Die Musik ist tiefernst

Carl Goldmark’s neue Oper in zwei Acten »Die Kriegsgefangene« erlebte am 17. Januar im Hofoperntheater zu Wien ihre erste Aufführung. Der Beifall war nach beiden Acten äußerst lebhaft, Darsteller und Componist wurden unzählige Male gerufen. Den stärksten Eindruck rief die Einleitung (Klage um den Tod des Patroclus), eine große Scene zwischen Brisëis und Achilleus und die Schlußscene des ersten Actes, ferner das Zwischenspiel zum zweiten Act und in diesem das Lied der Brisëis und ein großes Liebesduett zwischen ihr und Achilleus hervor. Die Musik ist tiefernst, eigenartig in den Melodien und Harmonien und meisterlich gearbeitet. Goldmark’s Instrumentationskunst weiß auch in dem neuen Werke wieder glänzende Effecte zu erzielen. Hinter dem Pseudonym »Emil Schlicht« verbirgt sich als Verfasser des stimmungsvollen, den mythologischen Stoff geschickt behandelnden Textbuches Dr. Alfred Formay [!], Pastor der evangelischen Gemeinde in Wien. Die Aufführung der Oper unter Mahler’s Direction war von bestem Gelingen gekrönt. In den Hauptpartien Brisëis und Achilleus leisteten Fräulein Renard und Herr Reichmann Außerordentliches. Ferner sind mit Auszeichnung Fräulein Walker und Herr Hesch zu nennen.

(Signale für die musikalische Welt vom 23. Januar 1899)