Die Galavorstellung in der Hofoper

[Den ersten Teil des Berichts bitte ich dem Originalblatt zu entnehmen]

Wie bekannt, wurde die Goldmark’sche Oper »Heimchen am Herd« aufgeführt. Nachdem die Ouvertüre beendet war und die Scene das Bild vor dem Auftreten des Heimchen zeigte, erschien die deutsche Kaiserin Auguste Victoria, begleitet von Kaiser Franz Josef und dem Kaiser Wilhelm, in der kaiserlichen Incognitologe. In der Mitte der Loge nahm Kaiser Wilhelm Platz, ihm zur Rechten die Kaiserin, zur Linken nächst der Bühne Kaiser Franz Josef. Das gesammte Publicum wendete sich der Loge der hohen Herrschaften zu, da aber ein Incognitobesuch angesagt war, erhob man sich nicht von den Sitzen.

Die Kaiserin trug die Prachtrobe vom Diner, Kaiser Wilhelm die Husaren-Uniform, Kaiser Franz Josef Uhlanen-Uniform. Die Aufmerksamkeit des deutschen Kaiserpaares war, von jenen Momenten abgerechnet, in denen Kaiser Wilhelm und seine Gemalin mit dem Kaiser Franz Josef conversirten, ganz der Bühne zugewendet. Der deutsche Herrscher folgte dem Gange der Handlung sowol als dem Gesange der Künstler mit sichtlichem Interesse, einzelne Scenen fanden seinen besonderen Beifall, der sich sowol in Bemerkungen zum Kaiser Franz Josef und zur Kaiserin, als auch in zustimmenden Bewegungen äußerte. Die humorvollen Scenen, in denen Fräulein Renard ihre Schalkhaftigkeit, Herr Reichenberg seine Komik brillant entfalteten, wurden mit Lächeln aufgenommen und wiederholt machte der Kaiser Bemerkungen zur Kaiserin, wobei er auf das Spiel auf der Bühne hinwies. Die Kaiserin blickte fast unverwandt auf die Bühne. Während einzelner Scenen sprach die Kaiserin zum Kaiser Franz Josef und zum Kaiser Wilhelm über die Vorstellung. Das dramatische Element im zweiten Act, die gesteigerte Eifersucht George’s, der nach der Hacke greift, sowie das stimmungsvolle Schlußbild und die prächtige Erscheinung der Frau Forster fesselten sichtlich die Aufmerksamkeit der Kaiserin.

In der Pause zwischen dem zweiten und dritten Act zogen sich der Kaiser und das deutsche Kaiserpaar in den kleinen Salon zurück, um Erfrischungen zu nehmen.

Trotzdem die Oper gekürzt worden war, damit ermöglicht werde, sie in der Zeit von halb 8 bis halb 10 Uhr zur Aufführung zu bringen und wiewol jede längere Pause vermieden worden war, konnten die hohen Gäste die Oper nicht bis zum Schlusse anhören. Es war die Zeit der Abfahrt der Kaiserin herangerückt und unmittelbar vor dem Schlußbilde verließen Kaiserin Augusta Victoria mit den beiden Kindern die Oper, um sich zum Bahnhofe zu begeben.

Das Publicum blieb bis zur Beendigung der Vorstellung, und nachdem sich der Kaiser und seine Gäste entfernt halten, brach mit elementarer Gewalt der bis dahin der Hofetikette wegen zurückgehaltene Beifall los, den Sänger und Musiker wohl verdient hatten. Das Orchester unter Jahn’s Leitung und sämmtliche Mitwirkende hatten ihre volle Kraft aufgeboten, um die Vorstellung auch zu einer künstlerisch glanzvollen, ja unvergleichlichen zu gestalten. Schon im ersten Acte wollte man dem Fräulein Renard nach der ersten Scene die Anerkennung zollen, allein nur einen Augenblick erschollen die Bravorufe, dann wurde es still. Als zum Schlusse der Vorhang gefallen war, gab es für alle Mitwirkenden Hervorrufe und stürmischen Applaus.

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In der Operngasse sind auf dem Opernring bis hinauf zum Burgthor sammelte sich trotz der empfindlichen Kälte eine große Menschenmenge an, die ihrer Freude über die Abwesenheit des deutschen Kaiserpaares in Wien Ausdruck gab, dem Kaiser mit seinen Gästen die Ehrerbietung bezeugen wollte. Mit ehrfurchtsvollstem Gruße wurden die Mitglieder unseres Kaiserhauses und das deutsche Kaiserpaar begrüßt. Die Oper war bis aufs letzte Plätzchen gefüllt. Wagen auf Wagen war vorgefahren, endlich hatte sich eine förmliche Wagenburg rings um die Oper aufgebaut, die sich von der Augustinerstraße bis zum CaféFenstergucker, andererseits von der Oper bis zum Kaisergarten erstreckte, während eine Anzahl Wagen vor dem Heinrichshof Aufstellung genommen hatte. Zwischen den Carrossen drängten sich Hunderte von Menschen, die vor der Oper Platz finden wollten. Der Abendcorso war heute von der althergebrachten Route »Schwarzenbergplatz-Oper« auf die Strecke Burgthor-Oper verlegt, so daß dieser Theil des Ringes zu ungewohntem Straßenleben gelangte.
(Die Presse vom 15. April 1896)