und überhaupt gegen die früheren Sätze entschieden abfällt. Schon das Thema gehört hier nicht dem Componisten zu Eigen, es kommt fast Note für Note in Schumann’s Esdur-Symphonie (Finale) vor.

Zum Glück rafft sich der Componist unmittelbar vor dem Schluss zu energischer Anspannung seiner Kräfte auf und gibt uns nun eine dem ersten Satz entsprechende glänzende Steigerung. Man scheidet von dem Werke mit der grössten Achtung vor seinem Autor und dem Wunsche, es wieder zu hören. Wie Goldmark speciell im Adagio in die machtvoll fortströmende »unendliche Melodie« dieses innerlichst empfundenen Gesanges ein zweites, gleichsam monumentales Thema hineinstellt, welches dem Ersteren als sicherer, fester Halt dient, das ist gleich überraschend, wie meisterlich; an einer Stelle dieses Adagio schwillt der Musikstrom förmlich dämonisch entfesselt an, als wollte er Alles überfluthen; wir erinnern uns nicht, in modernen Kammercompositionen allzu oft so unwillkürlich Packendem und Bewegendem begegnet zu sein. Dieses Stück, wie das ihm verwandte, aber ruhigere Adagio seiner Clavier-Violinsonate (D dur) hat der Tondichter mit seinem Herzblut geschrieben, es ist eigentlich hier eine unmittelbar überzeugendere Dramatik, als in gar manchen »Höhemomenten« der so viel bewunderten »Königin von Saba«. (Musikalisches Wochenblatt vom 14. Februar 1879)

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☞ Auch bei seinem zweiten Wiener Auftritt im Dezember 1879 geht Carl Goldmarks Klavierquintett glänzend über die Bühne. Hellmesberger kombiniert das Werk dieses Mal mit dem Streichquintett D-dur von Wolfgang Amadeus Mozart und einer Novität: dem Streichquintett G-dur op. 10 von Felix Otto Dessoff, der als Dirigent der Wiener Hofoper und Abonnementdirigent der Wiener Philharmoniker damals noch in bester Erinnerung ist:

• Der musikalische Antipode dieses [Werkes] ist Herr Goldmark, dessen Clavier-Quintett die zweite Nummer des Programmes bildete. Goldmark sucht den Effect da auf, wo ihn ein Dessoff kaum zu vermuthen wagt. Vieles taucht unvermittelt auf und obwohl der geistreiche Instrumentalist meist den gedankenschwachen Musiker glänzend zu umhüllen versteht, läßt dennoch diese Häufung von bizarren Einfällen, wie die pianissimo Begleitung von Clavier-Triolen in höchster Lage, breite Gesänge am Cello, welche in’s unisono übergehend, vom Compositeur nichts mitbekamen, sondern Alles dem Spieler überlassen, keine ungetrübte Befriedigung aufkommen. Goldmark’s Musik ist ohne Frage geistreich, ja genial zu nennen, aber Genies leben bekanntlich nur von Einfällen! (Morgen-Post vom 6. Dezember 1879)

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• Wien, 12. Dec. Der zweite Quartett-Abend Hellmesberger’s schlug zu einem Quintett-Abend um. Zur Aufführung kamen zwei Streichquintette (Dessoff und Mozart) und ein Clavierquintett (Goldmark). Das zum ersten Male aufgeführte Quintett von Dessoff, dem hier Unvergeßlichen, ist ein frisches, tüchtig gearbeitetes Werk, das einen überaus wohlthuenden Eindruck macht. Die Aufnahme war die möglichst günstigste; das reizende sein ciselirte Allegretto mußte wiederholt werden. Goldmark’s poetisches Quintett, mit Professor Door am Clavier, hat auch bei dieser zweiten Ausführung entzückt. Beide Werke sowie Mozart’s Quintett kamen in tadelloser Aufführung zu Gehör und bereiteten einen genußreichen Abend. (Signale für die musikalische Welt, 1880/3)