… zahlreiche musikalische Schönheiten

»Die Kriegsgefangene.« So heißt die neue Oper von Carl Goldmark. Wir haben kürzlich das Porträt des Tondichters gebracht dessen Werke immer die größte Aufmerksamkeit erregen. »Die Kriegsgefangene« behandelt die Schicksale der Sklavin Briseïs im Lager des Achilles, welcher in Trauer versunken ist, wegen des Todes seines Freundes Patroklus. Der Trojaner, der den theueren Genossen fällte, Hektor, ist von Achilles später getödtet worden und der grimmige Sieger schleift die Leiche des Feindes durch die Zelte der Griechen. Eine Kriegsgefangene erweist dem zerfetzten Leibe Hektors die letzten Ehren, sie bettet ihn in Linnen und legt Erde auf seine Brust, damit die Seele des unbestatteten Trojanerfürsten Ruhe finde. Achilles erfährt davon und will Briseïs zürnen, da zieht die Liebe zur schönen Sclavin in sein Herz ein. Er will jedoch der Minne Gewalt nicht unterliegen und befiehlt, ein Schiff zu rüsten, das die Kriegsgefangene heimwärts, in ihr Vaterland bringen soll. Schon füllt der Wind die Segel des Fahrzeuges, die Stunde des Abschiedes naht. Es kommt nicht dazu. Achilles und Briseïs sinken einander in die Arme, sie bleiben vereint. Das Publicum bringt der zweiactigen Dichtung, die zahlreiche musikalische Schönheiten umschließt, liebevolle Theilnahme entgegen. Fräulein Renard verkörpert die Kriegsgefangene mit dem dieser Künstlerin eigenen Reize. Den Achilles gab Herr Reichmann. Er beherrscht immer die Bühne, sein herrliches Organ füllt mit Wohllaut das Ohr. Reichmann ist ein Sänger und ein Held zugleich.

(Das interessante Blatt vom 19. Januar 1899)