Einleitung und erste Werke

Tondichter der Gegenwart.
Carl Goldmark
Von Dr. Graf Laurencin.

Um Goldmark’s Tonschaffen und Tongestalten erschöpfend gerecht zu werden, gilt es vor Allem, zwei Gesichtspunkte festzuhalten. Der eine betrifft Goldmark’s künstlerischen Bildungsgang. Der zweite gipfelt in dem durch alle seine bisher veröffentlichten Schöpfungen sich schlingenden rothen Faden. Ich meine hiermit die fest begrenzte Eigenart und das aus innerlichster Nothwendigkeit hervorgegangene Schaffen Goldmark’s. –

Nach erstem Hinblicke ist Goldmark Autodidakt in dieses Wortes entschiedenstem Begriffssinne. Er hat, laut eigenem Bekenntniß, niemals einen streng gegliederten Lehrcurs, oder eine sogenannte Schule durchgemacht. Er war niemals Compositionszögling eines musikalischen Einzelnlehrers oder einer in diese Classe gehörigen Bildungsanstalt. Alles innerhalb dieser Sphären irgendwie Erlernbare verdankt Goldmark ausschließlich dem Selbststudium theoretischer Werke und dem ursprünglich scharf und stark besaiteten Forschungs– oder Beobachtungsgeiste; also: seinem eigenpersönlichen Selbst.–

Wer nun die massenhaft vielen und weitverzweigten Kreuz-, Quer- und Umwege kennen gelernt hat, die ein solcher Selbstlehrer im Fache der Tonkunst und ihrer Wissenschaft nothwendig durchpilgern muß, um selbst unter Voraussetzung der glanzvollsten Naturbegabung zu irgend einem greifbaren Ergebnisse und zu irgend einem ausgeprägten Erfolge als Tonbildner hindurchdringen zu können, der wird, Goldmark’s Werke – die allerersten etwa aus ausgenommen – durchblickend, der in selben niedergelegten Gedankentiefe, Formenfreiheit, Gestaltenfülle und – zumeist wahrnehmbaren – strengen Abgeschlossenheit seine Würdigung unmöglich versagen können. Genau dasselbe gilt von dem in Goldmark’s bisher veröffentlichten Werken niedergelegten, überall klar ersichtlichen Sondern reicher Naturbegabung, wie an einer in den meisten Hauptpunkten zu höchster Potenz vergeistigten Bildnerroutine. –

Der zweite Punkt, auf dessen genaue Feststellung es zunächst ankommt, um über Goldmark’s Tonschaffen ein klares Licht zu bekommen, beruht auf der in seinen Werken vollends ausgeprägten kosmopolitischen, in des Wortes bestem Sinne durch die That erprobten eklektischen Bildungs- und Schaffensrichtung. –

Diese letztere findet sich hier überall gepaart und ist durchdrungen von einer ganz ursprünglich ihm angeborenen Eigenart. Solches durch und durch individuelle Gepräge erscheint ferner kraft desjenigen Volksstammes, oder kraft des ethisch-religiös-confessionellen Credo, dem Goldmark ursprünglich angehört und innerhalb dessen geistig-seelischer Strömung er sich zum Allgemeinern wie zum specifischen Musikermenschen allmählig emporgearbeitet hat.

Von diesem ganz speciell dem Goldmark’schen Tonschaffen gegenüber zu betonenden Elemente soll später die Rede sein. –

Was nun zuvörderst jenes, dem Componisten eigene und in allem bisherigen Tondichterwalten desselben als springender Quellpunkt klar ersichtliche kosmopolitische Element betrifft, so ist selbes folgendermaßen zu deuten:

Goldmark hat den gesammten, von Alters her bis in die jüngste Zeit aufgespeicherten musikalischen Tonschatz dergestalt in sich aufgenommen, daß dieser als Ganzheit sowohl, wie auch nach Seite jeder irgend nennenswerthen Einzelerscheinung in fast allen bisher veröffentlichten Schöpfungen des eben genannten Tondichters selbstständige Blüthen treibt und ebenso geartete Früchte zeitigt. –

Goldmark ist eben nach keiner Richtung hin ein Parteigänger dieser oder jener bestimmten Tonsetzersekte oder sogenannten Schule. Er liefert daher, ausgenommen in seinen Erstlingswerken, auch den Reminiscenzenjägern nicht einmal den entferntesten Stoff.

