Linzer Tages-Post vom 22. Januar 1915

Theater, Kunst und Literatur.
Erinnerungen an Karl Goldmark.

Dr. A. M. Willner, der langjährige Textdichter des berühmten Komponisten, der zu dessen Opern »Das Heimchen am Herd«, »Götz von Berlichingen« (Uraufführung in Linz) und »Das Wintermärchen« die Textbücher geschrieben hat, erzählte kürzlich über seine Beziehungen zu dem verblichenen Meister sowie sein Zusammenarbeiten mit Goldmark während dessen alljährlichen Aufenthalten in Gmunden interessante Einzelheiten, die im nachfolgenden wiedergegeben seien.

»Ich habe Goldmark in Unterach am Attersee bei der Familie des Komponisten Brüll, bei der Goldmark des öfteren zu Besuch weilte, kennen gelernt. Mein Wunsch, dem Meister künstlerisch näher zu treten, wurde dadurch rege, daß ich erfuhr, Goldmark wolle eine komische, volkstümliche Oper schreiben – nichts mehr, was an das Orientalische gemahnt –, nachdem er seinen Freunden erklärt hatte, daß er in der »Königin von Saba« alles das niedergelegt habe, was ihn an dem orientalischen Stoffkreis interessiert habe, und daß er diesen Stoffkreis nie mehr benützen würde. Ich habe nun einen kleinen Entwurf gemacht dessen allerdings sehr wesentlich veränderte Grundlage die Erzählung Dickens »Das Heimchen am Herd« war; dieser Entwurf hat Goldmark so gefallen, daß er mich bat, ihn sofort auszuführen. Der größte Teil der Arbeit war zwischen ihm und mir in Gmunden seinem Lieblingsaufenthalte, gemacht worden und er sagte mir zu wiederholtenmalen, daß er nur in Gmunden tätig sei, weil er nur durch den unmittelbaren, engen Verkehr mit der Natur sich zu künstlerischem Schaffen angeregt fühle. Er war auch ein großer Verehrer des Vogelgesanges und hat auf seinen einsamen Spaziergängen immer demselben gelauscht. Er war äußerst schwer schwer zufriedenzustellen, sowohl was die Handlung einer Oper als auch deren Versifizierung betraf und hat dabei immer großes dramatisches Verständnis an den Tag gelegt, große Belesenheit und bei einem Autodidakten ganz hervorragende Feinfühligkeit in der deutschen Sprache gezeigt. Seine Arbeiten begann er gewöhnlich mit einer Art von Partiturskizze, die für jeden anderen ganz unleserlich war, worüber er sich oft scherzhaft geäußert hat. Er war auch immer bereit, sofort das von ihm Komponierte auf dem Klavier vorzuspielen, wobei er betonte, er sei ein schlechter Klavierspieler und sei in sein Piano, welches wohl eines der ältesten dieser Gattung gewesen sein mag. verliebt. An diesem alten Instrument hing er mit ganz unglaublicher Liebe. Bei der Arbeit war er meistens um Feder und Tinte verlegen. wie er denn auf persönlichen Komfort überhaupt nicht das geringste gehalten hat. Das ging sogar soweit. daß er mir in Gmunden wiederholt erklärt hat, er fühle sich unterernährt, worauf ich ihn fragte, wo er seine Mahlzeiten einzunehmen pflege. Er nannte mir ein ganz kleines, bescheidenes Gasthaus und als ich ihn aufmerksam machte, daß es in Gmunden auch bessere Restaurants gebe und ihn bat, er möge mir in eines derselben folgen, war er freudig überrascht und erklärte mir, er hätte während seiner 30jährigen Anwesenheit in Gmunden nie daran gedacht. Während er in seiner ersten Schaffenperiode (»Königin von Saba«) sehr langsam gearbeitet bat. war cr späterhin bedeutend rascher und schrieb dies dem Umstande zu, daß er ein reiches Material in den seither sorgfältiger ungelegten Skizzenbüchern zu seiner Verfügung habe. Er war ein Frühaufsteher und die Zeit, die er nicht seinen Arbeiten widmete, verwendete er auf das Studium moderner Sprachen, und es ist ihm faktisch ohne Lehrer gelungen, sich das Französische und Englische ganz vortrefflich anzueignen. Er war bis in die allerletzte Zeit sehr schaffensfreudig und noch in diesem Herbste in Gmunden hatte ich mit ihm den Plan zu einer komischen Oper mit ungarischem Milieu festgelegt. Er war ein sehr geistreicher Mensch, dabei sehr bescheiden, aber in seinen Ueberzeugungen hartnäckig und fest. Sehr Interessantes verdanke ich auch dem Umstande, daß er mir einen Teil seiner Memoiren vorgelesen hat, weiche seine Stellung zu der modernen Musik erörtern.

