Schwingungen … die sachte an unsere Nerven schlagen

Hofoper
»Das Heimchen am Herd«.

Oper in 3 Abtheilungen nach Dickens gleichnamiger Erzählung von
A. M. Willner. Musik von Carl Goldmark

oldmark’s Werk bedeutet einen der sensationellsten Opern-Erfolge der letzten Jahre. Der Componist hat sein Bestes in jener gefälligen Form gegeben, die inneren Werth mit mit äußerem Glanze vereint. Indem er alle Wünsche befriedigte, überraschte er mit der Reichhaltigkeit seiner Gaben auch jene, die die tiefe Kraft seiner Kunst stets bewunderten, denn er ist in diesem letzten Werke ein anderer geworden. Man erkannte den schwermüthigen, orientalisch weichen Componisten der »Königin von Saba« und den wuchtigen, allzu wuchtigen Schöpfer des »Merlin« nicht wieder in der lebensfreudigen Partitur von »Heimchen am Herd«, in welcher neben kräftigem Ausdruck, still und milde poetischer Tönezauber hinfließt, der zu anmuthigem Reigen sich verwebt und von mondumflossener Abendschöne überglänzt, ein Fühlen suggerirt, das linde sich in die letzten Empfindungsfäden hineinscheucht. Die märchendeutsche Kunst des Werkes löst wohlthuende Schwingungen aus, die sachte an unsere Nerven schlagen. Man kann sich nicht vollkommener Märchenromantik denken. Was in dem Zuge unserer Zeit liegt: das regsame »Es war einmal!«, die Lust an bunten Bildern und die Freude an den einfachen Dingen des Lebens ist hier, wie in keinem anderen modernen Werke, stylvollendet enthalten. Es liegt dies an den kunstvollen musikalischen Formen Goldmark’s, an der schönen Vielfältigkeit seines Ausdruckes und zum größten Theil an der weisen Vertheilung der Schätze seines Talentes, die in virtuoser Steigerung ein festgefügtes Gebäude bilden.

Zu diesen musikalischen Kleinodien hat der Textdichter ein prächtiges Gerüste geschaffen, das mit vornehmer Geschicklichkeit Raum schafft für das Zarte und Schmeichelnde, sowie für das Große und Breitfließende. Willner baut sein musterhaftes Textbuch auf dem gleichnamigen Hausmärchen Dickens’ auf, wo Hausgeräthe und Sonnenstrahlen, Grillengezirp und das Gebrodel des siedenden Kessels ein Geschichte stützen, die voll idyllischer Lust sich entwickelt. Er behält von all’ dem, was in dem Märchen liegt, nur dasjenige für sein Bühnenstück, das charakteristisch genug ist, um den Gedanken desselben in künstlerisch schöner Art wiederzugeben. Nur die Grille ist geblieben, das Heimchen, das launig, als eine Art von Chor im Sinne der Griechen, die Handlung begleitet und eingreift in den dramatischen Gang derselben. Es scheucht das gute Heimchen, der liebliche Hausgeist, die bösen Gedanken weg und fördert das Gute zu gedeihlichem Ende.

John Peerybingle, der Fuhrmann, und Dot, seine kleine Frau, sind seelig im ehelichen Glücke. May, das arme Ding, muß den alten filzigen Puppenhändler Tackleton zum Gatten nehmen, da Edward, der Geliebte, sie verlassen und ferne weilt. Er kehrt zurück. Er gibt sich Dot zu erkennen und hier wird ein Mißverständniß zwischen John und Dot, welche der Fuhrmann verdächtigt, mit dem ihm unbekannten Fremden allzu vertraut zu sein, denn er gibt den Einflüsterungen des Tackleton Gehör. Er sieht, von diesem und einigen koketten Bemerkungen seines Weibchens gereizt, mit allzu eifersüchtigem Auge das Stelldichein von Dot und Edward als einen Beweis ihrer Schuld an. Er rafft sich sogar zu Mordvornahmen auf, die unser Heimchen jedoch mit ihrem lispelnden Sange einschläfert. In diesem holden Traume, den der Textdichter mit allen Reizen einer schönen Apotheose ausstattet, sieht er das Glück seiner Zukunft. Er ist geliebt, trotz seiner grauen Haare, trotz des großen Altersunterschiedes zwischen ihm und Dot, und es waltet nun ein Geheimniß zwischen den Beiden, ein zartes wohl, das gar nicht Grund zur Eifersucht gibt. Und das Geheimniß enthüllt ihm Dot mit lieblichen Worten am Schlusse: es ist das Geständniß vom Fühlen der Mutter.

Ellen Brandt-Forster (»Heimchen«)

Edward jedoch hat seine May geholt und der Puppenfabrikant, selber eine alte, dürre Puppe, geht leer aus. Darüber zieht das Heimchen nun den Vorhang und wir sehen, in einem farbigen Schlußbild, die beiden Paare im Glücke. Willner hat manche Gestalt der Dickens’schen Poesie beiseite gelassen mit weisem Verständniß. Er hat den Säugling, das Kind von Dot und John bei Dickens, in richtiger Erkenntniß des dramatisch Erlaubten gleichsam zurückdatirt, denn es könnte unserem Publikum vielleicht doch das richtige Verständniß für die Wirkung der Wickelkinder in der Opernhandlung fehlen. Er hat vielleicht dort und da zu sehr den Anforderungen des Componisten Folge geleistet und Längen textlich gefördert, – wir erinnern an das Entréelied Edward’s! – Auch hätte ab und zu ein charakteristisch stützender Zug nicht geschadet. Doch »nehmt Alles nur in Allem«, es hat der Dichter ein Opernlibretto geschaffen, das die besten Werke dieser Art der letzten Jahre weit überragt. Wohlthuend schmiegt sich der Vers dem Sange an. Es fehlen die gewaltsam verdrehten Worte und Silben, die humpelnden Versfüße, die man sonst gewohnt ist. Es hat M. A. Willner ein Buch geschaffen, das allen Forderungen der Bühne entspricht, und alle Virtuosität der Bühnentechnik enthält. So mußte das »Heimchen am Herd« vollen Erfolg finden, der, am Abend der Première und in weiterer Folge, zu Wiederholungen einzelner Theile der Oper zwang.

Die Aufführung war von Director Jahn musterhaft dirigirt. Frau Forster sang das Heimchen mit unsäglich zarter Poesie; die Künstlerin umspann ihre Schöpfung mit Mondenglanz und Märchenzauber, wohllautend in jeder Bewegung, entzückend in jedem Tone. Frl. Renard’s Frau Dot war eine Musterleistung, die Herrn Ritters vollendete Darbietung in der Rolle des John ergänzte. Schrödter stattete die Gestalt des Edward mit allen Gaben seiner stimmlichen und schauspielerischen Kunst aus; er siegte über die Herzen mit seinem hellen quellenden Tenor. Frl. Abendroth zog sich mit Anstand aus der Affaire. Einige Mängel am Abend der Premiere kamen wohl auf Rechnung ihrer Erregtheit. Herr von Reichenberg als Puppenhändler-Tackleton schuf eine Gestalt voll zwingenden Humors. Ein besonderes Wort der Anerkennung verdient Herr Anton Brioschi, der meisterliche Decorationsmaler. Bératon
(Wiener Salonblatt vom 29. März 1896)