Allerdings wird jeder aufmerksame Einblick in Goldmark’s Werke sogleich die sprechendsten Einflüsse gewahr, die ein ebenso geistvolles als gründliches Durchdringen aller irgendwie nennenswerthen oder mustergiltigen Richtungen des Tonbewußtseins aus seinen reichbeanlagten und mannigfach dehnbaren Geist wachgerufen. Eine Rückwirkung der soeben näher bezeichneten kunstgeschichtlich so weit wie nur irgend möglich in die sogenannt klassische wie in die klassisch-romantische Vergangenheit zurückgreifenden und mit ebenso starkem Arme die unmittelbare Gegenwart und deren tonschöpferische Ergebnisse umfassenden Art des Tonschaffens und Gestaltens in Tönen, äußert sich indeß in keinem der reiferen Werke Goldmark’s etwa als Ergebniß eines sclavischen Nachbeterthums. Sie tritt vielmehr im Sinne organischer Durcharbeitung, ich möchte sagen: in der symbolischen Bedeutung der aus allen bisher emporgetauchten musikschöpferischen Existenzen den Honig oder Kernsaft aussaugenden und ihn zum vollkommenen Eigengebilde verarbeitenden Biene zu Tage. –

Diese, Goldmark vollkommen auf sein Musikschöpferselbst stellende, ihn daher von der unabsehbaren Legion aller sogenannten Epigonen sehr scharf trennende, daher ebenso specifisch ausgeprägte Eigenart des Tonschaffens und Tongestaltens, hat freilich auch wieder so manches vorwiegend Außermusikalische zu ihrer unleugbaren Voraussetzung, aus das hingewiesen werden muß, um einer so reichen Begabung, gleich derjenigen Goldmark’s, die ihrem Bedeuten gebührende Würdigung zu sichern.

Goldmark stellt sich nämlich jedem ihm entweder persönlich, oder aus seinen Schöpfungen, oder auf beide eben bezeichnete Arten Nähergekommenen als eine durch und durch ausgeprägte Charaktergestalt, als ein ebenso harmonisch durchgebildeter oder durchgeklärter Verstandes- wie Gefühlsmensch, kurz: als ein Typus seiner bestimmten Art dar. –

Soll nun über eine aus solche Art organisirte Gestalt eine ihrem Zwecke irgendwie entsprechende Betrachtung angestellt werden: dann darf denn auch in einem solchen Charaktergemälde keine Seite eines in so harmonischem Sinne ausgerüsteten Wesens stillschweigend umgangen werden. Ja, jedes etwa einseitige oder willkürliche Verfahren, das sich beiläufig die Aufgabe stellte, nur eine oder die andere Seite eines sich als so durchgeprägt äußernden Schöpferselbstes von ihrem Allgemeinverbande loszutrennen, würde uns kein treues Charakterbild geben.

So darf denn auch an Goldmark, den in All’ und Jedem ausgeprägten und mit sich selbst, wie mit seinem lediglich durch Selbstforscher- und Eigenfleißeskraft errungenen allgemeinen wie speciell musikalischen Wissen und Können vollkommen einig gewordenen Tondichter und Charakter, das ihm angestammte und anerzogene religiös-confessionell und volksthümliche Moment durchaus nicht stillschweigend umgangen werden.

Hierbei ist nun zu beachten, daß Goldmark seiner Landesabstammung zufolge Ungar, seinem ursprünglich überkommenen religiös-nationalen Credo nach aber Israelit ist.

Wie nun in jeder begabten und denkenden Natur, so spiegeln sich denn auch in der seinen diese beiden eben genannten von der allgemeinen Bildungssonne ausgegangenen Stadien unverkennbar ab. –

In den eben näher bezeichneten Volksstämmen wohnt aus bekannten inneren Gründen volksthümlicher Wesenseigenart ein Schwermuthszug, ein tragisches Pathos-Ethos ganz selbstständig ausgeprägter Färbung. Dieses Element spiegelt sich denn auch in allen von da- und dorther stammenden Gesangsweisen, wie in der diesem letzteren angepaßten, oder vielmehr mit selbem eng verwachsenen Rhythmengestaltnng und endlich auch in jener harmonischen Gewandung, die solchen aus unmittelbarstem Volksbewußtsein hervorgegangenen Gesängen verliehen ist, unwiderstehlich beredt ab. Jeder irgend musikgeschichtlich und in musikalischer Praxis gefeite Fachkenner ist sich nun, theils durch öfteres Belauschen der äußeren wie inneren Klangwirkungen dieser hierherbezüglichen Weisen an Ort und Stelle ihres einstigen’ volksthümlichen Ursprunges, theils durch Einsichtnahme in so manches diesen speciellen Stoff wissenschaftlich behandelnde Werk, deren ja unsere Literatur mehrere ganz gewiegte aufzuweisen hat, über diesen machtvollen, weittragenden Einfluß der Volks- oder nationalen Eigenart auf alles kunstschöpferische, hiermit auch auf alles musikalische Schaffen und Gestalten insbesondere, ohne allen Zweifel vollkommen klar. Er wird daher diesen im Verlaufe meiner Abhandlung noch zum Oefteren im Speciellen hervorzuhebenden Grundzug der Goldmark’schen Tongestaltungsmuse ganz mühelos aus deren Ergüssen zu lesen und zu deuten im Stande sein. –

