Die Königin von Saba (I)

»Die Königin von Saba«

In jenem Einleitungsworte, das ich dem Abbilde des Componistencharakters Goldmark vorangestellt, habe ich u. A. auch mit gehobenem Nachdrucke jenes eklektisch-kosmopoltischen Wesens gedacht, das sich in allen seinen bisher der Oeffentlichkeit übergebenen Werken zu einer von That zu That immer entschiedener hervorgetretenen Gestalt ausgeprägt hat. Eben dasselbe typische Merkmal ist es denn auch, das sowohl dem hörend Betrachten, wie dem partiturbeschauenden Blicke zunächst auffällt, sobald sich diese sinnlich-geistige Doppelthätigkeit entweder auf die eine oder die andere der beiden eben dargelegten Arten offenbart, oder dieselben vereint oder dieselben vereint zur Anwendung bringt, und sich solchergestalt in das Wesen und in die Formen des zur Stunde umfänglichsten aller Goldmark’schen Werke vertieft. Ich meine mit dieser hier gegebenen allgemeinen Andeutung die mit der Opuszahl 27 bezifferte und bei Pohle in Hamburg gedruckte Oper »Die Königin von Saba«. In diesem Tonwerke offenbart sich Goldmark’s schaffende und gestaltende Eklektiker- oder Kosmopolitennatur wohl im umfassendsten, weil aus= und durchgeprägtesten Sinne. Dieser letztere gestattet, oder vielmehr bedingt denn, eben ob seiner Vielgestaltigkeit, auch eine ebenso geartete Auslegungsweise. Der Hauptsache nach geht nun diese Art der Ausdeutung eines solchen Eklekticismus oder Kosmopolitismus vornehmlich nach zwei Grundrichtungen auseinander. Die eine derselben führt zu unbedingt probehaltigen , die andere hinwieder zu theils bedenkenschwer stimmenden, theils zu entschieden vernehmungwürdigen Ergebnissen. Anlangend die schrankenlos gutzuheißenden, ja stellenweise sogar als glanzvoll zu bezeichnenden Zeiten der von ganz entschieden geoffenbarter Eigenart durchdrungenen eklektisch-kosmopolitenhaft angelegten und entwickelten Tonschöpfernatur Goldmark’s, so ist hierüber im Allgemeinen und zugleich mit specieller Bezugnahme auf seine soeben näher zu beleuchtende Opernpartitur vor Allem zu bemerken, daß sich der aus selber hervorsprießende Eindruck – wenigstens stellenweise ja sogar nach ganz beträchtlich großen, in sich ebenso geschlossenen, als dem Gcsammtorganismus des Werkes fügsamen Abschnitten – zu einer unverstellt gehobenen Stimmung gegenüber so geartetem musikalischem Schaffen, und demzufolge denn auch zu einem ebenso rückhaltlosen Respecte vor selbem emporgipfelt. Im Besonderen kommt über die Lichtseiten dieses Goldmark’schen Eklekticismus oder Kosmopolitismus, bezugnehmend auf seine mit der Werkziffer 27 belegte Opernpartitur zuförderst die Thatsache in Betracht, daß man diesem Opus Zug für Zug beinahe anmerkt, in welch’ umfassendem Grade es sich entsprossen zeigt aus sorgfältigem Prüfen aller ihm voran vorangegangenen Stromabzweigungen des musikdramatisch jemals bethätigten Schöpfergeistes.

Schon auf Grundlage alles bisher kennengelernten und im ersten Theile dieses Aufsatzes besprochenen Goldmark’schen Tonschaffens darf entschieden ausgesagt werden, daß dasselbe ein ganz in seiner Zeit lebendes, ja in selber vollständig aufgegangenes Kunstwalten sei und vorstelle. Von einem so begabten und nach so mannichfachen Richtungen hin verzweigten, also in höchster Potenz vielseitigen Wirken läßt sich denn weiter mit ebenso haltbarem Grunde auch unter Einem voraussetzen, daß, wenn auf musikdramatischen Boden sich stellend, es auch diesem bestimmten Felde des musikalischen Schaffens seine Kraft weihend, nach aller ihm verfügbar gestellten geistigen Stamm- und Spannkraft bemüht sein werde, allen diesen Vorstufen des jemals solchergestalt, nämlich musikdramatisch geoffenbarten Tongeistes die ihnen gebührende Stelle einzuräumen und zu verbürgen. Der Gedanke und Wille dieser Stellungsanweisung spricht sich wohl am Bündigsten damit aus, daß man alle diese vielfältig verzweigten früheren Arten, musikalisch zu denken und zu schaffen, als Strahlenbrechungen eines Lichtes ansieht, deren Sendung dahingeht, in einem Brennpunkte zu münden und in diesem vereint, erst ein Ganzes zu bilden. Dieser Brennpunkt kann aber, hell am Tage liegend, kein anderer sein, als das Streben, der Wille und das Vollbringen derjenigen Zeit, in deren unmittelbarem Kreise wir leben, weben und sind. Und daß sich dieser bestimmte, auf musikdramatisches Schaffen bezugnehmende Horizont für unsere Zeit ausschließend in dem Namen und in den Werken Richard Wagner ’s zusammenfasse; das ist ja längst festgestellte, keines Beleges mehr erheischende geschichtliche und Lebensthatsache.

