… einen sehr geschickten Griff gethan

»Das Heimchen am Herd.«

(Oper in drei Abtheilungen von A. M. Willner, Musik von Karl Goldmark, zum erstenmale aufgeführt im Hofoperntheater am 21. März 1896.)

Man kennt Karl Goldmark als sklavischen Nachahmer der Wagner’schen Instrumentalmusik von unleugbarem Geschick für die Orchestertechnik, aber von einer sehr ledernen und dürftig quellenden musikalischen Erfindung, welche sich auch in der spärlichen Anzahl seiner Schöpfungen ausdrückt. Trotzdem er nunmehr vierundsechzig Jahre zählt, hat er außer Kammermusiken, kleineren Instrumentalwerken, einigen wenigen Liedern an größeren Werken nur zwei Symphonien und zwei Opern geschrieben. Die zweite derselben, die langweilige romantische Ritteroper »Merlin«, ist selbst in Wien, wo der Komponist eingefreundet ist, bald verschwunden und sonst nur an wenigen Orten zur Aufführung gelangt und durchgerasselt, die erste, »Die Königin von Saba«, welche durch Beimengung hebräischer Melodien einen fremdartigen orientalischen Reiz besitzt, ist eine Art jüdische Nationaloper geworden und findet deshalb begreiflicher Weise noch immer ihr dankbares Publikum. Nunmehr scheint der Komponist das dringende Bedürfniß gefühlt zu haben, seinen selbst bei seinen Freunden arg verrosteten Ruhm neu aufzufrischen, und er hat mit dem seinem Stamme eigenthümlichen spekulativen Sinn einen sehr geschickten Griff gethan, indem er als der Erste bezeichnet werden muß, welcher dem am deutschen Opernhimmel hell aufleuchtenden Sterne Humperdinck’s Gefolgschaft leistete, wie er einst sich an die Rockschöße Richard Wagner’s gehängt. Dieses musikalische Ereigniß lag ja seit anderthalb Jahren in der Luft, ein solches originelles und von glänzendem Erfolge gekröntes Werk wie »Hänsel und Gretel« mußte ja seine Nachahmer finden, das Publikum lechzte ordentlich darnach, und man konnte es sich an den Fingern abzählen, daß der Erste, dem es gelingen würde, diese Nachahmung auf den Markt zu bringen, eines bedeutenden Erfolges gewiß sein konnte. Nun, das Judenthum, das im Imitiren und im geschäftlichen Ausschroten fremder Erfindungen und Entdeckungen immer groß gewesen, war auch diesmal zuerst ans dem Platze, und so sehen wir heute schon die stammesgenössische Presse an der Arbeit, unser nationales Original-Meisterwerk durch die jüdische Nachahmung in den Schatten zu drücken: das Publikum, welches auf diese Presse schwört, wird dann vielleicht diese Arbeit weiter besorgen.

Der Titel der Oper erweckt auf den ersten Blick nicht gleich den Gedanken eines Zusammenhanges mit Humperdinck’s Märchenspiel. Die Kunstnovelle des englischen Humoristen und unser schlichtes Kindermärchen scheinen zunächst wenig Verwandtes zu besitzen. Und doch, sehe man nur einmal den Stoff und insbesondere die Art und Weise, wie der Librettist Willner ihn dramatisirt hat, näher an! Schon das Milieu, welches für eine Oper fast noch tonangebender erscheint, wie für ein gesprochenes Drama, zeigt eine gewisse Aehnlichkeit: die idyl[l]ische, ärmliche Hütte. Aber noch mehr: Dickens hat in seine Novelle einen märchenhaften Zug gebracht, indem er die Lebewesen und Dinge, welche in der Umgebung der handelnden Personen sich befinden, in poetische Beziehung zu diesen setzte: so den Kessel, die Figuren der Wanduhr, den Wagenpintscher, das Heimchen am Herd. In der feinen, humorvollen Ausmalung dieser Beziehungen des Menschen zu seiner gewohnten Umgebung liegt der Hauptreiz seiner Dichtung. Willner hat diese poetischen Behelfe in plumpe Sinnfälligkeit übertragen, d. h. eigentlich nicht den Kessel, die Wanduhr und den Pintscher, sondern nur das Heimchen. »Das Heimchen, eine Grillenelfe«(!), wie das Personenverzeichniß geistvoll ankündigt. Für die Handlung der Oper, wie sie Willner zurechtgeschnitten, hat diese Grillenelfe nicht den geringsten Zweck; er hat sich sogar den Einfall, welchen Dickens andeutet, nämlich den eifersüchtigen John durch das Heimchen von seinem Mordanschlag aus den Fremden abzuhalten – in der Novelle beginnt in diesem Augenblicke plötzlich das Heimchen zu zirpen – entgehen lassen. So ist diese Verkörperung von Herrn Willner nur deshalb erfunden worden, um mit Zuhilfenahme eines Elfenchores – vermuthlich lauter Grillenelfen! – eine Reihe von Balleteffekten anzubringen, welche als direkte vergröberte Nachahmungen der Gedanken Humperdinck’s in die Augen springen. Schon das Auftreten des Heimchens erinnert lebhaft an Sand- und Thaumännchen in »Hänsel und Gretel«.