Nach diesen nothwendig vorauszuschickenden Bemerkungen wende ich mich zum besonderen Theile meines Artikels: zur speciellen Würdigung sämmtlicher bis jetzt der Oeffentlichkeit übergebenen Ton-Schöpfungen Goldmark’s.

Es versteht sich – eingedenk eines so reich aufgespeicherten Stoffes — wohl von selbst, das entweder gänzliche Absehen von jeder speciellen technisch musikalischen Analyse, oder wenigstens der nur flüchtig-episodische Einblick auf ein solches Kritikerverfahren. Ein solches kann und darf hier wohl nur im Sinne eines Beispiels oder Beleges gegenüber der Hauptaufgabe eines Artikels solcher Art seine Anwendung finden. Diese Ausgabe kann im gegebenen Falle lediglich im nachdrücklichen Feststellen und Betonen der allgemeinen Gesichtspunkte liegen, von denen eine in so mannichfachen Tonsatzesformen und in einer bereits so hoch bezifferten Anzahl von Werken erwahrte Schaffenskraft, gleich jener Goldmark’s, ausgegangen ist. Ich gedenke demzufolge nur auf jene Werke Goldmark’s genau analysirend einzugehen, von denen mir – infolge erschöpfend eingezogener Erkundigungen – mit vollkommener Gewißheit bekannt geworden, daß sie entweder noch nirgends, oder höchstens als flüchtig vorübergezogene Erscheinungen an den Tag öffentlicher Ausführung gedrungen sind. –

Auch muß ich mich sogleich im voraus gegenüber dem Leserkreise dieses Aussatzes wider den Vorwurf einiger im Verlaufe desselben etwa vorkommenden Unvollständigkeiten meiner Durchsprechung der Goldmark’schen Werke schützen. Diese mir sehr wohl bewußten Lücken haben – ein für alle Mal sei dies hier bemerkt – lediglich ihren Grund in der Thatsache, daß ich an dieser Stelle nur im Stande bin, auf die bisher durch den Druck veröffentlichten Werke Goldmark’s einzugehen. Allein selbst innerhalb dieser Reihe der bisherigen Veröffentlichungen Goldmark’s war ich gedrängt, von denjenigen gänzlich abzusehen, die mir gegenwärtig nicht vorliegen.

Endlich bin ich Willens, nur auf jene bisher veröffentlichten Werke Goldmark’s einen vornehmeren Nachdruck und Schwerpunkt zu legen, die zur Stunde noch keine eingehendere Beleuchtung in diesem Blatte erfahren haben. –

Der Zufall hat es nämlich gefügt, daß die specielle Analyse gar mancher im Laufe der letztvergangenen 10 bis 12 Jahre der Oeffentlichkeit überlieferten Werke Goldmark’s – u. A. jene der Clavierstücke Op. 5, des Streichquartettes Op. 8, der Sakuntalaouverture Op. 13, ja möglicherweise noch manches andere Hierhergehörige, mir aber augenblicks nicht so genau Erinnerliche, durch den verewigten Redacteur dieser Zeitschrift, meinen tiefverehrten unvergeßlichen Freund Dr. Franz Brendel, meiner zergliedernden Feder speciell anvertraut worden ist, und denn auch in d. Bl. dereinst seine Stelle gefunden hat. Hier gedenke ich mich einfach und nur ganz flüchtig auf früher an dieser Stelle Gesagtes zu berufen. –

Der erste jener soeben Selbstverwahrungsfälle wider den Vorwurf der Lückenhaftigkeit dieses vorläufigen Resumé’s tritt sogleich bei Beginn desselben ein. Denn die ersten drei Werke Goldmark’s liegen mir nicht gedruckt vor, daher bin ich genöthigt, erst mit seinem vierten Werke den besonderen Theil dieses Aufsatzes zu beginnen. –