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Also auch Goldmark, der musikalische Eklektiker und Kosmopolit, ist, sofern dramatisch in Tönen gebahrend, zu den durch Richard Wagner , den Mann und Beherrscher der Zeit nach musikdramatischer Richtung erschlossenen Quellen geflohen und hat aus ihnen geschöpft. Es fragt sich nun, in welcher Art und in welchem Sinne hat Goldmark Solches vollbracht? Die Antwort auf diese Frage ist mit zwei Worten kurz gegeben. Und zwar sind dies jene Worte, die den Ausgangs- und Schlußpunkt dieser ganzen hier niedergelegten Untersuchung bilden. Ich meine nämlich, Goldmark hat diese seine dem Zeitwillen, beziehungsweise also dem unumgänglichen Willen und der ebenso gearteten That Richard Wagner ’s angepaßte Aufgabe im Sinne eines Eklektikers oder Kosmopoliten gelöst, in welch’ einander synonymen Worten oder vielmehr Begriffen ja Goldmark’s vornehmste Eigenart, oder »lebend sich entwickelnde geprägte Form« liegt. Goldmark’s Künstlernatur sträubt sich wider jede Art der Schablone, sei diese auch die freieste aller uneigentlich sogenannten Schablonen, nämlich jene R. Wagner’s. Diese letztere kann man ja wohl eigentlich berechtigter Weise nicht als Schablone bezeichnen. Man fühlt sich im Gegentheil innerlich gedrängt, dies an Wagner’s Art, dramatisch-musikalisch zu denken und zu formen, seit der »Lohengrin«-Phase immer wiederkehrende, also ihm und seinen Schöpfungen typisch gewordene, vielmehr als freigeborenes Ergebniß des R. Wagner’schen Selbst, seiner angestammten Ur- und Allkraft, hinzustellen. Allein Wagner ist eben ein »Einziger«, oder vielmehr »der Einzige«. Jene Formen, in die er sein ton- und wortpoetisches Wesen hüllt, sind eben »sein« und keines Anderen Eigenthum. Ihm nachahmen in des Wortes engster Bedeutung, ist unmöglich. Denn der in seiner Art »Einzige«, oder der »Eigner« seiner bestimmten auf Grundlage geschichtlich gleichsam »krystallisirter«, also lang oder kurz vor ihm schon gegebener Voraussetzungen, selbstgeschaffenen Geistesrichtung, kennt und hat daher auch keine Schablone, die etwa von Jedwedem nachgeformt werden könnte im Sinne der Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit. Auch geistig Berufene und Erwählte, also Nichtbequeme und Nichtgedankenlose würden immer insofern Wagner schrittweise nachahmen zu wollen ängstlich bemüht, unbedingt, unwiderruflich scheitern. Denn selbst Wagner’s seit »Lohengrin« den Thaten seines Genius typisch gewordener »Leitthemen«- oder »Leitmotive«-Vorgang ist kein schablonenhaftes Verfahren in dieses Wortes strengster Bedeutung. Seinem tiefinnersten Künstler und Denkerwesen entsprossen, kehrt es ja in seinen seit »Lohengrin« datirenden Schöpfungen eben nur aus tiefinnerlichstem Drange hervorgegangenen, also durchaus nicht infolge irgendwelcher äußerer Nöthigung, immer wieder. Es fließt unabweislich nothwendig aus der in Wagner’s Geiste festgeprägten Idee des Drama’s als einer künstlerisch in sich untrennbaren »Monas«.

