Die Ländliche Hochzeit (I)

Die Opuszahlen 24 und 25 erschienen bisher noch nicht im Kataloge der in die Oeffentlichkeit gedrungenen Werke Goldmarks. Es muß daher von ihnen ebenso Umgang genommen werden wie von so manchen ihrer Vorgänger. –

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Opus 26 ist ein umfangreiches Orchesterwerk. Dieses umfaßt, oder es ist vielmehr – genau genommen – bestrebt, zwei Sphären des Tonschöpferlebens mit einander zu paaren und von einander durchdrungen hinzustellen, die – wiederholt sage ich: genau, d. h. nach begrifflicher und ideeller Seite, ja selbst mit dem Maaßstabe gemeinhin conventioneller Auslegungsart betrachtet und gemessen — ziemlich weit von einander abliegen, also in einem nicht wenig ausgeprägten Gegensatzesverhältnisse zu einander stehen. Diese beiden Pole heißen: Programmmusik und absolute Musik. Beide treten hier mit entschiedenem, selbstherrschaftlichem Willen bald gegen einander, bald mit einander – mindestens äußerlich – verflochten, also bald als offene Feinde, bald wieder als scheinbare Bundesgenossen, auf. Die an das oberste Spitzende dieses Goldmark’schen Opus gestellte Ueberschrift lautet: »Ländliche Hochzeit« Dicht unter diesem die Programmmusik starkarmig berührenden oder wenigstens merkbar streifenden Titel steht die auf speciell musikalischem Gebiete längst eingebürgerte, ja erbgesessene Ueberschrift »Symphonie«. Diese letztere, zugleich mit diesem specifisch musikalischen Range, aber auch selbstverständlich auch die Stellung eines des mit einem dem Wortdichterbereiche entnommenen Titel bedachten Tongemäldes, oder richtiger Tonwortgemäldes behauptend, zerfällt nun in fünf Abtheilungen oder Sonderglieder. Jede oder jedes dieser letzteren trägt nun wieder ihr oder sein kurzgefaßtes, theils poetischmusikalisch, theils wieder rein absolut oder specifisch musikalisch eingekleidetes Programm. So benennt sich denn der erste Satz – in einem Athem ausgesprochen – zuerst »Hochzeitsmarsch«, dann durch die Kopula » und« verbunden: »Variationen«. Demselben Typus folgend sind nun auch alle weiteren Sätze dieses Goldmark’schen Opus 26 doppelt überschrieben. Der erste Titel des zweiten Satzes lautet »Brautlied«, der zweite »Intermezzo«. Auch der dritte Satz führt sich mit einer doppelten Signatur ein, deren eine »Serenade«, die andere »Scherzo« heißt. Ebenso der vierte Latz, an dessen Kopfe zuerst die vieldeutigen Worte »Im Garten« stehen, dicht neben diesen aber der für den Musiker wohl keiner weiteren Auslegung bedürfende Terminus »Andante« gestellt ist. Endlich bedient sich auch der fünfte und zugleich der Schlußsatz dieses symphonischen Werkes zweier Benennungen deren eine im Worte »Tanz«, die zweite hingegen mit dem auf absolut musikalischem Boden längst Ausdrucke »Finale« erledigt ist. Ueber allen diesen, theils der wortdichterischen, theils der abstract musikalischen Sphäre entnommenen Einzelnbezeichnungen steht schließlich noch der dem zuletzt genannten Bereiche angehörende, also reinmusikalisch zu fassende Titel »Symphonie«. – Man sieht denn aus der Anordnung des hier dargebotenen Stoffes ganz klar die auf einen Vermittleract zwischen zwei nach gewohnter Anschauungsart strenggegensätzlich zu einander gestellten Schaffensgebieten hindrängende Absicht. Damit wäre wohl allerdings kein neues Experiment hingestellt. Die Wahrheit dieses eben gefällten Ausspruches liegt wohl jedem Musikgeschichts- und Musiklebenskundigen klar zu Tage. Allein mich dünkt dieses hier versuchte Amalgam der zwei eben näher bezeichneten Gegensatzeselemente nicht genügend logisch eingeführt. Es macht sich in diesem Werke vielmehr ein Gebahren geltend, das sich den beiden hier angegebenen Kunstrichtungen gegenüber blos als ein nothgedrungen zugeständliches Zwitterwesen verhält. Aus der Betrachtung dieser Bastard- oder Zwitterstellung, die hier absolute oder Programmmusik zu einander behaupten, geht im letzten Grunde doch klar hervor, daß Goldmark, obgleich hier ganz unläugbar von einem gewissen in der Zeitgeistesatmosphäre liegenden Kosmopolitendrange berührt, sich in diesem seinem symphonischen Werke deßungeachtet den Schein giebt, als sei er Vollblutprogrammmusiker. Ebenso klar geht aber aus der Betrachtung desselben Werkes die Thatsache hervor, daß Goldmark umgekehrt wie jeder von solchem Aether noch gar nicht oder höchstens nur vorübergehend oder angewehte Tonschöpfer früherer Tage, den eigentlichen Schwerpunkt musikalischen Schaffens doch nur in jenem Wesen erkenne, das man reines, von allem außermusikalisch-poetischen Inhalte ganz losgelöstes Walten im Tonbereiche nennt. Diese Zwitterstellung ist es eben, die dem Gesammteindrucke des in Rede stehenden Symphonieopus Goldmark’s großen Eintrag thut und es weit hinter jene Stufe zurückdrängt, die es einnehmen könnte, stellte es sich mit vollkommen entschiedenem Sinne in das Feldlager der einen oder der anderen Partei, oder erstrebte und erfüllte es zwischen beiden eben genannten Sphären eine ähnliche Verkettung, wie etwa Beethoven in seiner »Pastoralsymphonie«, oder wie Spohr in seinen drei Symphonien mit theils kürzeren, theils ausgedehnterem Programme (»Weihe der Töne«, »Irdisches und Göttliches im Menscheleben« und »Jahreszeiten«), oder endlich wie die beiden Spitzen unter den jüngsten Symphonikern Berlioz und Liszt in ihren sowohl von reiner Musik als von Programmmusik wie von ihrem Kerne und Bedeuten ganz durchtränkten und durchgeistigen [!] hierhergehörigen Tongebilden.