Ein völliger Abklatsch ist jedoch der Schluß des zweiten Aktes. Wie in »Hänsel und Gretel« die Kinder vom Sandmännchen, so wird hier John, der Fuhrmann, vom Heimchen in den Schlaf gesungen; die bekannten Balletschleier fallen herab, die Bühne erhellt sich, wie dort die Engel, so schreiten hier die Elfen – lauter Grillenelfen? – heran, nur statt des offenen Himmels erscheint hier ein Rosenstrauch, aus dem ein kleiner Knabe – der Herzenswunsch des Fuhrmannes – als Postillon gekleidet, auftaucht! Was also in »Hänsel und Gretel« ein tief poetischer Gedanke ist, wird hier zu einem ganz trivialen Balletscherz herabgezogen! Auch sehr bezeichnend für die ganze Art und Weise, wie das Judenthum mit den Werken unserer deutschen Kunst umspringt! Im Uebrigen hat sich der Librettist nur an die äußerlichen Vorgänge in Dickens’ Novelle gehalten, deren Erfindung, wie immer so auch hier, zu den schwächsten Seiten des englischen Humoristen gehört. Man kann ihr allgemeines Bekanntsein voraussetzen, ein Umstand, der gewiß nicht wenig zum Erfolge der Oper beiträgt. Edward Plummer, der sich Jahr und Tag als Seemann in der weiten Welt herumtreibt und als verschollen gilt, kehrt, als er vernimmt, daß sich seine Geliebte mit dem alten, reichen Spielwaarenhändler Tackleton verheiraten will, verkleidet zurück, entdeckt sich aber zunächst nicht seiner Braut, sondern deren Freundin Dot, die an den Fuhrmann (in der Oper Postillon) John Peerybingle verheiratet ist. Dieser, seiner jungen Frau an Alter stark voraus, wird, da ihn Tackleton auf die Verkleidung des Fremden und auf dessen Einverständniß mit Dot aufmerksam macht, von Eifersucht erfaßt. Schließlich löst sich Alles in Wohlgefallen auf, und der alte Tackleton wird geprellt. Diese Handlung, welche durch das glänzende poetische Schilderungstalent Dickens’ und durch die köstlichen humoristischen Nebengestalten vergoldet wird, nimmt sich in der Nacktheit, wie sie Willner hingestellt, ziemlich naiv aus und ist für drei, obwohl kurze Akte, fast zu dürftig, so daß ohnedies der erste ohne eigentliche Handlung bleibt. Die prächtigen Gestalten des alten Kaleb und seiner blinden Tochter, welche von ihm über ihr ärmliches Dasein durch die Illusion einer glanzvollen Umgebung und der Güte der Menschen hinweggetäuscht wird, sowie das urdrollige tollpatschige Kindsmädchen Tilly sind der Dramatisirung zum Opfer gefallen, dafür hat sich Herr Willner bemüssigt gesehen, dadurch, daß er Frau Dot der Geburt eines Kindes erst entgegensehen – bei Dickens spielt das Wickelkind auch seine Rolle – und diesen interessanten Umstand von Anfang bis zu Ende fortwährend in aufdringlichster Weise besprechen läßt, der schlichten Handlung einen pikanten Zug zu verleihen, welcher sich ja bei einem Theil des Publikums großen Beifalls erfreuen mag, aus welchen wir aber sehr gerne verzichtet hätten, selbst auf die Gefahr hin, dadurch der einzigen eigenen Erfindung dieses Herrn verlustig zu werden.