Goldmark hingegen, ein »Eigner« ganz anderer Art, als R. Wagner, hat nun dieses soeben nach seinen allgemeinsten Umrissen in die Erinnerung der Leser dieses Aufsatzes zurückgerufene Verfahren des »Meisters« in der mir vorliegenden Opernpartitur nicht blos nicht adoptirt, sondern beharrlich gemieden. Und er hat mit dieser Umgangnahme vollkommenes Recht behauptet. Denn sobald Zwei Dasselbe vollbringen, ist es nicht mehr Dasselbe. Diese Lebensregel steht nun einmal für all’ und jede Art der menschlichen Thätigkeitsäußerung unwandelbar fest. Die Schwerpuncte des musikalisch-dramatischen Schaffens Goldmark’s liegen – wenigstens mit Hinblick auf die Opernpartitur seiner »Königin von Saba« – ganz irgendwo anders. Goldmark nämlich, dem nach äußerem Lebensentwickelungsgange denn doch eigentlich von Hause aus zum absoluten Musiker Berufenen und durch sich selbst zu einem solchen Erzogenen, also sich selbst Emporarbeitenden und Herausformenden, war es, dieses sein bis jetzt erstes und einziges Musikdrama hinstellend, in erster und wohl auch letzter Richtung vornehmlich um das Herausstellen eines möglichst glanz- und geistvoll ausgestatteten reinmusikalischen Inhaltes zu thun. Ist ja die hier vorliegende Opernpartitur, nach dieser bestimmten Gebietsseite bin betrachtet, Goldmark’s Erstlingsversuch! Allein das Musikdrama als Gattungsbegriff umfaßt ja – wie schon der Wortlaut es ergiebt – zwei von einander wesentlich verschiedene, begrifflich also von einander getrennte Sphären: die musikalische und die dramatische, aus deren Einigung es ausgeht. In Wagner’s Sinne hat nun also Goldmark die hier gestellte Aufgabe durchaus nicht erschöpfend gelöst; sondern er hat als Eklektiker nur einzelne, ihm besonders schwerwiegend bedünkende Momente aus Wagner’s diesbezüglichen großen Errungenschaften herausgegriffen. Es sind die Wagner’n eigenthümliche Art der Orchestration und die selbigen Meister von seinem gesammten Vorgange wesentlich unterscheidende, ihn daher als Typus seiner ganz bestimmten Prägung hinstellende Art der Zeichnungen der einzelnen Charaktergestalten.

