Wiener Hofoper

Da der so flach gerathene Helden-Opern-Decorations-Schild Herrn Walters nach Kauders, wie wir richtig vermutheten, trotz der geschickten Copien Wagner’scher Muster keine andauernde Klangkraft behaupten konnte, mußte die nächste Neuheit rasch vorgeschoben werden: C. Goldmarks neue Spieloper »Das Heimchen am Heerd«. Sie ist die richtige moderne Allerweltsoper für unsere Zeit! C. Goldmark, ist hiemit von der Höhe der »großen« Oper, die er noch in seinem »Merlin« zu behaupten suchte, ins Bürgerlich-Gemüthliche und zur »Kunst-Auslese« herabgestiegen. Und es scheint ihm dabei ersichtlich wohler geworden zu sein. Auch den Zuhörern ergeht es so. Sie finden allerlei, was sie anheimelt, und ist es auch eben nichts Großes an »Königsdramen« oder »Welt-Problemen«, so ist doch manch’ freundlicher volksthümlicher Zug tu Handlung und Musik. Goldmark hat hier eine gangbare Gebrauchs-Oper nach dem Erfahrungssatze geschaffen: Wer recht vieles bringt, wird Jedem etwas bringen. Sein Recept ist einfach und ziemlich sicher, wenn man die geschickter Mache und Mischung versteht. Er nimmt nahezu von allem, was sich erfolgreich bewährt hat, etwas zu seiner Oper: Ländlich-volksthümliche Idylle mit etwas gemüthlicher Haus-Poesie, einfachen verständlichem Volkshumor nach Shakespeare’schem Muster, das Fantastische der Märchen und Feenwelt — (all’ das hat sich ja nach der neuen deutschen, volksthümlichen Bewegung nun als zugkräftig bewährt), dazu eine kleine dramatische Eifersuchtsverwicklung, damit eine Effect-Scene herauskommt, die jedoch rechtzeitig milde abgedämpft wird, so daß auch das »Elegische« nicht fehlt, den Parade-Standchor aller komischen Opern, den Streit- und Schnatterchor des briefbegierigen Völkchens, das modisch beliebte Effect-Mittel der Fernchöre bei offener leerer Scene, das eindringliche musikalische Heimchen-Motiv, moderne Intermezzo- Reize, klangvolle Liedchen nach älterer geschlossener Form, dazwischen Volkslied-Anklänge, den realistischen Orchester-Effecten die Romantik des verschollenen und verborgenen Liebhabers. Alles und noch mehr hat Goldmark aufgeboten und mit Geschick verwendet, um seine Oper möglichst vielen gefällig zu machen. Eine einheitliche Kunstoper ist sie sonach allerdings nicht; wollte sie nicht sein! Die strenge Kritik bezeichnet sie aus gewissem Grunde als eine Art Rückschritts-Oper. Goldmark hat hier die Wege des Wagner’schen Musikdramas verlassen und sich wieder der älteren Opernform zugewendet, die für die volksthümliche Spieloper augenscheinlich zuträglicher ist, aus alle Fälle auch natürlicher und bequemer für Verfasser und Hörer. Die Text-Unterlage der neuen Oper bildet eine in England beliebte Erzählung gleichen Namens von Boz-Dickens, die von A. M. Willner hier frei bearbeitet wurde. Das »Heimchen am Heerd« ist zur reizenden Grillen-Elfe (Frau Forster) verpersönlicht worden, die als guter Hausgeist über dem idyllischen Glücke der guten Eheleute, des bidderben Postillons John und seines hübschen munteren Weibchens Dot, das Frl. Renard vorzüglich darstellte, sorgsam wacht und ihnen nach kurzer Prüfung auch den ersehnten Ehesegen bescheert, der nach dem Volksglaube gern durch des Heimchens Zirpen sich ankündet. Das romantische Liebespaar stellen die arme Puppen-Arbeiterin May (Frl. Abendrot) und der lang verschollene Verlobte Eduard, dem der alte reiche Spielwaaren-Händler Takelton (Herr Reichenberg) die Braut auskaufen will, dessen Fallstaff-Figur, die nur etwas modern-gigerlhaft aufgefrischt ist, den volksderberen Humor hineinbringt. Wirksame Einzeln- und Gesammtscenen wechseln mit melodisch ansprechenden Liedern u.s.w.; sogar das komische Couplet und mancher volle Griff ins Operettenhafte wird nicht verschmäht. Doch zeigt sich Goldmark allenthalben als erfahrener Beherrscher der musikalischen Formen und Wirkungen. Was seiner Musik an Ursprünglichkeit und Erfindung abgeht, macht er durch Gefälligkeit der Machart, geschmackvolle, meist nicht überladene Instrumentation und manche eindrucksame Orchester-Effecte zu ersetzen. Die Ausstattung der Oper ist eine glänzende. Der Elfenreigen und das Schlußbild sind Musterleistungen moderner Theatertechnik der Hofoper. Einen Haupttheil des praktischen Erfolges, den die Neuheit errungen hat, verdankt sie entschieden auch der vorzüglichen Ausführung durch das Hofopern-Orchester unter Direktor Jahns bewährter Leitung und den trefflichen Leistungen der Hauptrollen-Darsteller Frl. Renards, Herrn Reichenbergs und Herrn Ritters. R.
(Die Lyra vom 1. April 1896)