Ungarische Tänze und Frühlingshymne

In Opus 22, einem bei C. Schott’s Söhnen in Mainz an den Tag gekommenen Cyklus von »Tänzen für das Clavier zu 4 Händen«, waltet, soweit aus mühsam gegeneinander combinirten Einzelnstimmen zu entnehmen, leicht beschwingte Grazie, die an gewissen, besonders prägnant hervortretenden Einzelstellen sogar zur Sprache des Humors sich verklärt.–

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Bei Opus 23, einer bei Schott in Mainz – selbstverständlich als Partitur, wie überhaupt alles in die polyphone Sphäre Einschlägige Goldmark’s – gedruckten »Frühlingshymne« nach einem Gedichte von Geyer für Altsolo, vierstimmigen Chor und großes Orchester, hat sich der Componist wohl ziemlich schwer in der Texteswahl vergriffen. Dieser Text, der nicht blos mit dem soeben angeführten Haupttitel überschrieben, sondern außerdem noch mit dem – wie sich sogleich erweisen wird – sein eigentliches Wesen klar bezeichnenden Beisatze: »Maibetrachtung« versehen ist, dieser Text – wiederhole ich – wurzelt so tief im Reflexionsgebiete engsten Sinnes, ist daher dergestalt lehrgedichtartig angelegt, daß er dem lyrisch, also vornehmlich seinem Gefühlsdrange nach berufenen Componisten fast keinen Stoff gewährt. Weit eher ist solcher Text dazu angethan, einen in Tönen waltenden Kunstmenschen gründlich abzukühlen, als ihn zu vornehmlich aus innerstem Gefühls- und Phantasieleben hervorgegangenem Schaffen irgendwie anzuregen, wie dies doch allem Tondichten in lyrischer Sphäre als unumgängliches Grundgesetz erforderlich ist. In dieser versificirten Vorlage wird eben nichts weiter betont und vom Beginne bis zum Schlusse mit einer ungemeinen Starrheit festgehalten, als ein sich festsperrendes abstractes Gedankenleben.

Goldmark’s Musik steht insofern zu ihrer dichterischen Vorlage im entschiedensten Verhältnisse des Gegensatzes, als aus der hier geführten Tonsprache ein wohlthuender, würziger Duft weht, ähnlich jenem, der zur Lenzeszeit über dem Natur-All sich verbreitet. Es wird mithin durch so geartete Klänge gerade das Wiederspiel jener Eindrücke