Vor Allem zeigt sich der in Goldmark’s Opernpartitur zum weitaus überwiegenden Theile, wo nicht gar ausschließlich angewandte Vorgang fast ängstlich beflissen, jeder betheiligten einzelnen Instrumental- wie auch jeder einzelnen Gesangstimme – eine Verstärkung anzubringen oder beizufügen. Diese letztere erweist sich übrigens hier in den seltensten Fällen nur als bloße Intervallenverdoppelung. Es wird vielmehr hier – ungleich weitergehend als Goldmark’s angehend den Orchestersatz ersichtlichste Vorbilder Berlioz, Wagner und Liszt – jemals gegangen waren und sind – in den meisten Fällen zu dem von einem Instrumente vernehmbar gemachten Tone in einem genau derselben Art oder Gattung angehörenden instrumentalen Einzelvorgange ein Ton oder nach Möglichkeit sogar eine Mehrzahl von Tönen einer wesentlich verschiedenen Klangfarbe gefügt. Von diesem stromenti divisi-Verfahren wird in der »Königin von Saba«-fast durchgehend ein beinahe lucullenhaft verschwenderisch zu nennender Gebrauch gemacht. Diese Zuthaten erweisen sich zwar – wie dies von einen ursprünglich reichbegabten und gewiegten obgleich naturalistisch vorgehenden Tondenker und Dichter von der angestammten Durchprägung Goldmarks wohl nicht anders vorauszusetzen – meist, wenn auch nicht immer und durchaus nicht nach aller Aristarchenregelstrenge als unbedingt zu rechtfertigende accordlich-modulatorische Wendungen. Nur wenige Fälle kommen in dieser Opernpartitur vor, die den, Hörer oder Leser eine nach dieser bestimmten Seite hin widerhaarige oder widerwillige Stimmung abnöthigten. Gleichwohl gehört ein solcher Vorgang, wie ich ihn soeben auf Grund des Anhörens und Durchlesens dieser Goldmark’schen Partitur zu beschreiben versucht habe, offenbar zu den ausgeprägtesten Sünden wider die Kernregel des künstlerischen Maaßhaltens. Läßt doch eine so geartete Procedur weder den Hörer noch den Leser zu irgend einer gründlichen Ruhe und Sammlung kommen! Sie zählt denn offenbar zur Classe jener – meist nur Anfängern oder Schülern – auszustellenden Uebergriffe, deren bündigste Zusammenfassung sich in dem uralten, aber ewig neu bleibenden Kern- und Wahlspruche ergiebt, der da von einem »Walde« spricht, dessen man vor lauter »Bäumen« nicht gewahr wird. Abgesehen von diesem den Nerv der Sache treffenden Tadel erschwert ja ein solches Verfahren auch in kaum ermeßbarem Grade die Thätigkeit des Ausführens solcher Werke, die da anfangen zu können und zu sollen wähnen, wo eigentliche Meister ihrem Dränge des »in die Ferme Schweifens« ganz kategorisch einen Halt zu gebieten wissen. Es ist dies eine Wahrheit, der gerade Goldmark’s nach dieser Seite hin leuchtendste Vorbilder Berlioz, Wagner und Liszt mit nachsichtsloser Strenge treu geblieben sind und der sie denn auch in ihrer Praxis durchgreifendste Folge geleistet haben. Kurz G.’s Opernwerk krankt, reinmusikalisch beschaut, ungeachtet seines nicht blos reichen sondern auch fast durchgehends geistreichen Details, in gar vielen Stücken denn doch bedenklich an dem Hauptfehler aller Erstlingswerke, nämlich an dem schon oben gerügten Zuviel an Stoff aller nur möglichen, der sich hier oft ganz wahl- und sichtlos aufgehäuft findet. Dieses Extrem hat nun wieder seine Quelle in dem fast allen Anfängern auf künstlerischem Schaffensboden gemeinschaftlich und fast ausnahmslos innewohnenden unwiderstehlichen Drange all ihr angeborenes und angeeignetes Können in einem einzigen Werke niederlegen, so zu sagen ausschütten zu wollen. Und daß Goldmark als Operncomponist – bis jetzt wenigstens noch, und trotz aller bald da bald dort hervorblitzenden Züge einer für dieses bestimmte Fach offenkundig prädestinirten Meisterschaft – auf dem Anfängerstandpunct festhaftet dies ergiebt sich schon aus der einfachen Thatsache, daß dieses Opernwerk als solches seine Erstlingsthat ist, während viele andere Sphären des Tonsatzes schon der Thaten männigliche seines bis zu gewisser Grenze nicht wenig gereiften, ja erlesenen und reich begnadeten Tonschöpfergeistes aufzuweisen haben. Allen Respect jedoch vor solchem Anfängerthume, dem sich im ersten und letzten Grunde eigentlich nur ein Zuviel an Stoff aller nur möglichen Art, nimmermehr aber ein Zuwenig an solchem gerechterweise ausstellen läßt. Der Melodiker und Rhythmiker Goldmark verfolgt im Gesammtwesen wie in dem meisten Einzelnen seines Opernwerkes wohl ganz andere, vom specifischen Wagner-Standpuncte sehr fernabliegende Ziele. Mit Hinblick auf diese eben näher bezeichneten Gesichtspuncte, den melodischen und rhythmischen, schlägt bei Goldmark – wenigstens der Hauptsache nach, wenngleich nicht durchgängig – der Hebräismus entschiedenster Färbung vor. Wie jedermänniglich bekannt, infolge so vieler bereits an fast allen nennenswerthen Stellen deutscher Erde stattgehabten Vorführungen der Goldmark’schen Oper, ist es ja durchweg der speciell hebräische Boden, innerhalb dessen streng gezogener Marken sich der diesem Werke zu Grunde gelegte Stoff sowohl als Gesammtheit, wie im Hinblicke auf eine jede seiner Einzelngestalten vom Beginne bis zum Schlusse beharrlich fortbewegt. Einer so gearteten dichterischen Grundlage eignet und assimilirt sich denn nach immerdar giltigen Denk- und Seelenlebensgesetzen wohl keine andere Gesangs- und Rhythmenform mit solcher Genauigkeit und Strenge, als die von altersher schon längst gegebene und überkommene des speciellen musikalischen Hebräismus. –

(Schluß folgt.)