Rosenwolken der Imagination

Hofoperntheater. Carl Goldmark’s mit Ungeduld erwartete neue Oper »Das Heimchen am Herd« – frei nach Boz-Dickens’ »The Cricket on the Hearth« für die Bühne bearbeitet von A. M. Willner – hat gestern bei ihrer ersten Aufführung einen großen und wohlverdienten Erfolg davongetragen. Schon die Ouverture wurde lebhaft applaudirt, und der Beifall steigerte sich von Scene zu Scene, von Act zu Act, um nach dem Orchesterzwischenspiel (»Intermezzo«) vor dem letzten in ein förmliches Toben auszuarten, so daß das Stück wiederholt werden mußte. Nach dem zweiten und dritten Acte wurden die Sänger, mit ihnen und endlich auch ohne sie der Componist immer wieder herausgerufen.

Was immer gegen das Verfahren des Librettisten eingewendet werden mag, der das mit der feinsten Feder gezeichnete, poesie- und humorvolle Phantasiestück des erzählenden Dichters zu einem zwischen Ballet, Ausstattungsposse und Operette schwankenden scenischen Colossalgemälde vergröberte, so bewährte sich doch Willner gerade hier als bühnenkundiger, formgewandter Mann der That und kam dem Componisten mit seinen bequemen, schmiegsamen Versen einladend entgegen. Goldmark zog von dem zur Musik hindrängenden Buche den reichsten Gewinn. Ein geborner Theaterinusiker und gewiegter Praktikus, der den jeweiligen Geschmack des Publicums instinktiv erräth und befriedigt, plagt er sich nicht allzusehr mit ästhetischen Bedenken. So bereitwillig und gelehrig ging er auf die Absichten seines Librettisten ein, daß man Mühe hat, in der aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten Partitur, deren Weisen bald an Wagner, bald an die modernen Italiener, bald an Volkslieder und Tänze aus älterer Zeit anklingen, den Componisten der »Königin von Saba« und des »Merlin« wieder zu erkennen. Aber es stecken doch Geist, Erfindung und Persönlichkeit genug in der Oper, um sie als ein Originalwerk ansprechen zu dürfen. Selbst als Coupletsänger macht Goldmark keine schlechte Figur, da jeder Tact, den er schreibt, das Signum seiner wählerischen, sicheren Künstlerhand trägt. Ein früher bei ihm nicht bemerkter Zug deutscher Gemüthlichkeit tritt, wie es sich gebührt, in dem »Heimchen am Herd« anheimelnd hervor.

Um die Ausführung des sorgfältig inscenirten Werke erwarben sich neben dem von Herrn Director Jahn geleiteten Orchester Frl. Renard und Herr Ritter die größten Verdienste. Sie trugen dass aus den Rosenwolken der Imagination auf die derbe Erde versetzte ideale Ehepaar John-Dot auf den Schwingen der Musik wieder über das Alltagsleben empor, ohne unnatürlich zu werden. Herr Schrödter lieh dem Edward den frischen Schmelz seiner herrlichen Stimme. Frl. Abendroth bedürfte nur einer anderen Toilette, um graziöser auszusehen, als sie ist. Herr v. Reichenberg gab, wohl aus zarter Besorgniß, mit einem gewöhnlichen Possenreißer verwechselt zu werden, den Tackleton um mehrere Nuancen zu vornehm. Das Heimchen der Frau Forster endlich, das es mehr auf den Schmetterlingsfänger, als auf den Grillenfänger abgesehen zu haben scheint, beruht auf dem gefälligsten etomographischen Irrthum. Die blendende Erscheinung der schönen Sängerin spottet der bescheidenen dunklen Hausgrille. So führt auch der Theaterschneider den Dichter ad adsurdum und der Decorateur wetteifert mit dem Maschinisten, durch das lebende Bild einer Apotheose den armen Kerl gründlich abzutrumpfen. Die Hofoper aber darf sich Glück wünschen: sie hat ihr Heimchen am Herd gefunden M. K.
(Neues Wiener Tagblatt vom 22. März 1896)