Im Hörer wachgerufen, in deren Netz die Lektüre dieser Ausgeburt kühler Reflexion uns einzuspinnen vergebens bemüht gewesen war. Da herrscht ja ein Leben, Schwirren und Jubeln in allen Gegenden des mannichfach verzweigten Orchesters, des Chores und der Sologesangstimme, als sollte aus den Kehlen und Seelen eines ganzen Weltalls von Geschöpfen ein sich in jedem seiner Lebenszüge selbst überbieten wollender Lobes- und Preiseshymnus dithyrambischer Art an den nach langem Schlafe wiedererstandenen König des naturblüthenfreudigen Daseins, an den holden Lenz nämlich, ertönen. Nun stellt sich zwar das hier aufgebotene Detail an reizvollen Klangwirkungen, und vornehmlich an Klangfarbenmischungen und Verschlingungen aller möglichen Art in jedem Anbetrachte ungemein lockend heraus. Dessenungeachtet bin ich aus guten, reif erwogenen Gründen entschlossen, den Weg der Analyse bei Besprechung dieses Opus nicht einzuschlagen. Denn ich befürchte, es könnte, aus Anlaß eines solchen Vorganges, der durch das sinnliche und geistige Hören jenes Tonstückes erweckte Genusseszauber eher verkümmert, als erhöht werden. Ich halte dieses Werk für eines der urwüchsigsten Goldmark’s. Vor Allem ist es aus einem Gusse geboren. Nach Ecken und Kanten wird man hier wohl vergebens fahnden, ungeachtet man häufigere Begegnung derselben in den größeren, sogenannt »gearbeiteten« Werken des Autodidakten und Naturalisten Goldmark bisher gewöhnt. Selbst gewisse Schrullen, auf denen Goldmark öfter zu betreten ist in Allem, was er, auf polyphonem Boden sich bewegend, bisher in das Dasein gestellt, erscheinen hier in einem ungleich milderen Lichte. Dahin gehören unter Anderem in melodischer Beziehung das allzuhäufig wiederkehrende Ausbeuten des orientalischhebräischen vermählt mit dem magyarischen oder slawischen Typus. Ich habe zwar früher die geistvolle Anwendung dieser Ueberkommnisse als eine der vornehmsten Eigenarten des Componisten Goldmark rühmend hervorgehoben. Allein gegen das abspannende Zuoft und Zuviel an Wiederaufnahmen dieser bestimmten Phase des Tondichtens und Formens wäre denn doch Einsprache zu erheben. Und so wirkt es denn wohlthuend, diese stereotype Art hier, wo es die Schilderung des mannichfaltigen, blüthenreichen und frischen Lenzes gilt, einigermaßen in den Hintergrund gedrängt zu sehen. Auch einer zweiten bisher oft bemerkbaren Componistenschrulle oder Grille Goldmark’s begegnet man hier ungleich seltener. Sie wurzelt im harmonischen Gebiete und präcisirt sich wörtlich wohl am Bündigsten, wenn ich eben diese Schrulle oder Grille mit dem wohl etwas hartklingenden Ausdrucke des gänzlich unvermittelten Holperns oder Stolperns aus einer Tonart in die andere bezeichne. Es ist dies ein Verfahren, das oft sehr weit abliegt von dem zwar aus den ersten Blick nicht minder verwegen scheinenden, dessenungeachtet aber stets auf festester musikalischer Basis ruhenden Vorgänge Seb. Bach’s und Beethovens, und vollends auf jenem der erleuchtetsten Nach-Beethoven: Schumann, Berlioz, Wagner und Liszt. Allein Goldmark thut – wie ich wohl schon öfters zwischen meinen in diesem Aufsatze niedergelegten Zeilen theils durchschimmern ließ, theils es unverholen ausgesprochen und nach bestem Können zu begründen bestrebt gewesen – nach diesem bestimmten Hinblicke wohl sehr häufig ein Erkleckliches zu viel; während er hinwieder – von einem anderen Gesichtspunkte aus besehen, der sich vorzugsweise bei der später folgender Besprechung seiner Oper »Die Königin von Saba« herausstellen dürfte – in Bezug aus mehrseitig zugeständlichen Kosmopolitismus ebenso beträchtlich als bedenklich über die Grenze einer gewissen insbesondere im deutschen Tonkunstbewußtsein festgewurzelten Grenze hinausgeschossen hat, oder stellenweise sogar auch tief unter selbige herabgegangen ist. In dieser »Frühlingshymne« hält er sich aber als Musiker aus ebenso gesetzlichem, als seinem unbeirrten Wandern innerhalb der Schranken des immerdar Kunstwürdigen und Schönen offenstehendem Boden. – Nur von einer Schrulle kann ich Goldmark, auch diesem Werke gegenübergestellt, nicht freisprechen. Diese beruht nämlich auf dem alle Augenblicke ohne zureichenden Grund angewandten, daher ganz leeren Außenwirkungsmittel des Umstimmens gewisser Instrumente, z. B. der Clarinetten, Hörner, Trompeten und Pauken in andere Tonarten und demzufolge auch in andere Tonlagen. Dies Verfahren wirkt nicht wenig erschwerend auf die Entfaltung der Ueberblickskraft des durch solches Chaos von Vorzeichnungen sich durchzudrängen genöthigten ausführenden Musikers und Partiturenlesers. Und ganz abgesehen von solcher Mühsal des Lesens und Entzifferns so gearteter Hieroglyphen, liegt ja in den hier zu Grunde gelegten Dichterworten nicht die mindeste logische oder psychologische Nöthigung zu Umstellungen der eben erwähnten Art. Es ist dies übrigens die einzige Stelle des sonst in jeder Beziehung blühend ausgestatteten Tonganzen, das den gemischten Chorgesang-Vereinen hiermit mit aller Wärme des Nachdruckes empfohlen werden möge. –

(Fortsetzung folgt).