Eingedenk dieser – wie ich wie ich glaube – klar genug dargethanen schiefen, zwitterhaften Stellung dieses Goldmark’schen Opus symphonicum, halte ich es für gerathener, von dem in selbem nicht fest genug bewahrten und schon von vornherein auf keine so recht haltbaren Stützen gestellten Programmmusikcharakter gänzlich abzusehen und es lediglich als Tongemälde schlechthin aufzufassen und von solchem Standpunkte allein ausgehend, zu prüfen und zu würdigen.

Der Eingangssatz ist – wie schon oben andeutungsweise bemerkt – über ein mannigfach variirtes Thema gebaut. Er ähnelt also, formell betrachtet, genau dem Schlußsatze der Eroica Das Thema wird vom Beginne bis zum Schlusse lediglich von den Violoncellen und Contrabässen ausgeführt. In diesem Grundgedanken, dessen geistige Farbe annähernd etwa als ein Analogon nicht blos des vorerwähnten Beethoven’schen Thema’s, sondern auch all, ein freigeborner Sohn der Freudenhymnus-Grundidee aus desselben Meisters »Neunter Symphonie« festzustellen wäre, wallt volksthümliches Kernblut. Es muthet mich ungefähr dergestalt an, wie ein in musikalisches Neuhochdeutsch übertragener Händel. Es ist dies ein Typus, dem sich ja auch – in weitester Bedeutung mindestens – die beiden oben angeführten Beethoven’schen Themen sehr nähern. Der Leser urtheile selbst und controllire die Stichhaltigkeit der soeben ausgestellten Meinung auf Grundlage des folgenden Notenbeispiels:

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Dieses Thema erfährt nun – wenn ich recht gezählt – dreizehn Umgestaltungen. Diese sind gegeneinander mannichfach abgegrenzt. Der in dieser Beziehung dem Componisten dienende Maaßstab ist ein doppelter. Einmal leitet ihn bei Vollführung dieser Ausgabe das reinmusikalische Princip. Ein anderes Mal ist wieder sowohl dem Thema selbst, als dem mit dessen Verarbeitung unternommenen Umgestaltungsacte freieste Bahn geebnet. In einem anderen Falle wird nun wieder dem diesen Klängen durch den Willen des Componisten eingelebten Stimmungscharakter das vornehmste Spruchrecht eingeräumt. Bald ist nun wieder die enge Vermählung aller soeben dargelegten Standpunkte die bezüglich der hier geführten Tonsprache maaßgebende Einheit. Diese Varianten ziehen sich durch 70 eng zusammengedrängte Partiturseiten. Der überwiegenden Mehrzahl dieser thematischen Umwandlungen ist fast durchgehends wahre Lebensfrische der Gedanken und reich entwickelter Orchesterfarbenmischungssinn nachzurühmen. Dieser durchaus ächte, ich möchte sagen dieser im orchestralen Leben ganz aufgegangene Geist läßt sich hier auch – zum weiteren, nachdrucksvollen Lobe des Componisten gesagt – auf eine ebenso formell durchreifte als begeistert stimmungsvolle und stimmungstiefe Grundlage zurückführen. Ungeachtet der nicht geringen Ausdehnung des fraglichen Satzes kommt übrigens in demselben nur sehr Weniges vor, das man etwa mit den Ausdrücken matt, eckig, müssig oder schlottrig belegen könnte. Und dies Wenige verschwindet fast zu Null unter der Masse des bald nach diesem, bald nach jenem Hinblicken Emporragendsten.

Es sei nun über den zweiten Satz des in Rede stehenden Werkes (B-dur, Allegretto) nur in aller Kürze bemerkt, daß derselbe in weit höherem Grade als sein unmittelbarer Vorgänger, jenem ihm vorangestellten Titel oder Programme die Waage halte, das in dem kurzen, hier aber vielsagenden Worte »Brautlied« niedergelegt ist. Der in Rede stehende Satz ist diesem sich vorgesteckten Ziele vornehmlich kraft der aus seinen Klängen deutlich sprechenden Innigkeit, Sinnigkeit und minnegesangsähnlichen Volksthümlichkeit nahe gekommen. Dieser Grundzug und Stimmungscharakter waltet auch in fraglichem Satze noch bei Weitem hochgradiger und schrankenloser, als in allem hierherbezüglichen bisher uns erschlossenen Stoffe des Goldmark’schen Tonschaffens. Dieses Letztere war uns bisher als eine immer mehr nach der Verstandesreflexionsseite, denn als eine nach der Gefühlsrichtung hin gravitirende Kraft erschienen. Einem solchen Charaktergepräge entspricht auch ganz genau der hier festgehaltene Orchesterfarbenton, in dessen mannichfacher und immer treu dem Stimmungswesen des jedesmaligen Tonstückes angeschmiegten Nüancirung überhaupt uns insbesondere mir daher eine der vornehmsten Seiten der Gestaltungskraft Goldmark’s liegt, mir daher ein für alle Male zu rühmen und demzufolge mit aller möglichen Gehobenheit und Wärme des Nachdruckes zu betonen dringend pflichtgeboten scheint.

Der dritte Satz (Ddur, Allegro moderato, scherzando) fesselt besonders durch die in alle seine Verlauterorgane und ganz speciell auch hier durch den in das kaum stimmungstreuer ausgestattet zu denkende und zu wünschende Orchestercolorit ergossenen prickelnden Humor. Dieser umgiebt sich hier noch überdies mit dem Nimbus einer ungemeinen Vornehmheit der Ausdrucksweise, die eben nur bei Humoristen erlesenster Prägung vorzukommen pflegt. Leider stören den Partiturleser – und höchst wahrscheinlich auch den Hörer, worüber ich nicht urtheilen kann, da das Werk nur ein Mal und zwar schon vor ziemlich langer Zeit, an mir vorrübergerauscht [!] ist – in diesem Tonstücke wieder einmal etliche Härten der Stimmführung, die so leicht zu vermeiden gewesen wären und denen ein gründlich geschulter Componist auch gewiß beharrlich aus dem Wege gegangen wäre. Der aufmerksame Partiturenleser dürfte so gearteten Achillesfersen wohl unschwer auf die Spur kommen. Mich gelüstet es nicht mehr, den Ballast meiner bisherigen Auseinandersetzungen noch durch neue Zuthaten zu beschweren, insbesondere, wie in gegebenem Falle, in tadelndem Sinne. Der Beweis, daß Goldmark Naturalist sowohl im besten, als in bedenkenschwerstem Sinne sei, ist wohl durch alles dieser Anzeige Vorangegangene schon zur Genüge fest- und hergestellt. –

(Fortsetzung folgt.)