… seit »Merlin« kein grösserer Erfinder geworden

Das Heimchen am Herd

Oper in drei Abtheilungen« (frei nach Dickens’ gleichnamiger Erzählung) von A. M. Willner .
Musik von Karl Goldmark. Zur Premiere in der k. k. Hofoper am 2l. März 1898.

Zwar ist vorauszusetzen, dass den meisten Lesern die Dickens’sche Erzählung bekannt sein dürfte; da jedoch der Librettist sich bei Abfassung des Buches manche Freiheiten erlaubte, muss ich auf die Handlung der Oper doch des Näheren zu sprechen kommen. Der Postillon John, ein kernfester, biederer, aber etwas schwerfälliger Mann von 45 Jahren, und sein erst 20jähriges, lebenslustiges Weibchen Dot leben in glücklicher, aber bisher kinderloser Ehe; die etwas larmoyante Puppenarbeiterin May, die Freundin Dot’s, die jahrelang auf die Rückkehr ihres Jugendgeliebten Eduard Plummer harrt, soll am nächsten Tag ihren Chef, den alten Puppenfabrikanten Tackleton, ehelichen. Unterdessen kehrt Plummer als Greis verkleidet zurück, wird Augenzeuge der Abneigung, die May gegen den alten Gecken hegt, verräth aber vorerst nur der Jugendgespielin Dot seine Identität. Der biedere Postillon, durch Dot’s Coquetterie und Tackleton’s Stichelreden eifersüchtig gemacht, belauscht das Gespräch seines Weibes mit ihrem vermeintlichen Liebhaber, und die Sache würde böse enden, wenn nicht das Heimchen, welches der Librettist sehr glücklich als spiritus familiaris in die Oper einführte, zur rechten Zeit in einem Traumbilde dem ehrlichen John die Treue seines Dotchens und sein künftiges Eheglück ad oculos demonstriren würde. Die sentimentale May bekommt ihren Seemann, das postillonische Ehepaar freut sich des verkündeten Familienzuwachses und nur der alte Tackleton ist abgetakelt. Der Verfasser des Buches, Hr. Willner, hat eine bühnenkundige und geschickte Hand erwiesen und seine Verse klingen recht hübsch; manch’ derber Griff in das zarte Gewebe der Dickens’schen Erzählung muss jedoch den Kenner der letzteren verletzen. Es ist dies insbesondere bei der 6. und 7. Scene des zweiten Actes der Fall; was bei Dickens ein unliebsamer Zufall war – die Belauschung durch den Ehemann – wird hier durch die Coquetterie des jungen Weibes hervorgerufen; der darauffolgende, nahezu tragische Monolog John’s ist sowohl vom Dichter als auch vom Componisten zu grell und übertrieben gehalten worden. Zart genug sind die zahlreichen Stellen ausgefallen, in welchen theils verschämt, theils – weniger verschämt auf den Kindersegen der Postillonischen angespielt wird. Glücklich ist auch die Einführung des Heimchens zu nennen, welchem der Prolog und der Epilog zugetheilt ist, und welches einigemale episodisch in recht poetischer Weise in die Handlung eingreift.

Wer mit hochgespannten Erwartungen in diese Premiere ging, um zu hören, welch’ neues Meisterwerk der Componist der »Königin von Saba« und des »Merlin« geschaffen hat, der musste wohl etwas enttäuscht werden. Das Rückkehren zum Style der älteren Opernform könnten wir uns wohl gefallen lassen; es ist nicht Jedem gegeben, Musikdramen zu schreiben, und dem Publicum wird ein frisch erfundenes Werk der älteren Structur wohl lieber sein, als ein erfindungsbaares und steriles Musikdrama. Leider aber hat es Goldmark verabsäumt, seine neue Oper im Style eines einheitlichen Kunstwerkes zu halten; neben den geschlossenen Formen der alten Oper begegnen wir der Declamation des modernen musikalischen Dramas, aber auch ziemlich trivialen Stellen, welche nahezu das leichte Genre berühren. Am bedauerlichsten ist es aber, dass Goldmark auf das alte Recitativ zurückgegriffen hat; für einen modernen Componisten sollte dies schliesslich ein überwundener Standpunkt sein! Goldmark’s Musik zum »Heimchen am Herd« macht im Ganzen einen freundlichen Eindruck, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass der Componist seit »Merlin« kein grösserer Erfinder geworden ist; auch die blühende orchestrale Farbenkraft seiner zwei früheren Opernwerke scheint nicht mehr erreicht zu sein, obwohl auch in dieser Oper das Meiste den grossen Meister der Instrumentation verräth. Das Vorspiel zum ersten Acte ist nicht sehr bedeutend zu nennen; sehr hübsch declamirt ist das erste Auftreten des »Heimchens« im Prologe. Trefflichen musikalischen Ausdruck hat der Componist für das Heimchengezirpe gefunden. Die Stelle der ersten Scene:

ist von grosser Süsse und Zartheit. Ebenso wirkt das hübsche Lied May’s sehr gut. Die dem Tenoristen in den Mund gelegten Gesänge sind allenthalben echte »Goldmarks«, intensiv melodisch, breit dahinströmend, mit dem grossen Stützpunkt im Orchester. Als eine wahre Perle der Oper möchte ich das Liedchen Dot’s ans dem letzten Acte »Wenn ein Quellchen flink« bezeichnen; das grosse Quintett im zweiten Acte hat auch wohl Manchen enttäuscht; man konnte jedoch schon im »Merlin« die Wahrnehmung machen, dass die Behandlung der Ensembles bei Goldmark weniger auf kunstvolles polyphonisches Stimmgewebe als auf rein äusserliche Klangwirkung angelegt ist. Auf ein anderes Blatt gehört allerdings, wie sich Goldmark mit den humoristischen Partien des Librettos abgefunden hat; da wird er oft ganz grobklotzig (siehe 5. Scene des ersten Actes). Es geht ihm eben die Grazie und der Humor Smetana’s ab und in den coupletartigen Aeusserungen Tackleton’s scheint der Componist auf den seligen Wenzel Müller und dessen Oper »Die zwei Schwestern von Prag« zurückgegriffen zu haben. Auch das Walzerlied Dot’s in der 4. Scene des zweiten Actes lenkt ziemlich stark in’s banale Fahrwasser. Ganz Dramatiker und dies mit entschiedenem Glücke ist Goldmark in dem Duette zwischen Eduard und May im letzten Acte; im zweiten Acte finden sich leider viele Stellen, wo der melodische Born äusserst dünn fliesst. Mancherlei Anklänge finden sich, welche mitunter stark bemerkbar werden, so im Nachspiel der 7. Scene des zweiten Actes der unverblümte Hinweis auf Grieg und zum Schlusse des Vorspieles zum dritten Acte die Reminiscenz an »Zampa«; auch Smetana erscheint stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Musiker kann sich wohl nicht der Ueberzeugung verschliessen, dass bei Goldmark die rein musikalischen Rücksichten oft über den declamatorischen stehen, und dass er viel zu viel Realist und zu wenig Poet ist, um den ganzen Zauber der Dickens’schen Gestalten erfassen zu können.

Hofoperndirektor Wilhelm Jahn

Wenn trotz der angeführten Schwächen die Oper doch eine sehr freundliche Aufnahme fand, so ist dies zu nicht geringem Theile das Verdienst der ganz vortrefflichen Inscenirung und Gesammtaufführung. Ausgezeichnet wie stets war Frl. Renard; diese vielseitige Künstlerin fand sich auch in der ihrem Naturell nicht ganz naheliegenden Rolle des jungen Frauchen Dot vollkommen zurecht und stattete dieselbe mit ganz reizenden schauspielerischen Nuancen aus; ich verweise hier nur auf die 4. Scene im zweiten Acte, wo Frl. Renard das Walzertempo auch ganz charmant tanzte. Hr. Ritter gab den biederen Postillon ganz vortrefflich, Hr. Schrödter sang den Eduard Plummer mit grossem Glücke; schauspielerisch liess sich allerdings aus dieser Rolle nicht viel machen. Die Partie des »Heimchens« wurde durch Fr. Förster vorzüglich interpretirt; die wenig dankbare Rolle der May hatte man Frl. Abendroth zugetheilt, welche billigen Ansprüchen genügen konnte. Hrn. Reichenberg’s Tackleton war in Maske sehr gelungen und gesanglich war dieser Künstler wie stets vortrefflich; im Uebrigen hätte es des Humors eines Hesch bedurft, um diese Rolle mit ihren stellenweise ungelenken Gesangspartien lebensfähiger zu gestalten. Chor und Orchester hielten sich vortrefflich; für den unsichtbaren Elfenchor hinter der Scene bei Beginn der Oper würde sich ein zarteres Piano empfehlen. Die Aufführung leitete Director Jahn selbst, und nicht nur die Aufteilung des musikalischen Theiles verrieth seine zielbewusste Leitung; auch in der Regie war dies vielfach wahrnehmbar. Inscenirung und Decorationen sind von märchenhafter Pracht; eine stattliche Reihe von Aufführungen kann man dem »Heimchen am Herd« prophezeien, zu einer eigentlichen Repertoireoper aber wird das Werk kaum werden. Immerhin dürften die Hofoper und ihr Publicum hiebei ihre Rechnung finden und der Componist mag mit dem Erfolge zufrieden sein. B. Lvovský
(Österreichische Musik- und Theaterzeitung vom 1. April 1896, Nr. 18)