Neue Freie Presse vom 29. Januar 1915
Theater- und Kunstnachrichten.
[Goldmark-Gedächtnisfeier.] Zur Erinnerung an Dr. Karl Goldmark veranstaltete, der Wiener Tonkünstlerverein, dessen Mitglied und Ehrenpräsident der tote Meister gewesen ist, heute im kleinen Musikvereinssaale ein Konzert, in welchem eine Reihe seiner schönsten Kammermusikwerke zur Aufführung gelangten. Um Goldmark war, als er noch lebte, der Streit der Meinungen längst verstummt. Auch um die Werke, die ihn überlebten, schart sich die musikalische Welt in widerspruchsloser Bewunderung. So sind heute die Wiener Musiker aller ästhetischen Parteirichtungen in den mit einer Goldmark-Büste des Bildhauers Hegenbarth gezierten Saal gekommen, und eine erlesene Künstlerschar hat mitgewirkt, um ihrer Liebe und Verehrung noch unter dem frischen Gefühle des schmerzlichen Verlustes Ausdruck zu geben. Eine gehaltvolle Gedenkrede, die wir an anderer Stelle des Blattes mitteilen, hielt Professor Dr. Guido Adler. Ein gemischter Chor unter Leitung des Musikdirektors Nilius sang das berühmte »Wer die Musik erkiest« und Eingangs- und Schlußchor aus dem »Fuschertal«-Zyklus. Einige Stücke aus »Georginen«, die noch dem Meister in seinen letzten Lebensjahren erblühten, spielte, wie schon bei der ersten Aufführung, die talentierte Pianistin Julia Goldner mit feinem Verständnis. »Da,« wie ein roter Zettel verkündete, »Herr Hofoperndirektor Gregor es für gut befunden hatte, die Mitwirkung der Frau Kammersängerin Elizza bei der heutigen Gedenkfeier zu untersagen«, übernahm es Frau Professor Landesberger in liebenswürdiger Weise, einige Goldmark-Lieder zu singen. Die mit einer hübschen Stimme und ansehnlichem Vortragstalent begabte Dame, die von Karl Lafite künstlerisch begleitet wurde, erntete starken Beifall und mußte »Die Quelle« zugeben. Und nun betrat mit dem Rosé-Quartett die Kammersängerin Karoline v. Gomperz-Bettelheim das Podium, um den Klavierpart des Quintetts in B-Dur auszuführen. Die Erinnerung an die hohe Künstlerschaft dieser Kammersängerin ist im Laufe der Jahre in Wien nicht geschwunden, wenn sich auch nur wenige eines Konzertes im alten Streicher-Saale erinnern werden, da die neunjährige Karoline Bettelheim, die Klavierschülerin Goldmarks (der als Pianist Autodiktat war), zum erstenmal öffentlich auftrat, um ihren Meister zur Violine zu begleiten. Die große Sängerin war auch eine große Pianistin; als solche hat sie nicht nur in den Hellmesberger-Soireen, sondern auch in Gewandhauskonzerten zu Leipzig große Erfolge errungen. Und eine große Pianistin und eine ideale Goldmark-Interpretin dazu ist Frau v. Gomperz-Bettelheim auch heute noch. Der erstaunlichen Kraft der Finger gesellt sich stupende Technik, dem blühenden Anschlag energische Rhythmik, geistvolle Phrasierung. Das Rosé-Quartett spielte herrlich und mit überströmender Wärme; so gelangte das Werk, das in seinen ersten drei Sätzen eigentlich den ganzen Goldmark enthält, zu unvergeßlich prächtigem Erklingen. Das Publikum jubelte den Künstlern zu; und alle hatten wohl das Gefühl, daß Frau v. Gomperz-Bettelheim den großen Meister Goldmark, die Schülerin den Lehrer, nicht schöner und rührender hätte ehren können. r.
(Neue Freie Presse vom 29. Januar 1915)