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Mit diesem in Leipzig bei Kistner im Stiche erschienenen Trio für Clavier, Geige und Violoncell (Gmoll) ist indeß kein sonderliches Federlesen zu machen. Gut gemeint und ebenso gemacht in allem formell-musikalischen Anbetrachte, erschließt das in Rede stehende viersätzige Werk auf seinen 57 Partiturseiten auch nicht die leiseste Spur einer allfälligen Eigenart. Es ist offenbar ein Erstlingswerk, das indeß durch die ihm innewohnende Formenfestigkeit, Gedrungenheit und Knappheit allerdings ohne Frage achtunggebietend wirkt vor dem angeeigneten Geschicke eines Componistenjüngers. Dieser Eindruck wird, fragliches Trio hörend oder durchblickend, vornehmlich in Jenen wachgerufen, denen es bekannt geworden, daß lediglich eigener Fleiß und Selbstunterricht die einzigen Momente gewesen, die den Weg zur Errungenschaft einer zu so hohem Grade schon so frühzeitig entwickelten Routine gebahnt; daß dem Ergebnisse dieser letzteren auch selbst mit Zuhilfenahme der schärfsten Kritikerlupe kein Formfehler, also kein Zuviel oder Zuwenig an Tonreihen, kein noch so läßliches Vergehen wider die Satzungen durchweg correcter Schreibeart, auch kein Mangel an melodisch-harmonisch-rhythmischem Adel in dieses Wortes weitester Bedeutung gerechterweise nachgewiesen werden kann. Im Gegentheil darf über dieses Opus 4 Goldmark’s ungescheut bemerkt werden, daß schon in einem der Entstehungszeit nach so frühen Werke der ausgeprägte Routinist, ja – um noch mehr zu sagen – sogar der vollgiltige componistische Gentleman vor uns stehe und sich nach aller Fülle seines angeeigneten Wissens, wie nach aller Geläutertheit und Feinheit seines angeborenen sogenannten Geschmackes oder – anders ausgedrückt – seines mit reifem Bewußtsein gepaarten Instinctes kundgegeben habe. Gleichwohl drängt jeder aufmerksame Einblick in dieses Goldmark’sche Gmolltrio zu der Bemerkung, daß dasselbe auf seinen 57 Partiturseiten auch nicht einmal die leiseste Spur einer schöpferischen Eigenart enthülle. Es wandelt vielmehr – wenn auch mit unleugbarem Anstande und Geschick ausgestattet – doch nur die längst breitgetretenen Pfade Mendelssohn’s in All und Jedem. Es vermehrt daher nur die Ziffer der dieser bestimmten Art von Tongebilden angehörenden bisherigen Schöpfungen um ein Glied. Gedankengehaltlich und selbst außengestaltlich ist aber dieses Claviertrio Goldmark’s entschieden dem Trosse leichtwiegendster Waare anzureihen, die ja aus der Sphäre componistischen Handwerkerthums und insbesondere aus dem Bereiche der Epigonenschaft Mendelssohn’s hervorgegangen ist. –

Goldmark’s Op. 5 ist jene vor etwa 10-12 Jahren bei Kistner in Leipzig gedruckte Neunzahl »Charakteristischer Clavierstücke«, deren allgemeine Ueberschrift »Sturm und Drang«lautet, und die wieder in neun abgesonderte verschiedenfärbige Stimmungsbilder zerfällt: also Programmmusik jüngster Zeitströmung. Ich entsinne mich, jenem Opus seinerzeit in d. Bl. – etwa im November des Jahres 1868 – eine ziemlich ausführlich eingehende Detailbesprechung gewidmet zu haben. Auf diese möge denn hier berufend verwiesen werden. Humor ist die vornehmste Springquelle, aus der diese zumeist reizvollen, klangschönen und an technischem Spielreichthum gar manche ganz eigenthümliche Wirkungen dem Instrumente entlockenden Stimmungsgemälde hervorströmt. Ich möchte diese Tonstücke mit besonderem Nachdrucke als Füllnummern von Concertaufführungen knapperen, nicht eigentlich symphonisch-orchestralen Charaktergepräges, mit aller Wärme an die Stelle gar manchen, an solchen Orten leider allzuheimischen leeren Klingklangs und Singsangs empfohlen wissen. –

Opus 6 und 7 fehlen gänzlich im Verbande der mir zur Einsicht vorliegenden Werkesammlung Goldmark’s. –