Man glaube aber nicht, daß etwa nur der Text allein den Einfluß Humperdinck’s verräth; die Musik thut dies fast noch mehr. Es ist derselbe Stil, welcher von Wagner’s »Meistersingern« ausgehend volksthümliche Elemente aufnimmt, die geschlossenere Liedform, wenn auch in charakteristischer Weise modifizirt, verwendet, leichte Tanzrythmen nicht verschmäht und das Orchester zur Stimmungsmalerei möglichst treffend benützt, stellenweise damit humoristische Wirkungen sucht. Goldmark hat sich zu diesem Behufe einer gerade für den, der seine anderen Werke kennt, überraschenden Einfachheit befleißigt, obwohl nicht überall festgehalten. Aber jene Eigenschaften Humperdinck’s, welche die Hauptstärke seines Stiles bilden, konnte Goldmark trotz eifrigen Bemühens sich nicht zu eigen machen: den Sinn für das Volksthümliche, den Humor und die frischquellende Erfindung, und damit spricht sich das Urtheil über seinen Versuch von selbst. Eben weil er diese Mängel fühlen mochte, hat er sich mit einer wahren Muth auf die Sentimentalitäten der Handlung geworfen und eine bemerkenswerthe Reihe empfindsamer, meist von den üblichen sordinirten Geigen- und Harfenarpeggien begleiteter Gesänge angefertigt, von denen uns kein einziger von besonderer melodischer Erfindung und schon gar nicht von volksthümlicher Wirkung erschien. Am meisten ist uns daran aufgefallen, daß fast alle mit den trivialen Kadenzen älterer Opernarien schließen, was ja dem Sänger des Beifalles wegen willkommen sein mag, uns aber wie ein Märchen aus uralten Zeiten angähnte. Zuweilen wollte es uns bedünken, als quälten den Verfasser mitten in der englischen Liebesgeschichte Erinnerungen an seine ungarische Heimat. Am besten unter diesen Sentimentalitäten gefiel uns das einen frischeren Ton anschlagende Seemannslied Edward’s im letzten Akte, am wenigsten sein gleich darauffolgendes Liebesduett mit May, ein ganz nichtssagendes und noch dazu langhingestrecktes Musikstück.

Auch ein Quintett in Es-dur wird gesungen, von dem uns nicht recht klar wurde, warum der Komponist so gewaltsam die Erinnerung an das Es-dur-Quintett aus den »Meistersingern« in jeder Hinsicht heraufbeschwört. Die Grillenelfenszenen sind von guter Stimmungsmalerei, das Eintrittslied des Heimchens mit den leisen Violinakkorden an das Lied des Sandmännchens in »Hänsel und Gretel« gemahnend. Auch das Lied Dot’s über ihre guten Hoffnungen klang uns sehr bekannt. Nebenbei gesagt, imitirt Goldmark das Zirpen der Grillen durch eine sonderbar glucksende Tonfolge aus der Pickelflöte; unsere zoologischen Erfahrungen vermochten nicht die geringste Aehnlichkeit zu entdecken. Der Humor steht in dieser komischen Oper in zweiter oder dritter Linie. Ein vorübergehender Blitz ist die zarte Walzermelodie, welche bei der Stelle »Lichterglanz – ach wie hold« im zweiten Akte eingefügt ist. Verhältnißmäßig gut ist Tackleton charakterisiert, freilich bei seinem zweimaligen Auftreten jedesmal durch dieselben hüpfenden R[h]ythmen erst beim Fagott, dann beim Cello. Das Vorbild Beckmessers ist ganz unverkennbar. Zu den gelungeneren Nummern möchten wir auch das Vorspiel der Oper rechnen, ein einheitliches leichtes Musikstück, das nur gegen Schluß von einem kurzen Adagio unterbrochen wird. Das Finale des ersten Aktes – die Dorfbewohner bestürmen den Postillon wegen ihrer Postsendungen – ist sklavische Nachahmung der »Meistersinger«. Die einzige Stelle der Oper, an welcher Goldmark volksthümliche und rein komische Töne anschlagen will, ist der Ensemblesatz des dritten Aktes, wo die von Edward herbeigeholten Burschen und Mädchen im Ringelreihen Tackleton umschlingen und so an einer Verfolgung der beiden Liebenden hindern. Und gerade hier scheint er mir tüchtig ausgeglitten zu sein, trotz der Bühnenwirksamkeit der Szene. Der Beginn – Bursche und Mädchen drängen nach einander zur Thüre herein mit den Worten: »Guten Morgen, Herr Tackleton, habt uns geladen, da sind wir schon« – ist Note für Note das bekannte Volkslied: »So viel Sterne, als da stehen an dem blauen Himmelszelt.« Wir trauten unsern Ohren nicht; eine größere Geschmacklosigkeit und Widersinnigkeit haben wir selten erlebt! Sie zeigt, welches Verständniß Herr Goldmark für unser Volkslied besitzt!

