Goldmark: Signale I/1915

Karl Goldmark ✝

Es fällt einem Oesterreicher, und gar noch einem Wiener, herzlich schwer zu glauben, dass Goldmark tot ist. Ist es also wahr? Wird man den lieben alten Herrn sich nie wieder aus der Direktionsloge verbeugen sehen, wenn im Grossen Musikvereinssaal die entzückende »Ländliche Hochzeit« – vielleicht gar in der zauberischen Verklärung durch die Philharmoniker – oder eine seiner Hauptouvertüren: »Sakuntala«, die mit der Violinsuite op. 11 Goldmark’s Ruhm begründet hat, »Penthesilea«, »Im Frühling« aufklingen? Hat man vom alten Goldmark Abschied genommen für immer? Der antwortende Seufzer verschwistert sich mit tröstlichen Gedanken. Der Wiener Musikpatriarch ist 85 Jahre alt geworden, aber den Ruhm seiner repräsentativen Werke hat er, einem bösen Worte Nietzsche’s zum Trotz, nicht überlebt. Man hat Goldmark mit Hans Makart verglichen. Wohl nicht mit Recht. Goldmark ist der stärkere Zeichner, und wo er seine Farben mit Bedacht mischt, dort halten sie besser als die des Wiener Koloristen. Die Farben, die Goldmark’schen Farben! Wie glühen sie auf manchen Kelchblättern der dunkeln Rose Saron’s, die »Die Königin von Saba« heisst! Ein Werk sui generis, spottet die »Saba« jener amüsanten Einteilung, die eine reinliche Scheidung nachwagnerischer Opern in fünf Haupttypen vornimmt: in seiner Wesenheit sprudelt dieses Goldmarkischeste Werk aus sich selbst heraus. Die berühmte Goldmarktriole spricht anderes als melodischen Jargon – wie die Rassentheoretiker meinen, die Goldmarkische Vokabeln aus dem Satzgefüge lösen, um etwas »beweisen« zu können. Welche dumme Bosheit, von »Jüdeln in Noten« zu sprechen, wo aus starker melodischer und harmonischer Erfindung ein dramatisch schlagkräftiges, blühend instrumentiertes Hauptwerk des geistreichen Exotismus geboren ist!

Diese Zeilen wollen nichts sein als ein Blümlein, gelegt auf ein Grab. Jeder Musiker hat sein Musiklexikon auf dem Bücherbrett und kann nachschlagen, was Goldmark alles komponiert hat. Manches ist verwelkt. Wer spricht noch von »Merlin«? Der Tanz der Irrlichter und das Ensemble des 1. Aktes verdienen gekannt zu sein. Selige Gymnasiastenzeit, als wir den vergötterten Lieblingen Materna (Viviane), Winkelmann (Merlin) und Reichenberg (Dämon) zujauchzten! Wer verbindet noch mit der »Kriegsgefangenen«, mit dem blassen »Götz«, mit »Wintermärchen« – Goldmark’s letzter aufgeführter Oper – lebendige Vorstellungen? Wer da glaubt, das Sprichwort: »alte Bienen geben keinen Honig« treffe auf Goldmark zu, der lasse sich – ich zitiere aus dem Gedächtnis – durch den Gesang, den Hermione zu ihrer Verteidigung anstimmt, durch die Klage des Polyxenes oder durch den Frauenchor (mit dem Solo) eines Bessern belehren. Und das liebliche »Heimchen am Herd«? Die blosse Erinnerung an das Intermezzo macht warm. Die Konzertierenden, ihrerseits, sollten die musikalischen Kalorien des Klavierquintetts und des Violinkonzerts in a-moll besser ausnutzen. Die Musik Goldmark’s wird unbefangenen Geniessern noch viele lebendige Stunden bescheren. Siegmund Pisling.
(Signale für die musikalische Welt, Januar 1915)