Interessant ist auch sein Verhältnis zu Brahms gewesen, mit dem er persönlich befreundet mar und den er auch außerordentlich schätzte. Es gab oft dessenungeachtet zwischen ihm und Brahms kleine Kontroversen, da Brahms ein Gegner der Oper war, während Goldmark in der dramatischen Musik eine der größten Aufgaben seiner Kunst erblickte. Nach dem Erfolge des »Heimchen« scheint Brahms aber doch daran gedacht zu haben, sich auf diesem Gebiete zu betätigen – offenbar angeregt durch Goldmark. Er ließ mich zu sich rufen und sagte mir, er sei um ein gutes Opernbuch nicht verlegen, nachdem er in seinem Archiv Bücher der bedeutendsten Autoren liegen hätte namentlich auch von russischen Schriftstellern. Was er aber schreiben wolle sei ein Ballett, und zwar ein seriöses Ballett, welches den Stoffkreis aus der »Edda« zu behandeln hätte. Späterhin ließ aber Brahms, durch andere Arbeiten abgelenkt, diesen Plan wieder fallen. Er meinte lächelnd, die Oper will ich denn doch lieber meinem Freund Goldmark überlassen. Er sagte dies nicht ganz ohne einen einen Anflug von leisem Spott, worüber Goldmark, dem ich später davon Mitteilung machte, herzlich gelacht hat. Goldmark hat in förmlich puritanischer Weise jede Art von Relkame verschmäht, und auch nie selbst sich irgendwie bemüht, seine eigenen Werke zu fördern. Die Schwierigkeiten, welche ihm bezüglich einer Aufführung seines »Götz« an der Wiener Hofoper bereitet wurden, haben ihn durch einige Zeit auf das peinlichste berührt und haben ihn sogar soweit gebracht, daß er einen Antrag der Berliner Generalintendanz, die Uraufführung des Werkes in Berlin stattfinden zu lassen, mit dem Bemerken dankbar ablehnte, er halte es für seine Pflicht, an der Wiener Hofoper zuerst herauszukommen, und er hoffe, daß auch die Hofoper sich ihrer Verplfichtung [!] gegen ihn erinnern werde. Dies geschah auch später unter Mahler. [Hier phantasiert Herr Willner munter drauf los!] Eine seiner Lieblingsideen war es auch, seine Oper »Merlin« textlich und musikalisch gründlich umzuarbeiten. Er sprach mit mir hierüber des öfteren und ich schlug ihm vor, den »Merlin« vom Standpunkte der christlichen Artussage aus zu betrachten. Bei ieser Gelegenheit konnte ich zum erstenmal bemerken, wie sehr Goldmark an seinem Judetum hing, da er durchaus das Motiv der Befreiung durch Demütigung vor Gott, wie solches in einem christlichen »„Merlin« zu betonen wäre absolut nicht gelten lassen wollte, wobei er sich als ein hervorragender Kenner des Talmuds erwies. So wurde denn dieser Plan fallen gelassen. Noch im letzten Sommer war er vollständig frisch, arbeitslustig und es war überhaupt bemerkenswert bei ihm, daß er über körperliche Gebrechen, wenn er auch solche hatte, niemals Aeußerungen gegen Dritte fallen ließ. Ich traf Goldmark in seiner mehr als primitiven Gmundener Behausung, die aus zwei rohgedielten, dürftigst möblierten Zimmern bestand, sehr oft bei der Beschäftigung, sich seinen Kaffee nach dem von ihm benannten Kaffeesystem »Goldmark« selbst zu bereiten, wobei mir der Meister erkläre, nächst einem guten Kontrapunkt sei die Herstellung eines guten Kaffees das schwierigste auf der Welt. Goldmark lebte stets sehr zurückgezogen im Kreise der Familie seiner Tochter; der Lebensabend Goldmarks wurde ihm durch die Freude an seinen Enkelkindern verschönt, denen er selbst musikalischen Unterricht erteilte. Während des letzten Sommers, den er noch in Gmunden verbrachte, bereitete ihm der ungezügelte Kriegsdrang seines ältesten Enkels Karl Hegenbarth große Sorgen. Er war von schlimmen Ahnungen erfüllt, die sich nun leider bestätigt haben: Karl Hegsnbarth ist vor wenigen Wochen bei Baljevo auf dem Felde der Ehre gefallen. Goldmark fühlte sich noch kurz vor seinem Lebensende frisch und wohl und der Tod hat ihn mit nicht allzu harter Hand dem Kreise seiner Familie, seiner zahlreichen Freunde und Verehrer entrückt. Wer je den Vorzug hatte, Goldmark künstlerisch und persönlich näherzutreten, wird sich das Bild eines edlen, sittlich hochstehenden und in jeder Beziehung reich begabten Mannes in dankbarer Erinnerung bewahren.
Wien, im Jänner 1915.
((Linzer) Tages-Post vom 22. Januar 1915)