Der darauffolgende Tanz ist eine Schnellpolka, die mit ihrer Gassenhauerbanalität vollständig aus dem Rahmen der sonst in feineren musikalischen Formen gehaltenen Oper herausfällt und schließlich mit einem wüsten Becken- und Trommellärm endet. Diese selben beiden Themen nun bilden das Vorspiel zum dritten Akte, in welchem sie, von dem szenischen Vorgänge losgelöst, noch wunderlicher wirken, und dieses Vorspiel wurde stürmisch beklatscht und von Direktor Jahn sogleich wiederholt. Wieder ein Beitrag zum guten Geschmacke des Premièrenpublikums! Oder vielleicht dürfen wir annehmen, daß es nur Goldmark’s Publikum gewesen? – Mit der geschilderten Szene könnte die Oper füglich schließen, wenn nicht Librettist und Komponist das dringende Bedürfniß hätten, noch eine Szene zwischen John und Dot, in welcher das so oft variirte Thema von der bevorstehenden Entbindung nochmals genau besprochen wird, sowie eine Grillenelfenszene mit lebendem Schlußbilde vorzuführen. Dem Komponisten passirt dabei das Malheur, daß ihm ganz und gar nichts mehr einfällt. Die Szene der beiden Ehegatten ist ein unerquickliches Rezitativgebelfer, darauf folgt das Eingangslied der Dot und das Eingangslied des Heimchens in zweiter Auflage. Für sittsame, nicht medizinische Theaterbesucher sei noch bemerkt, daß die glückliche Entbindung der Frau Dot nicht mehr vorkommt.

Welche ungewöhnliche Sorgfalt Direktor Jahnin jeder Beziehung an diese Oper gewendet, haben wir bereits kurz erwähnt. Ausstattung, Orchester und Darstellung hatten den Hauptantheil an dem Erfolg. Ganz allerliebst war Fräulein Renard als Dot, wenn man auch manchmal mehr Natürlichkeit gewünscht hätte. Das Heimchen fand in Frau Forster eine anmuthig-sinnige Vertreterin. Sehr schön sang Herr Schrödter den Edward – darstellerisch freilich kam er von seinen herkömmlichen Gesten und Stellungen nicht los. Herrn Ritter fehlt leider für den Fuhrmann der behagliche Humor, er war mehr Othello als Postillon. Dagegen erregte Herr von Reichenberg als Tackleton große Heiterkeit. Nur Fräulein Abendroth brachte das Kunststück zuwege, in der Rolle der May sowohl gesanglich als schauspielerisch ungenügend zu sein.

Und nun wird sich Herr Direktor Jahn in die Brust werfen und gegenüber allen Anschuldigungen wegen Vernachlässigung der deutschen Kunst stolz auf seine Thaten Hinweisen. »Der Evangelimann«, »Walther von der Vogelweide« und das »Heimchen am Herd«, nach einander drei deutsche Meister: Kienzel, Kauders und Goldmark – nun kann man wieder befriedigt zu den Franzosen und Jungitalienern zurückkehren, die man so lange entbehrt! Wer wird fernerhin noch an den begeisterten Bemühungen Direktor Jahn’s für die deutsche Kunst zweifeln? Hagen.
Ostdeutsche Zeitung vom 25. März 1896