Seine Instrumentalfarben sind von großem Glanz …

Karl Goldmark hat mit seiner, im letzten philharmonischen Konzert aufgeführten, neuen Symphonie: ».Ländliche Hochzeit« viel Glück gehabt. Der Komponist hat eine Reihe von fünf Charakterstücken geschrieben, die sich durch den einheitlichen Titel (»Ländliche Hochzeit«) als Ganzes eng aneinander schließen und in ihren einzelnen Theilen die verschiedene Seelenstimmung sowohl, als auch – ein klein wenig – die äußerlichen Vorgänge, die sich bei einer solchen Gelegenheit ergeben, musikalisch illustriren.

Wir haben also eine Art Programm-Musik vor uns, glücklicherweise eine solche, die nirgends über die Grenzen der Tonkunst hinausgreift und die in den immer und überall gleich bleibenden Regungen des menschlichen Herzens die Quelle ihrer Wirksamkeit findet. Der Titel »Symphonie« ist allerdings nicht ganz im bekannten Sinne zu interpretiren, da aber auch die alte Bezeichnung »Suite«, als eine Folge von Tänzen, nicht paßt und die Ueberschrift »Ländliche Hochzeit, fünf Charakterstücke«, dem Komponisten zu simpel erscheinen mochte, so lassen wir das unschuldige Wort unangefochten, die Hauptsache ist ja doch der Inhalt und nicht die Form.

Die »Ländliche Hochzeit« zerfällt in fünf Unterabtheilungen. 1. Hochzeitsmarsch (Variationen), ein humoristisch gehaltenes, Anfangs nur von den Bässen gespieltes Thema von einer reichen Kette meist sehr wirksamer, immer interessanter Variationen gefolgt, die nur, um zu vollerer Wirkung zu gelangen, den seltenen Fehler haben, daß sie zu knapp gehalten sind – woran freilich auch das knappe Thema schuld ist – und daß (der Fehler ist nicht zu selten) und daß ihrer zu viele sind.

Nr. 2 »Brautlied« betitelt, gibt sich als Intermezzo, hat das Bestreben, durch gewissermaßen nationale Melodiebildung zu bestechen, ist aber von minder hervorragender Bedeutung.

Das Scherzo (Nr. 3 »Serenade«) hat Anfälle von wirklichem Humor und ist dabei mit der feinsten Kenntniß des Orchesters behandelt, seltsamer Weise kann es sich doch von einem leisen Hauch von Sentimentalität, von einer gewissen leicht elegischen Grundstimmung (die wohl in der Individualität des Komponisten begründet sein mag) trotz aller Bemühung nicht losmachen und gerade hier wäre ein derberer Bauerspaß, schon des Kontrastes wegen, gar nicht übel angebracht.

Nr. 4 »Im Garten« ist ein träumerisches, gesangvolles Andante, voll Liebesglück und. Blumenduft. Mondenlicht zittert über die Wipfel der Bäume und unten im Laubgang wandelt, Hand in Hand verschlungen, stillselig ein glückliches Paar. Aber auch einige grell schneidende Dissonanzen fehlen nicht, die Schatten künftigen Ungemachs steigen auf. Daß der Komponist – wie eine eifrige Zuhörerin behauptete – mit diesen Dissonanzen andeuten wollte: das junge Paar disputire jetzt schon, können wir doch nicht annehmen.

Der letzte Satz »Tanz« entfaltet reges Leben. Natürlich ist’s ein veredelter Tanz, oder vielmehr der Ausdruck innerer Lebensfreudigkeit, die sich in den raschen Tönen ausspricht. Sehr hübsch gedacht ist der kurze Mittelsatz, die Rückkehr in das liebesselige Andante. Wie da die Oboe so tief, so innig ausathmet, wie da so alle Lust und aller Lärm der Umgebung versinkt und nur das Herz allein sein Recht behält. Lange kann dieses Insichselbstversenken freilich nicht dauern, die Welt fordert ihre Rechte, der Tanz beginnt auf’s Neue, lustiger, lebendiger als früher!

Goldmark hat mit seiner »Ländlichen Hochzeit«, wie man sieht, ein hübsches Bild gezeichnet, er erwies sich ferner auch als ausgezeichneter Kolorist. Seine Instrumentalfarben sind von großem Glanz und sehr sinnig und wirksam gemischt. Wenn ein Wunsch übrig bliebe, so wäre es der, daß die einzelnen Nummern noch schärfer auseinander gehalten wären. Man sieht es ihnen an, daß sie Alle aus. der Feder eines und desselben Komponisten stammen. Goldmark’s Eigenthümlichkeit leuchtet überall durch, es ist Goldmark, der das »Brautlied« singt, Goldmark, der die spaßhafte »Serenade« in Szene setzt und endlich Goldmark, der zum »Tanz« aufspielt. Mit einem Worte, der Gegenstand könnte objektiver, behandelt werden.

Herr Goldmark wurde verdientermaßen nach fast jeder Nummer gerufen, die Symphonie wird jedenfalls ihren Weg machen. (Morgen-Post vom 7. März 1876)