Dagegen stoße ich auf ein nichtbeziffertes, mir aber in diese eben angedeutete Stimmungsbilderreihe ziemlich genau passend bedünkendes, und auch auf eine gleiche Entstehungszeit mit dem zuvor angezeigten Op. 5 hindeutendes Clavierstückheft. Dasselbe ist bei Carl Haslinger in Wien gedruckt und führt die Hauptüberschrift: »Drei Stücke für das Pianoforte.« Es ist einer der begabtesten Schülerinnen Goldmark’s, der einstigen Wiener Hofopernsängerin Frl. Caroline Bettelheim gewidmet und zerfällt in nachstehende, Programmstelle vertretende Nebenmomente:

1. »Romanze.«

2. Dem zweiten Stücke ist folgendes Motto Chamisso’s vorangestellt:
»Wie wohlgefällig hat auf mir
»Des theu’ren Vaters Aug’ geruht!
»Wie sprach der stumme Blick doch schier:
»Bist meine Lust; ich bin Dir gut.«

3. Das dritte Lied dieses Cyclus führt die einfache
Ueberschrift: »Kinder auf dem Rasen«

Die »Romanze« scheint wohl jener früheren Eigenflugversuchsperiode des Componisten entstammt, aus deren Quelle u. A. auch das oberwähnte Claviertrio Goldmark’s hervorgegangen ist. Damals hielten ihn noch Mendelssohn’sche Sirenenarme umschlungen und wollten der ohne Frage angestammten bedeutenden Eigenart Goldmark’s noch nicht den rechten Durchbruch gestatten. Letztere bahnt sich nämlich hier blos in einigen vom Gesammtverbande des fraglichen Tonstückes ziemlich abgesonderten Einzelnstellen eine gewissermaßen freiere Bahn. Diese ist aber lediglich auf da und dort episodenhaft auftauchende harmonisch-modulatorische Grundlagen – als da sind: Truggänge oder sogenannte Accordelipsen u. dgl. m. zurückzuführen. Das hier vorliegende Gebilde, als Ganzes betrachtet, schleppt sich hingegen unter vorbemerktem, von einer früheren Schöpfereigenkraft auf den Componisten ausgeübtem Drucke, in gar mühseligem Gesangs- und Rhythmengange unerquicklich vom Beginne bis zum Schlüsse fort.

Das zweite dieser Tonstücke, dem das früher angeführte Motto Chamisso’s zu Grunde liegt, ermangelt allen melodischen Flusses. Es ist kaum ein Melisma, um wie viel minder ein Thema, das hier zum Durchbrüche kommt. Der zu diesem stimmungslosen Redensartengewebe ersonnene Begleitungsbaß ergeht sich zwar in einem mannichfach wechselvollen Accordspiele, gleichwohl beirrt auch hier eine gewisse Eintönigkeit und Gespreiztheit des Rhythmus, die mit sehr seltenen Unterbrechungen durch 3 Folioseiten sich fortschleppend, endlich doch abspannend wirken muß.

Von etlichen Härten abgesehen, denen selbst der duldsamste, freisinnigste Beurtheilungsstandpunkt den Fehdehandschuh hinzuschleudern sich gedrängt fühlt, da sie der nach Tonschönheitsgesetzen unumgänglichen harmonischen wie organischen Vermittlung gänzlich ermangeln und wohl nur durch das – allerdings in etwas bedenkenschwer viel vieldeutiger Art – vorangestellte Zeitmaaß »sehr bewegt und munter« vielleicht dem .Hörer und Leser einigermaßen gemildert erscheinen dürften: strömt das dritte und zugleich Schlußstück dieses Opus, vom Geiste liebenswürdiger, naiver Grazie und ebenso gearteten Humors durchhaucht, leicht beflügelten Schrittes dahin. Ihm dürfte die Siegespalme zu reichen sein und die künstlerische Ehre dieses ganzen, eben nach seinen drei Einzelgliedern besprochenen Cyklus, durch dieses Schlußstück gerettet erscheinen. Gleichwohl möchte ich rathen, im Falle des einstigen Zusammenkommens einer Gesammtausgabe der Werke Goldmark’s, lediglich dieses Schlußstück der eben besprochenen dreigliedrigen Reihenfolge von Claviersolopiècen in ein so geartetes Sammelwerk aufzunehmen und selbst hier so manchen allzu grell hervorspringenden Ecken und Kanten eine gemildertere Form zu geben. –

(Fortsetzung folgt.)